OLG Koblenz 12 U 602/22 Urteil vom 24.04.2023 Lebzeitig auf ein Kind übertragenes Mietshaus als Ausstattung
Voraussetzung für das Bestehen von Auskunfts- und Wertermittlungsansprüchen ist nicht das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs, sondern nur eines Pflichtteilsrechts; eine Auskunfts- und Wertermittlungspflicht ist jedoch dann zu verneinen, wenn der Pflichtteilsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht.
Der Auskunftsanspruch eines Pflichtteilsberechtigten bezieht sich inhaltlich auch auf die Tatsachen und Umstände, die Zuwendungen als Ausstattung bzw. Schenkung qualifizieren.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die eine Ausgleichungspflicht nach § 2050 Abs. 1 BGB wegen Vorliegens einer Ausstattung begründen, trifft denjenigen, der daraus Rechte herleitet, also die Anrechnung einer Zuwendung auf den Erbteil verlangt oder einen Ausgleich im Rahmen der Pflichtteilsberechnung geltend macht; er kann sich dabei nicht auf einen Anscheinsbeweis oder sonstige Beweiserleichterungen berufen, da die zeitlich unbegrenzte Ausgleichung die Ausnahme und nicht die Regel ist.
Gegen den Ausstattungscharakter i.S.d. § 2050 Abs. 1 BGB der lebzeitigen Übertragung eines Mietshauses durch den späteren Erblasser auf eines seiner Kinder kann sprechen, dass er zuvor auch seinem anderen Kind erheblichen Grundbesitz übertragen hat.
Ist der Zuwendungsempfänger im Zeitpunkt der Übertragung des Mietshauses bereits 38 Jahre alt, seit 10 Jahren verheiratet, hat er 4 Kinder und eine eigene Firma, von deren Einkünften er gut leben kann (jährlicher Gewinn von mehr als 50.000 DM zu Beginn der 90er-Jahre), und verfügt zudem der Ehepartner über eigene, nicht unerhebliche Einkünfte, die ebenfalls geeignet sind, die Sicherstellung des Familienunterhalts zu garantieren, kann ein Ausstattungscharakter nicht angenommen werden, selbst wenn der Erhalt der Immobilie gegebenenfalls geeignet ist, den Zuwendungsempfänger und seine Familie auf ein höheres wirtschaftliches Lebensniveau zu heben.
Tatbestand: OLG Koblenz 12 U 602/22
1 Die Parteien streiten über erbrechtliche Ansprüche betreffend den Nachlass der am … 2016 verstorbenen …[B] (im Folgenden Erblasserin).
Der Beklagte ist der Sohn der Erblasserin, die Klägerinnen sind deren Enkelinnen und Abkömmlinge der vorverstorbenen …[C], Tochter der Erblasserin und Schwester des Beklagten.
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Gemäß dem notariellen Testament der Erblasserin vom 24.05.1994 ist der Beklagte Alleinerbe seiner Mutter geworden.
Mit der Behauptung, das dem Beklagten mit notariellem Vertrag vom 04.11.1993 schenkweise übertragene Hausgrundstück …[A] in …[Z] sei ihm als „Ausstattung“ i. S. d. § 1624 Abs. 1 BGB zugewendet worden, machen die Klägerinnen vorliegend im Wege der Stufenklage nach ihrer Auffassung bestehende Pflichtteils(-ausgleichs-)ansprüche geltend und verlangen auf der ersten Stufe in dem im Urteilstenor näher beschriebenen Umfang Auskunft über die „wertbildenden Faktoren“ betreffend das von der Erblasserin zu Lebzeiten an den Beklagten verschenkte Hausgrundstück
Die Klägerinnen haben zunächst mit ihrem Klageantrag zu 1. in Form einer „Zwischenfeststellungsklage“ um den Feststellungsausspruch angetragen, dass bei der Berechnung der Ausgleichspflichtteile (im Hinblick auf die von ihrer Mutter …[C] erhaltenen Vorempfänge) auch die vorgenannte, im Klageantrag näher beschriebene Immobilie zu berücksichtigen sei.
