OLG Köln, Urteil vom 17.04.2015 – 20 U 218/14
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. November 2014 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn ? 9 O 282/14 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf verzinsliche Erstattung der von ihr auf den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag geleisteten Prämien gemäß § 812 Abs. 1 BGB. Der Versicherungsvertrag ist auf der Grundlage des Policenmodells gemäß § 5a Abs. 1 VVG a.F. wirksam mit Versicherungsbeginn zum 1. November 2007 zustande gekommen. Die Klägerin hat dem Vertragsschluss nicht binnen der vorliegend maßgebenden Frist von 30 Tagen nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen widersprochen (§ 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.). Der erst mit Anwaltsschreiben vom 20. Juli 2010 erklärte Widerspruch war verfristet.
Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 (Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen nach § 10a VAG) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.
Dass der Klägerin die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen gemäß § 10a VAG mit dem Versicherungsschein übersandt wurden, steht zwischen den Parteien nicht im Streit.
Die Widerspruchsbelehrung, die sich im Versicherungsschein vom 24. November 2007 befindet (Anlage K 1), lautet:
Der Vertrag gilt auf Grundlage dieses Versicherungsscheins, der darin enthaltenen Versicherungsbedingungen und der ebenfalls für den Vertragsabschluss maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 30 Tagen in Textform widersprechen. Der Lauf dieser 30-tägigen Widerspruchsfrist beginnt, wenn Ihnen die o.g. Unterlagen – einschließlich dieser Belehrung über das Widerspruchsrecht – vollständig vorliegen.
Der Umfang einer vollständigen Information regelt § 10a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) in Verbindung mit der Anlage D zu diesem Gesetz.
Wenn Sie die Unterlagen nicht vollständig erhalten haben oder die Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht erfolgte, erllischt abweichend von Satz 2 Ihr Recht zum Widerspruch spätestens ein Jahr nach Zahlung des ersten Beitrags. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.
Im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben macht diese Belehrung dem Versicherungsnehmer ausreichend deutlich, welche Unterlagen ihm vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist beginnt. Die Belehrung ist auch in drucktechnisch deutlicher Form erfolgt.
Dies fordert ausreichende Lesbarkeit und setzt die Verwendung einer hinreichend großen Schrift voraus (vgl. BGH, NJW 2011, 1061). Darüber hinaus muss sich der Belehrungstext in einer nicht zu übersehenden Weise (etwa durch farbliche Gestaltung, größere Buchstaben, Sperrschrift oder Fettdruck) aus dem übrigen Text hervorheben (vgl. BGH, NJW 2009, 3060). Dem ist hier ausreichend dadurch Rechnung getragen worden, dass die Widerspruchsbelehrung auf den Seiten 2/3 des Versicherungsscheins vollständig – sowohl die seitlich angebrachte Überschrift als auch der gesamte Belehrungstext – in Fettdruck hervorgehoben ist. Eine Widerspruchsbelehrung kann zwar, auch wenn sie in Fettdruck erfolgt, ausnahmsweise dann nicht ausreichen, wenn dem Versicherungsnehmer mit dem Versicherungsschein auch ein Konvolut von Vertragsunterlagen übersandt wird und die Belehrung darin nahezu untergeht. Das hat der Bundesgerichtshof in einem Fall bejaht, in dem der Versicherungsschein, der die Belehrung enthielt, aus 8 Seiten bestand und weitere 17 Seiten mit AVB und sonstigen Hinweisen mitübersandt wurden (VersR 2004, 497). Davon unterscheidet sich die Vorgehensweise der Beklagten hier insofern maßgebend, als der Versicherungsschein selbst nur aus 3 Seiten besteht, so dass der auf den Seiten 2/3 mit Fettdruck hervorgehobene Widerspruchstext bei aufmerksamer Durchsicht jener Seiten nicht übersehen werden kann.
Die Belehrung ist auch nicht deswegen formal zu beanstanden, weil sie, wie die Klägerin meint, auch Bestandteile enthält, die nicht notwendig in die Belehrung aufgenommen werden müssen. Das unterliegt aber allenfalls dann Bedenken, wenn der wesentliche Inhalt der Belehrung für die Versicherungsnehmer nicht mehr hinreichend erkennbar ist. Die Kerninformationen erhält der Versicherungsnehmer im ersten Absatz der Belehrung sowie im letzten Satz. Die weiteren Informationen sind nicht irreführend und stellen eine sinnvolle Ergänzung des zwingend notwendigen Textes dar. Das ist unbedenklich.
Die Belehrung ist auch nicht deshalb inhaltlich fehlerhaft, weil auf die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. hingewiesen worden ist. Damit wurde der damals maßgebende Gesetzestext wiedergegeben. Dass die Bestimmung auf Lebensversicherungsverträge keine Anwendung findet, steht erst seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Mai 2014 fest.
