OLG Koblenz, 5 U 505/10
Klage eines Miterben auf Zustimmung zur Veräußerung eines Nachlassgrundstücks: Veräußerung als Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung; Durchsetzung durch einzelnen Miterben; Streitwert der Klage
Leitsatz
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Beklagte unter Aufhebung des Urteils der 9. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 30. März 2010 verurteilt, die in der vom Direktor des Amtsgerichts a.D. …[A] als amtlich bestelltem Vertreter des Notars Dr. …[B] in …[X] aufgenommenen Urkunde vom 23. Oktober 2009 (UR-Nr. 1209/2008) durch …[C] als Vertreterin ohne Vertretungsmacht in seinem Namen abgegebenen Erklärungen, insbesondere die Auflassung betreffend das im Grundbuch des AG Lahnstein von …[Y] Blatt … unter Flur 101 Nr. 64 eingetragene Grundstück, Erholungsfläche, Bachgarten, 2,65 ar, zu genehmigen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Am 23. Oktober 2008 schlossen die Klägerin und zwei weitere Miterben einen notariellen Vertrag über den Verkauf und die Auflassung eines Grundstücks, das den wesentlichen Teil des Nachlasses bildet. Erwerber ist eine Kirchengemeinde; sie möchte auf dem Grundstück, das an ihr Gelände angrenzt, einen Kindergarten einrichten. Als Kaufpreis wurden 13.515 Euro vereinbart.
Von den nicht zum Notartermin erschienenen Miterben, die vollmachtlos vertreten wurden, verweigerte allein der Beklagte die Zustimmung. Deshalb hat ihn die Klägerin nunmehr vor dem Landgericht auf Abgabe einer Genehmigung verklagt. Nach ihrem Vorbringen ist es praktisch unmöglich, für das Grundstück einen anderen Verkäufer als die Kirchengemeinde zu finden.
Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Streitwert für seine Anrufung zu niedrig sei. Er richte sich nämlich nach dem anteilig auf den Beklagten entfallenden Grundstückswert.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie verfolgt ihr Klageverlangen weiter; hilfsweise beantragt sie die Zurückverweisung des Rechtsstreits in die erste Instanz. Sie meint, der Streitwert sei entsprechend ihrer Erbquote mit der Hälfte des vereinbarten Kaufpreises zu bemessen.
Die Klägerin fordert die Mitwirkung des Beklagten an der entgeltlichen Veräußerung eines ererbten Grundstücks ein. Auf diese Weise erstrebt sie die finanzielle Teilhabe an einem Nachlassgegenstand, dessen reale Teilung unter den Miterben nicht in Betracht kommt. Dabei verlangt sie letztlich ihre Erbquote. Auf den gesamten Veräußerungserlös des Grundstücks erhebt sie keinen Anspruch. Umgekehrt beschränkt sie sich freilich auch nicht darauf, den auf den Beklagten entfallenden Anteil zu reklamieren. Das bedeutet, dass sich der Streitwert weder aus dem vollem Grundstückswert ableitet (dahin jedoch noch BGH MDR 1962, 390; ähnlich auch BGH NJW 1972, 909, 910 und OLG Karlsruhe JurBüro 1992, 418) noch von dem Interesse abhängt, das der Rechtsverteidigung des Beklagten zugrunde liegt (so indessen KG Rpfl. 1962, 156; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rdnr. 3858), sondern mit einem Betrag in Höhe der Hälfte des Grundstückskaufpreises zu bemessen ist, wie er der Klägerin als Miterbin zugute kommt (BGH NJW 1975, 1415, 1416; ebenso Senat, JurBüro 1991, 103; Anders/Gehle, Handbuch des Streitwerts, 2. Aufl., Erbrechtliche Streitigkeiten Rdnr. 4; Herget in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 3 Rdnr. 16 Erbrechtliche Ansprüche; Mümmler JurBüro 1994, 364; Roth in Stein/ Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 2 Rdnr. 21).
Er ergibt sich aus § 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil das streitige Grundstücksgeschäft eine Verwaltungsmaßnahme im Sinne der Vorschrift ist, die – wie die unmittelbare Beteiligung von drei Miterben am notariellen Vertragsschluss und dessen Genehmigung durch zwei weitere Miterben zeigen – aufgrund einer mehrheitlichen Entscheidung durchgeführt werden soll. Es ist anerkannt, dass sich die Verwaltung eines Nachlasses nicht in dessen Sicherung, Erhaltung und Nutzung erschöpft, sondern auch die Veräußerung von Nachlassgegenständen umfasst (BGH NJW 2006, 439, 440; Gergen in Münchner Kommentar, BGB, 5. Aufl., § 2038 Rdnr. 16). Allerdings folgt daraus nicht, dass kraft Mehrheitsbeschlusses jedwede Verfügung zulässig wäre. Veräußerungen, die eine „wesentliche Veränderung“ nach sich ziehen, sind gegen den Willen einzelner Miterben nicht möglich (§§ 2038 Abs. 2 Satz 1, 745 Abs. 3 Satz 1 BGB). Zudem ist die Mehrheitsmeinung nur dann verbindlich, wenn es um die „ordnungsgemäße“ Verwaltung des Nachlasses geht (§ 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB). Indessen ergeben sich dieserhalb für den vorliegenden Fall keine Hindernisse.
Eine solche Gefahr ist hier jedoch weder behauptet noch sonst ersichtlich. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass der an die Erbengemeinschaft zu zahlende Verkaufserlös, der an die Stelle der Immobilie tritt (§ 2041 Satz 1 BGB), kein marktgerechtes Entgelt darstellen würde. Überdies prägt das streitige Grundstück – auch wenn sein Wert verglichen mit den anderen ererbten Gegenständen hoch ist – den Nachlass nicht essentiell. Es ist nicht bebaut und wird augenscheinlich nicht weiter genutzt. Daneben gibt es ein zweites unbebautes Grundstück, das sogar noch größer ist.
Für das Grundstück gibt es aufgrund der Lage und des Zuschnitts keinen anderen Kaufinteressenten als die Kirchengemeinde. Eine Eigennutzung wird nicht erwogen. Die bloße Hoffnung des Beklagten darauf, von dritter Seite einen höheren Kaufpreis zu erlangen, hat, soweit zu erkennen ist, keinen greifbaren Hintergrund. Das Grundstück ist seit 25 Jahren Nachlassgegenstand. Dass in dieser Zeit irgendwelche Früchte oder Gebrauchsvorteile hätten gezogen werden können, erschließt sich nicht. Im Hinblick darauf ist der Beklagte gehalten, die ihm abverlangte Zustimmung zu erteilen.
Streitwert für beide Instanzen: 6.757,50 Euro