Diesem Klagebegehren (Antrag zu 1.) ist das Landgericht gefolgt und hat durch am 01.03.2021 verkündetes Teilurteil, Az.: 11 O 204/20, antragsgemäß die Feststellung ausgesprochen, „dass bei der Berechnung der Ausgleichspflichtteile der Klägerinnen gegenüber dem Beklagten die dem Beklagten mit notarieller Urkunde Notar …[D] vom 04.11.1993, Urkundennummer … geschenkten Grundstücke Grundbuch von …[Z], Blatt … sowie Grundbuch von …[Z], Blatt …, …[A], zu berücksichtigen sind“.
Nach Einlegung der Berufung gegen dieses Teilurteil durch den Beklagten haben die Klägerinnen die Klage nach entsprechendem Hinweis des Berufungsgerichts hinsichtlich des Erstantrages zurückgenommen und den Rechtsstreit mit den (im Wege der Stufenklage) angekündigten weiteren Anträgen bei dem Landgericht Trier fortgesetzt.
Sie haben erstinstanzlich auf der ersten Stufe beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihnen Auskunft zu erteilen über die wertbildenden Faktoren der Grundstücke Grundbuch von …[Z], Bl. … sowie Grundbuch von …[Z], Bl. …, …[A], …[Z], im Zeitpunkt des Vollzugs der Zuwendungen, insbesondere über das Baujahr der aufstehenden Gebäude, die Miet- und Nutzflächen des Gebäudes, getrennt nach den Miet- und Nutzflächen der einzelnen Geschosse und der erzielten Mieterträge.
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Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Sachverhaltsdarstellung im Übrigen wird auf die Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Teilurteils des Landgerichts Trier vom 21.03.2022 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Durch dieses Teilurteil hat das Landgericht dem auf der ersten Klagestufe geltend gemachten Auskunftsbegehren im Wesentlichen mit der Begründung stattgegeben, „erst nach erfolgter Auskunftserteilung durch den Beklagten und noch vorzunehmender Bezifferung möglicher Pflichtteilsausgleichsansprüche der Klägerinnen sei durch das Gericht festzustellen, ob tatsächlich eine ausgleichspflichtige Zuwendung in Form einer Ausstattung zugunsten des Beklagten vorliege“.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er sein Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt.
Im Berufungsverfahren beantragt der Beklagte, das Teilurteil des Landgerichts Trier vom 14.02.2022, Az.: 11 O 204/20, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Aus den Gründen:
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Auf die form- und fristgerecht eingelegte und begründete und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten war das angefochtene Teilurteil aufzuheben und die (Stufen) Klage hinsichtlich des auf der ersten Klagestufe geltend gemachten Auskunftsbegehrens abzuweisen.
Der Senat wertet dabei den Berufungsantrag des Beklagten, die Klage abzuweisen, dahingehend, dass dies nur jene erste Stufe betrifft, über die das Landgericht durch das Teilurteil entschieden hat, da sich die Berufungsbegründung nur gegen den Ausstattungscharakter der übertragenen Grundstücke wendet, nicht aber gegen den gesamten von den Klägerinnen verfolgten Pflichtteilsanspruch.
Soweit die Klägerinnen die Rechtsauffassung vertreten, die hier aufgeworfene Frage, inwieweit es sich bei der streitgegenständlichen Schenkung an den Beklagten um eine Ausstattung im Rechtssinne gehandelt habe, sei dem Senat in der mit der Berufung angetragenen Auskunftsstufe nicht angefallen [Bl. 69 d. e.A.], sodass diese Problematik jedenfalls in dem hier zu behandelnden Verfahrensstadium der Klage nach § 254 ZPO noch keiner Beantwortung bedürfe, vermag der Senat ihrer Argumentation nicht zu folgen.