Schließlich muss in der Belehrung der Begriff der Textform nicht näher erläutert werden. Auch das verlangt § 5a Abs. 2 VVG a.F. nicht (ständige Rechtsprechung des Senats; ebenso etwa OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 17. Januar 2013 – 4 U 32/12 -, juris-Rz. 32; OLG München, Urt. v. 21. August 2012 ? 25 U 526/12 -, juris-Rz. 21).
Da die Beklagte die Klägerin mithin über ihr Widerspruchsrecht wirksam belehrt und ihr die notwendigen Vertragsunterlagen mit Zusendung des Versicherungsscheins überlassen hat, hätte die Klägerin das Widerspruchsrecht spätestens innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der Unterlagen ausüben müssen, was vorliegend nicht geschehen ist.
2.
Ob § 5a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 1 VVG a.F. gegen europäisches Recht verstößt, bedarf keiner Entscheidung. Der Senat ist auch nicht gehalten, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob das Policenmodell im Einklang steht mit den Bestimmungen in Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II Buchstabe A der Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10. November 1992 bzw. Art. 36 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Buchstabe A der die erstgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 sowie mit Art. 15 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie (Richtlinie 90/619/EWG vom 8. November 1990) bzw. Art. 35 der die vorgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002. Einer Vorlage bedarf es deshalb nicht, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den in Rede stehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vereinbar ist, nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 -).
Hierzu hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es einem Versicherungsnehmer, der mit Überlassung der Versicherungspolice die Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformationen und eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. erhalten hat, auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach nationalem Recht gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (BGH, VersR 2014, 1065). Dem schließt sich der Senat an.
Es bedarf auch keiner Vorlage an den EuGH zur Entscheidung darüber, ob das Recht zur Lösung vom Vertrag verwirkt sein kann. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben auf den Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht. Die generellen Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt (BGH, aaO, Rz. 42; BVerfG, aaO, Rz. 43 ff.). Danach ist eine missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet (zuletzt etwa EuGH, ZfZ 2014, 100, Rz. 29). Rechtsmissbräuchliches Verhalten kann sich auf der Grundlage lediglich objektiver Kriterien ergeben, soweit die mit der einschlägigen Bestimmung verfolgten Zwecke beachtet werden (so insbes. EuGH, Slg. 2000, I-1705, Rz. 34). Wenn – wie vorliegend – der Versicherungsnehmer über sein Vertragslösungsrecht vor Wirksamwerden des Vertrags ordnungsgemäß belehrt wird und er die notwendigen Vertragsunterlagen rechtzeitig erhalten hat, dann sind die mit der Dritten Richtlinie Lebensversicherung angestrebten Ziele erreicht worden (s. BGH, aaO, Rz. 42; BVerfG, aaO, Rz. 47). Demgemäß ist es treuwidrig, wenn sich der solchermaßen belehrte und informierte Versicherungsnehmer unter Berufung auf ein (unterstelltes) gemeinschaftswidriges Zustandekommen des Vertrags von diesem nach Jahren wieder lösen will. Er würde sich dadurch gegenüber den vertragstreuen Versicherungsnehmern einen objektiv widerrechtlichen Vorteil verschaffen.
Die Treuwidrigkeit des Verhaltens der Klägerin ergibt sich vorliegend daraus, dass sie den Vertrag bis zur Erklärung des Widerspruchs fast 3 Jahre lang durch Zahlung der Beiträge durchgeführt und dadurch bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrags begründet hat.
3.
Auf einen Schadensersatzanspruch wegen unrichtiger Widerspruchsbelehrung beruft sich die Klägerin in der Berufung nicht mehr; ein solcher Anspruch würde auch daran scheitern, dass die Beklagte die Klägerin vorliegend korrekt über ihr Recht zum Widerspruch belehrt hat.
4.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Zur Zulassung der Revision besteht nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2014 (VersR 2014, 1065) und der Zurückweisung der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 2. Februar 2015 (aaO) keine Veranlassung mehr.
Der Streitwert wird für beide Instanzen – für die erste Instanz unter Abänderung der Festsetzung im angefochtenen Urteil – auf
6.904,50 €
festgesetzt. Bei der Festsetzung des Gebührenstreitwerts ist zu berücksichtigen, dass die von der Klägerin als Anspruch auf Ersatz tatsächlich gezogener Nutzungen (§ 818 Abs. 1 BGB) geltend gemachte Zinsforderung aus den der Beklagten überlassenen Versicherungsbeiträgen eine den Streitwert nicht erhöhende Nebenforderung im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG darstellt (vgl. BGH, NJW-RR 2000, 1015). Daran ändert es nichts, dass sie vorliegend mit der Hauptforderung auf Rückerstattung der Beiträge als einheitliche Klageforderung im Klageantrag verfolgt wird. Auf diese Weise werden Nebenforderungen nicht zu Hauptforderungen (BGH, aaO).
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