OLG Hamm I 15 Wx 484/10 Gemeinschaftliches Testament von Ehegatten – Grenzen der Testamentsauslegung

Februar 17, 2020

OLG Hamm I 15 Wx 484/10 Gemeinschaftliches Testament von Ehegatten – Grenzen der Testamentsauslegung

RA und Notar Krau

Sachverhalt:

Ein Ehepaar hatte 1982 ein gemeinschaftliches Testament errichtet und sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Für den Fall des „gleichzeitigen Versterbens“ sollte ihre Nichte Alleinerbin sein.

Der Ehemann verstarb 2007, die Ehefrau erst später.

Es war strittig, ob die Schlusserbeneinsetzung der Nichte auch für den Fall gelten sollte, dass die Ehegatten nicht gleichzeitig, sondern nacheinander versterben.

Rechtliche Fragestellung:

Kann die Formulierung „gleichzeitiges Versterben“ in einem Testament so ausgelegt werden, dass sie auch den Fall des nacheinander eintretenden Todes der Ehegatten umfasst?

Entscheidung des OLG Hamm:

Das OLG Hamm entschied, dass die Formulierung „gleichzeitiges Versterben“ auslegungsbedürftig ist und die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landgericht zurückverwiesen werden muss.

OLG Hamm I 15 Wx 484/10 Gemeinschaftliches Testament von Ehegatten – Grenzen der Testamentsauslegung

Begründung:

  • Auslegung des Testaments: Der Wortlaut eines Testaments setzt der Auslegung keine absoluten Grenzen. Der wirkliche Wille des Erblassers muss anhand aller Erkenntnisquellen ermittelt werden.
  • Unbestimmtheit des Begriffs „gleichzeitiges Versterben“: Der Begriff „gleichzeitiges Versterben“ ist nicht eindeutig. Ein gleichzeitiger Tod im Wortsinne ist selten und in der Regel nicht beweisbar. Daher muss der Begriff weiter ausgelegt werden und umfasst auch den Fall, dass die Ehegatten in kurzem zeitlichen Abstand versterben.
  • Berücksichtigung aller Umstände: Bei der Auslegung des Testaments dürfen nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände berücksichtigt werden. Das Landgericht hatte dies zu Unrecht abgelehnt.
  • Zeugenvernehmung: Das OLG Hamm hielt die Vernehmung der vom Beteiligten benannten Zeugen für erforderlich, um den Willen der Erblasser zu ermitteln.
  • Öffentliches Testament: Der Umstand, dass es sich um ein öffentliches Testament handelt, ändert nichts an der Notwendigkeit der Auslegung.
  • Andeutungstheorie: Das Auslegungsergebnis muss im Testament zumindest angedeutet sein. Dies ist hier der Fall, da die Einsetzung der Nichte als Schlusserbin für den Fall des gleichzeitigen Versterbens jedenfalls auslegungsbedürftig ist.

OLG Hamm I 15 Wx 484/10 Gemeinschaftliches Testament von Ehegatten – Grenzen der Testamentsauslegung

Folgen der Entscheidung:

Die Sache wurde zur weiteren Aufklärung an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Landgericht muss nun die benannten Zeugen vernehmen und den Sachverhalt weiter aufklären.

Anschließend muss es erneut prüfen, ob die Schlusserbeneinsetzung der Nichte auch für den Fall des nacheinander eintretenden Todes der Ehegatten gelten soll.

Fazit:

Der Beschluss des OLG Hamm verdeutlicht die Bedeutung der Testamentsauslegung bei unklaren Formulierungen.

Der Begriff „gleichzeitiges Versterben“ ist nicht eindeutig und kann auch den Fall des nacheinander eintretenden Todes umfassen, wenn dies dem Willen der Erblasser entspricht.

Für die Auslegung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

OLG Hamm I 15 Wx 484/10 Gemeinschaftliches Testament von Ehegatten – Grenzen der Testamentsauslegung

Zusätzliche Erläuterungen:

  • Schlusserbeneinsetzung: Die Bestimmung eines Erben für den Fall, dass der zunächst eingesetzte Erbe die Erbschaft nicht annimmt oder nicht erben kann.
  • Gemeinschaftliches Testament: Ein Testament, das von mehreren Personen gemeinsam errichtet wird, in der Regel von Ehegatten.
  • § 133 BGB: Diese Vorschrift regelt die Auslegung von Willenserklärungen, insbesondere auch von Testamenten.
  • § 2084 BGB: Diese Vorschrift enthält spezielle Auslegungsregeln für Testamente.
  • Andeutungstheorie: Eine Auslegungstheorie, wonach der durch Auslegung ermittelte Wille des Erblassers im Testament zumindest angedeutet sein muss.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Das OLG Hamm hat in seinem Beschluss die Kriterien für die Auslegung der Formulierung „gleichzeitiges Versterben“ in einem Testament dargelegt.

Im vorliegenden Fall war die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landgericht zurückzuverweisen, da der Wille der Erblasser nicht eindeutig festgestellt werden konnte.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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