Auch wenn sich die Klägerinnen in diesem Zusammenhang auf die in der Rechtslehre vertretene Ansicht stützen, die Vorschrift des § 2057 BGB, die dem Miterben die Verpflichtung auferlegt, den übrigen Erben auf Verlangen Auskunft über die Zuwendungen zu erteilen, die er nach den §§ 2050 bis 2053 zur Ausgleichung zu bringen hat, und § 2316 die Wertungen der §§ 2050 ff in das Pflichtteilsrecht überführt, rechtfertigt dies nicht die von den Klägerinnen gezogene Schlussfolgerung.
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Dabei ist sich der Senat der Tatsache bewusst, dass Voraussetzung für das Bestehen der Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche nicht das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs, sondern nur eines Pflichtteilsrechts ist; eine Auskunfts- und Wertermittlungspflicht ist jedoch dann zu verneinen, wenn der Pflichtteilsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht (RGZ 129, 239; BGH NJW 1958, 1964, 1965; BGHZ 28, 177, 180; OLG Braunschweig OLGRspr 21, 343, 344; LG Bonn ZEV 2005, 313; LG Potsdam BeckRS 2019, 41104; MünchKomm/Lange Rn 15; BeckOK/MüllerEngels Rn 2; PWW/Deppenkemper Rdn. 3).
Denn dann besteht auch kein Informationsbedürfnis für den Pflichtteilsberechtigten, sodass die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs (zu pflichtteilsfremden Zwecken) zumindest rechtsmissbräuchlich ist. Auch der Senat verkennt insoweit nicht, dass sich der Auskunftsanspruch inhaltlich auch auf die Tatsachen und Umstände bezieht, die Zuwendungen als Ausstattung bzw. Schenkung qualifizieren (BeckOK BGB/Lohmann Rdn. 14).
Zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer Ausgleichungspflicht gehören dabei auch die Tatsachen, aus denen folgt, dass eine bestimmte Zuwendung eine (grundsätzlich ausgleichungspflichtige) „Ausstattung“ iSv § 2050 Abs. 1 BGB, nicht etwa eine (nur bei besonderer Anordnung ausgleichungspflichtige) „Schenkung“ iSv § 2050 Abs. 3 BGB darstellt (BeckOK BGB/Lohmann, 65. Ed. 1.2.2023, BGB § 2050 Rdn. 14).
Die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die eine Ausgleichungspflicht nach § 2050 Abs. 1 BGB wegen Vorliegens einer Ausstattung begründen, trifft jedoch denjenigen, der daraus Rechte herleitet, also die Anrechnung einer Zuwendung auf den Erbteil verlangt (oder wie hier, einen Ausgleich im Rahmen der Pflichtteilsberechnung geltend macht), mithin im streitgegenständlichen Fall die Klägerinnen (so auch OLG Frankfurt BeckRS 2010, 06332).
Wer den Ausgleich verlangt, hat zu beweisen, dass eine ausgleichungspflichtige Zuwendung oder Leistung erfolgt ist. Ein Anscheinsbeweis hierfür besteht nicht. Das gilt auch für sonstige Beweiserleichterungen, da die zeitlich unbegrenzte Ausgleichung die Ausnahme und nicht die Regel ist (vgl. § 2050 Abs. 3 BGB; Rösler in: Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 5. Aufl. 2019, Pflichtteil, Rdn. 26 273).
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Soweit die Klägerinnen im vorgenannten Sinne einen Ausnahmetatbestand von der an Fristen gebundenen Regelung des § 2325 Abs. 3 BGB dergestalt behaupten, dass der Beklagte verpflichtet sei, die ihm im Jahre 1993 zugewendete Immobilie …[A] im Rahmen der erbrechtlichen Auseinandersetzung zur Ausgleichung zu bringen, da es sich seinerzeit um eine Ausstattung im Sinne des § 1624 BGB gehandelt habe, ist der Beklagte seiner im Rahmen der sekundären Darlegungslast bestehenden Auskunfts/Informationsverpflichtung in einem Maße nachgekommen, das den Senat in die Lage versetzt festzustellen, dass es sich bei der in Rede stehenden Schenkung gerade nicht um eine solche ausgleichspflichtige Ausstattung des Beklagten gehandelt hat [wird ausgeführt]; während die für die Voraussetzungen des behaupteten Auskunftsrechtsrechts beweispflichtigen Klägerinnen diesem Vorbringen des Beklagten nicht in erheblicher Weise entgegengetreten und ihrerseits keine dem Beweis zugängliche Tatsachen vorgebracht haben, die das Beklagtenvorbringen entkräften und/oder widerlegen würden.
