OLG München 31 Wx 266/12 Testierfähigkeit: „Luzides Intervall“ bei chronisch-progredienter Demenz
Liegt aufgrund einer chronisch-progredienten Demenz Testierunfähigkeit vor, ist ein “luzides Intervall” praktisch ausgeschlossen.

Tenor

I.
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 12. Juni 2012 wird zurückgewiesen.
II.
Der Beteiligte zu 1 hat die dem Beteiligten zu 2 im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 210.000 € festgesetzt.

Gründe OLG München 31 Wx 266/12

I.
Die Erblasserin ist Mitte Mai 2011 im Alter von 65 Jahren verstorben; sie litt an der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung. Vom 5.8.2010 bis 1.9.2010 wurde sie stationär behandelt, ab 1.9.2010 lebte sie im Pflegeheim. Ihr Ehemann ist Anfang September 2010 vorverstorben. Der Beteiligte zu 1 ist ihr einziger Sohn. Der Beteiligte zu 2 ist eine gemeinnützige Organisation.
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Es liegen mehrere letztwillige Verfügungen vor. Mit gemeinschaftlichem Testament vom 1.5.1995 setzten sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben, den Sohn zum Schlusserben ein. Mit Erbvertrag vom 20.10.2006 hoben sie das Testament auf und setzten sich gegenseitig sowie den Sohn als Miterben zu je 1/2 ein, wobei der Sohn Vorerbe, der Überlebende Nacherbe sein sollte und dem Überlebenden ein Nießbrauchsrecht vorbehalten wurde.
Mit gemeinschaftlichem Testament vom 25.7.2008, das von der Erblasserin handschriftlich geschrieben und unterschrieben, vom Ehemann unterschrieben wurde, hoben die Ehegatten den Erbvertrag auf, setzten sich gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmten als alleinigen Schlusserben den Beteiligten zu 2. Ferner erklärten sie, dass sämtliche im Testament niedergelegten Verfügungen – soweit zulässig – wechselbezüglich seien, nach dem Tod eines Teils aber der überlebende Teil berechtigt sei, einseitig das Testament beliebig zu ändern.
Mit notarieller Urkunde vom 20.8.2010 erklärte die Erblasserin für sich im eigenen Namen und aufgrund der General- und Vorsorgevollmacht auch im Namen ihres Ehemannes den Widerruf der gemeinsamen privatschriftlichen Testamente vom 1.5.1995 und vom 28.7.2008 und nahm als Vertreterin ihres möglicherweise nicht mehr geschäfts- und testierfähigen Ehemannes die Widerrufserklärungen entgegen. Ferner setzte sie ihren Sohn zum Alleinerben ein, unter der Voraussetzung, dass keine Bindung mehr aus dem notariellen Erbvertrag bestehe.
Mit notariellem Testament vom 14.9.2010 setzte sie erneut ihren Sohn zum Alleinerben ein, um Zweifel an der Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung vom 20.8.2010 auszuschließen. Der beurkundende Notar versah das Testament vom 14.9.2010 mit der „Feststellung: Trotz der zittrigen Unterschrift von Frau F. bestehen an ihrer Testierfähigkeit keine Zweifel“.
Der Beteiligte zu 1 stellte am 31.5.2011 den Antrag, ihm einen Erbschein als Alleinerben aufgrund der letztwilligen Verfügung vom 14.9.2010 zu erteilen. Die Erblasserin sei geschäftsfähig gewesen; sie habe am 23.8.2010 in einem (ihm nicht vorliegenden) Demenztest 28 von 30 möglichen Punkten erreicht. Das bestätige die Einschätzung des Notars. Auch der Masseur habe bei den Behandlungen am 16. und 24.9.2010 eine normale Konversation mit der Erblasserin führen können und erst ab Mitte Oktober 2010 eine rapide Verschlechterung festgestellt.
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Das Nachlassgericht holte schriftliche Stellungnahmen des Notars, der behandelnden Ärzte und des Pflegeheims ein, zog die Patientenakte des Klinikums bei und ließ zur Frage der Testeierfähigkeit der Erblasserin am 20.8.2010 und 14.9.2010 ein psychiatrisches Gutachten vom 10.2.2012 erstatten. Der Sachverständige Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, kam zu dem Ergebnis, die Erblasserin habe wegen eines demenziellen Syndroms im Rahmen einer Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung sowohl am 20.8. als auch am 14.9.2010 die Bedeutung der von ihr abgegebenen Willenserklärungen weder einsehen noch nach dieser Einsicht handeln können.