Sie verlangen mit ihrer Klage, ausgehend von der ihrerseits als gegeben unterstellten Prämisse, dass es sich bei der streitgegenständlichen Schenkung um eine Ausstattung gehandelt habe, die weitergehende Auskunft hinsichtlich der wertbildenden Merkmale, deren Kenntnis sie in die Lage versetzen soll, einen vermeintlich bestehenden Pflichtteilsanspruch sodann unter Verrechnung dieses dem Beklagten zugewandten Objekts zu beziffern.
Dieser rechtlichen Wertung, die auch der landgerichtlichen Entscheidung zugrundeliegt, vermag der Senat nicht beizutreten.
Da ein Informationsinteresse der Klägerinnen hinsichtlich der begehrten Auskünfte zu den wirtschaftlichen Fakten der Schenkung nur dann bestehen kann, wenn die streitgegenständliche Immobilie tatsächlich auch als Ausstattung zu qualifizieren wäre und so (unabhängig vom Zeitpunkt der Zuwendung) durch deren wertmäßige Anrechnung auf das Nachlassvermögen zugunsten der Klägerinnen einen Pflichtteilsanspruch begründen oder diesen gegebenenfalls umfangmäßig erhöhen könnte, kommt eine Auskunftspflicht des Beklagten nicht in Betracht, wenn feststeht, dass die Ausstattungseigenschaft fehlt oder sie jedenfalls (von den Klägerinnen) nicht bewiesen werden kann.
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So liegt der Fall hier. Nach dem unwiderlegten Vortrag des Beklagten sprechen ganz erhebliche Gesichtspunkte gegen die Einordnung der im Jahre 1993 erfolgten Schenkung als Ausstattung, sodass die zu Lebzeiten der Erblasserin schenkweise erfolgte Zuwendung jedenfalls der Abschmelzungsregelung des § 2325 Abs. 3 BGB unterliegt und damit bei der Pflichtteilsberechnung keine Berücksichtigung (mehr) findet
Insoweit geht auch die mit verfahrensrechtlichen Bedenken einhergehende Rechtsauffassung der Klägerinnen fehl, die hierin einen Widerspruch zu dem von dem Senat im Hinblick auf die ursprünglich erhobene Zwischenfeststellungsklage vertretenen Rechtsstandpunkt zu erkennen glauben [Bl. 70 d. e.A.].
Einer damals ausgesprochenen förmlichen Zwischenfeststellung darüber, dass das streitgegenständliche Hausgrundstück als Ausstattung der Ausgleichspflicht des Beklagten unterliegt, bedurfte es nicht.
Die für eine solche Qualifizierung relevanten Tatsachen waren im Rahmen der Auskunftsstufe zu klären und erforderten keine gesonderte Feststellung, sodass der Hinweis auf die Unzulässigkeit des ursprünglich gestellten Antrags auf die Zwischenfeststellung dieser Rechtsbeziehung zu Recht erfolgt ist, ohne dass hierin vorgreiflich darüber entschieden worden wäre, ob der Grundstücksübertragung ein Ausstattungscharakter zukommt oder nicht.
Feststeht – und dies bedurfte insoweit keiner Auskunft seitens des Beklagten als Erben – dass das Hausgrundstück …[A], bestehend aus acht Wohn- und zwei Ladeneinheiten dem Beklagten im Jahre 1993 unentgeltlich zugewendet und im notariellen Schenkungsvertrag mit einem Verkehrswert von 600.000,00 DM bewertet wurde.
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Über diese unstreitigen Tatsachen hinaus hat der Beklagte ergänzend zu seinen sozialen und wirtschaftlichen Vermögens-, Einkommens- und Lebensverhältnissen im Zeitpunkt der Schenkung umfangreich vorgetragen. Angesichts dieses Sachvortrags war es nunmehr an den Klägerinnen darzulegen, dass die Übertragung des Hausgrundstücks entgegen den beklagtenseits dargelegten, der Wertung als Ausstattung widersprechenden (wird im Folgenden näher ausgeführt) Fakten zu der Begründung einer Lebensstellung des Beklagten dienen sollte. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
Als Ausstattungsanlass kommen – neben den hier nicht vorliegenden „klassischen“ Fällen der Verheiratung oder Geschäftsgründung – auch finanzielle Hilfen in Betracht, sofern die Zuwendung sich nicht in einer Hilfe aus aktueller Not erschöpft („schnell mal geholfen“), sondern der Begründung und Erhaltung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit des Abkömmlings dient oder zu dienen bestimmt ist. Darüber, ob eine Zuwendung als Ausstattung anzusehen ist, entscheidet nicht die von den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern der objektiv zu ermittelnde Zuwendungszweck.
Der notarielle Schenkungsvertrag vom 04.11.1993 lässt einen solchen Zuwendungszweck nicht unmittelbar erkennen. Auch wenn bei größeren Zuwendungen nach der insoweit teilweise vertretenen Literaturmeinung vieles für eine ausgleichspflichtige Ausstattung sprechen kann (MüKoBGB/Fest, 9. Aufl. 2022, BGB § 2050 Rdn. 15), dürfen die Besonderheiten des hier zu beurteilenden Sachverhalts nicht unberücksichtigt bleiben.
Bereits Jahre vor dem Zeitpunkt der Zuwendung des hier in Rede stehenden Hausgrundstücks an den Beklagten (04.11.1993) hatte die Mutter der Klägerinnen, als deren Rechtsnachfolgerrinnen sich die Klägerinnen vorliegend auf ihr Pflichtteilsrecht berufen, ihrerseits Vorempfänge von erheblichem Wert erhalten.
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Wenn die Erblasserin daher in ihrem Schenkungsvertrag vom 04.11.1993 (wenn auch rechtlich unwirksam [§ 2316 Abs. 3 BGB]) verfügt hat: „Ausgleichungen im Sinne der §§ 2050 ff BGB finden daher nicht statt“, erscheint eine unentgeltliche Zuwendung dieser Größenordnung an den Beklagten auch jenseits der Gewährung einer Ausstattung dann plausibel und verständlich, wenn sie mit dem Ziel der Gleichbehandlung beider Geschwister erfolgt ist.
Die Schenkung an den Beklagten datiert auch zeitlich vor der testamentarischen Verfügung der Erblasserin (24.05.1994), mit der sie die Mutter der Klägerinnen enterbte, sodass die angeordnete „Nichtausgleichung“ in dem vorangegangenen notariell verfassten Schenkungsvertrag vom 04.11.1993 zwar im Hinblick auf den späteren Verlust der Erbenstellung und Erlangung der Pflichtteilsberechtigung der Tochter nach § 2316 Abs. 3 BGB keine Wirkung entfalten konnte.
Dies schließt jedoch nicht aus, dass als gedanklicher Auslöser für die vorausgegangene Schenkung an den Beklagten gleichwohl nicht die Gewährung einer Ausstattung, sondern die erstrebte Gleichstellung beider Kinder hinsichtlich der lebzeitig erlangten Vorempfänge das tragende Motiv gewesen sein könnte.
Für die in Betracht kommende seinerzeitige Motivationslage der Erblasserin kommt es dabei auch nicht entscheidend darauf an, ob die Zuwendungen an beide Kinder wertmäßig exakt gleich waren, was von den Klägerinnen vorliegend in Abrede gestellt wird und worauf ihr Klageanspruch im Wesentlichen gestützt wird. Jedenfalls ist zu konstatieren, dass mangels Angabe eines konkreten Zuwendungszwecks im notariellen Schenkungsvertrag vom 04.11.1993 das Bestreben der Erblasserin, dem Beklagten einen Ausgleich für die der Schwester bereits vor Jahren ebenfalls in erheblichem Umfang zugewendeten Vermögenswerte zu verschaffen, nicht als fernliegend angesehen werden kann und sich die Vermutung, die Schenkung solle der Ausstattung des Beklagten dienen, keineswegs aufdrängt.
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Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen sprechen jedoch auch die seinerzeitigen (im Zeitpunkt der Schenkung) bestehenden Lebensumstände des Beklagten nicht für eine Ausstattung, jedenfalls nicht in einem Maße, das eine solche rechtliche Einordnung als bewiesen erscheinen ließe. Soweit der Beklagte vorgetragen hat, er sei im Zeitpunkt der Schenkung bereits 38 Jahre alt und 10 Jahre verheiratet gewesen und er habe auch bereits 4 Kinder gehabt, eine eigene Firma besessen, von deren Einkünften er gut habe leben können und über ein Haus verfügt, dass zu diesem Zeitpunkt bereits schuldenfrei gewesen sei, haben die Klägerinnen diesen Sachvortrag nur pauschal in einer Weise bestritten, die nicht einmal erkennen lässt, welche konkreten Umstände sie in Abrede stellen wollen [Bl. 33 d. e.A.].
Das Lebensalter des Beklagten, der Zeitpunkt der Heirat und die Anzahl der Kinder sind dabei Fakten, die ein schlichtes, ohne jegliche Spezifizierung erfolgtes „Inabredestellen“ ohnehin nicht als ausreichendes Bestreiten oder gar als einen ihrer Beweislast genügenden Sachvortrag erscheinen lassen.
Der Beklagte hat auf den entsprechenden Hinweis des Senats hin anhand entsprechender Unterlagen des Finanzamts …[Z] sein zu versteuerndes Einkommen aus seiner Tätigkeit als Selbstständiger in den Jahren 1990 – 1996 dargelegt.
Selbst wenn man die sich hieraus ergebenden durchschnittlichen Einkünfte auf den Zeitraum bis zu dem Jahr 1993 (das Jahr, in dem die streitgegenständliche Schenkung erfolgte) herunterbricht, so belaufen sich diese jährlich auf 51.321,51 D-Mark.
Bei einer schlichten Umrechnung von D-Mark in Euro (umgerechnet 26.240,27 €) könnten insoweit, wenn man die nicht unerheblichen Einkünfte der Ehefrau des Beklagten gänzlich außer Betracht lassen würde, zwar durchgreifende Bedenken hinsichtlich der Annahme aufkommen, dieses Einkommen wäre ausreichend bemessen, um die Versorgung einer sechsköpfigen Familie sicherzustellen.
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Eine solche Betrachtung würde jedoch den tatsächlichen Lebensverhältnissen nicht gerecht, denn insoweit ist auch einzupreisen, dass Einkünfte dieser Größenordnung in den neunziger Jahren in Anbetracht der im Folgezeitraum stattgefundenen erheblichen Inflations- und Preissteigerungsrate und des dadurch eingetretenen Kaufkraftverlusts einen wesentlich höheren “Versorgungsstandard“ gewährleisteten, als dies mit dem gleichen Einkommen noch heute möglich wäre.
Berücksichtigt man indes diesen zeitlich bedingten Kaufkraftverlust bis zu dem Jahr 2023, entspräche das jährliche Durchschnittseinkommen des Beklagten von 26.240,27 € in den Jahren 1990-1993 im Jahre 2023 einem solchen von mehr als 46.000 € und bewegt sich damit keineswegs in einer Größenordnung, die bereits aufgrund der im Zuge der sekundären Darlegungslast von dem Beklagten vorgetragenen Fakten zugunsten der Klägerinnen die Vermutung gerechtfertigt erscheinen ließe, dass der Beklagte seinerzeit der Zuwendung des streitgegenständlichen Grundbesitzes durch die Erblasserin bedurfte, um einen Mindeststandard seiner Familie zu gewährleisten.
Die von den Klägerinnen angebrachten Zweifel, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Schenkung seinen und den Lebensunterhalt der Familie autonom, ohne die Zuwendung seiner Mutter nicht in angemessener Weise selbstständig zu gestalten in der Lage gewesen wäre, erscheinen vor diesem Hintergrund nicht plausibel, jedenfalls nicht in einer Weise zwingend, dass der von den Klägerinnen zu erbringende Beweis für das Vorliegen einer Ausstattung als geführt anzusehen ist.
Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass bei einem abbezahlten Eigenheim für den Beklagten keine regelmäßigen Wohnkosten mehr zu berücksichtigen waren und auch die Ehefrau des Beklagten im Zeitpunkt der Schenkung über nicht unerhebliche Einkünfte verfügte, die ebenfalls geeignet waren, die Sicherstellung des Familienunterhalts zu garantieren. Schließlich darf auch der eigene Sachvortrag der Klägerinnen bei dieser Betrachtung nicht außer Acht gelassen werden, wenn diese mit Schriftsatz vom 12.09.2022 (Bl. 33 d. e.A.) ausführen: „Finanzielle Mittel, die er besaß, hatte er im Übrigen mehrheitlich von den Zuwendungen seiner Großmutter erhalten.
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Diese Mittel wurden von der Großmutter an ihn „durchgereicht“ um mit den Worten des Beklagten zu sprechen.“ Wurden mithin die Einkünfte des Beklagten, die nach den vorstehenden Feststellungen bereits für sich genommen den Lebensstandard der Familie des Beklagten hinreichend sicherstellten, noch durch das Einkommen der Ehefrau und die sonstigen Zuwendungen Dritter (der Großmutter) „aufgebessert“, so war die Schenkung der streitgegenständlichen Immobilie erst recht nicht erforderlich, um die Mindestversorgung der Familie zu gewährleisten.
Dass der Erhalt der Immobilie hier gegebenenfalls geeignet war, den Beklagten und seine Familie auf ein höheres wirtschaftliches Lebensniveau zu heben, genügt den Anforderungen an die Qualifizierung als „Ausstattung“ aber nicht.
Nach allem haben die Klägerinnen vorliegend nicht beweisen können, dass die an den Beklagten im Jahre 1993 erfolgte Schenkung des Hausanwesens …[A] eine Ausstattung darstellte. Fällt die Zuwendung an den Beklagten damit aber nicht in den Kreis der die Höhe des vermeintlichen Pflichtteilsanspruchs beeinflussenden Parameter, so kann sich auch die Auskunft der Klägerinnen hinsichtlich der wertbildenden Faktoren nach den oben dargelegten Prinzipien nicht auf dieses Schenkungsobjekt erstrecken.
Für die hier allein auf diesen Gegenstand gerichtete Auskunftsstufe besteht damit kein Rechtsschutzbedürfnis, sodass die Klage auf der ersten Stufe abzuweisen und das Teilurteil des Landgerichts Trier daher insoweit aufzuheben war.
Eine Entscheidung des Senats über die Stufenklage insgesamt war auch in Ansehung des zurückgewiesenen Auskunftsverlangens nicht veranlasst, da die begehrte Auskunft hier nur einen Teilgegenstand betrifft, der zwar gegebenenfalls infolge des erheblichen, den Klägerinnen anrechenbaren Vorempfangs ihrer Mutter die Folgen nach sich zieht, dass ein Pflichtteilsanspruch der Klägerinnen insgesamt entfällt; das Vorliegen einer solchen Konstellation entscheidet sich jedoch erst im Rahmen der Leistungsstufe. Da – wie eingangs dargestellt – der Berufungsantrag des Beklagten auch nicht auf eine derart weitgehende Folge gerichtet war, konnte seiner Berufung umfassend entsprochen werden.
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