Der Beteiligte zu 1 legte daraufhin die eidesstattliche Versicherung des Zeugen Sch. dazu vor, dass die Erblasserin sich bei der Beerdigung ihres Ehemannes am 8.9.2010 mit anderen Anwesenden unterhalten und geistig völlig normal gewirkt habe, sowie eine Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin Dr. T., der es als wahrscheinlich ansah, dass die Patientin während ihrer Krankheit wahrscheinlich zumindest zeitweise in einem Zustand der Geschäfts- und Testierfähigkeit gewesen sei.
Mit Beschluss vom 12. Juni 2012 wies das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurück. Der Beteiligte zu 1 legte dagegen Beschwerde ein. Zur Begründung trug er vor, das Amtsgericht habe die Erklärung des Notars nicht hinreichend gewürdigt, aufgrund derer zu den Zeitpunkten der Beurkundung zumindest von einem lichten Intervall auszugehen sei. Der Sachverständige habe übersehen, dass sich der Zustand der Erblasserin durch starke Schwankungen ausgezeichnet habe. Dem Gutachten lasse sich auch nicht entnehmen, dass lichte Augenblicke unmöglich gewesen wären.
Die Erblasserin sei mehrfach von anderen Personen als völlig normal wahrgenommen worden, wie sich aus den eidesstattlichen Versicherungen seiner Ehefrau, deren Mutter und der Ehefrau des Großvaters ergebe. Der Beteiligte zu 1 legte außerdem mehrere gutachtliche Stellungnahmen des Neurologen Dr. B. und des Arztes für Neurologie, Psychiatrie sowie Verkehrsmedizin Dr. G. vor, die ein lichtes Intervall bzw. Schwankungen zwischen leichtgradiger und mittelgradiger Ausprägung einer Demenz für möglich hielten.
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Der Senat forderte die Dokumentation des Pflegeheimes für den Zeitraum vom 1.9.2010 bis 31.10.2010 an, außerdem die Befunde, die von den ärztlichen Mitarbeitern der Prionforschungsgruppe der Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Göttingen (Nationales Referenzzentrum für Transmissible Spongiforme Enzephalopathien) im Zeitraum vom 23.8. bis 19.10.2010 erhoben worden waren. In seinem ergänzenden Gutachten vom 13.5.2013 kam der Sachverständigen Dr. D. zu dem Ergebnis, die Beurteilung im Gutachten vom 10.2.2012 werde untermauert durch die nun zusätzlich vorliegenden ärztlichen Unterlagen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Nachlassgericht hat zu Recht den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Die Testamente vom 20.8.2010 und vom 14.9.2010 sind nichtig, weil die Erblasserin zur Überzeugung des Senats bei deren Errichtung testierunfähig war.
1. Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Testierfähigkeit setzt somit voraus, dass der Testierende selbstbestimmt handeln und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen kann.
Der Testierende muss nicht nur erfassen können, dass er ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen Verfügungen aufweisen. Er muss auch imstande sein, den Inhalt des Testaments von sich aus zu bestimmen und sich aus eigener Überlegung ein klares Urteil über die Tragweite seiner Anordnungen zu bilden.
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Das erfordert, dass er sich die für und gegen die Anordnungen sprechenden Gründe vergegenwärtigen und sie gegeneinander abwägen kann. Es muss ihm deshalb bei der Testamentserrichtung möglich sein, sich an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen (vgl. OLG München FamRZ 2007, 2009/2011 m. w. N.; Palandt/Weidlich BGB 72. Aufl. 2013 §2229 Rn. 2 m. w. N.).
2. Die Erblasserin hat an einer Demenz bei Creutzfeldt-Jacob-Krankheit gelitten, was auch der Beschwerdeführer nicht in Zweifel zieht. Diese ist definiert ist als „eine progrediente Demenz mit vielfältigen neurologischen Symptomen als Folge spezifischer neuropathologischer Veränderungen (subakute spongiöse Enzephalopathie)“, vgl. S. 16 des Gutachtens vom 10.2.2012.
Nach Überzeugung des Senats waren die damit einhergehenden geistigen Einschränkungen von Anfang August 2010 an durchgehend so schwerwiegend, dass die Erblasserin zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage war. Der Senat folgt insoweit den schlüssigen, von Sachkunde getragenen Ausführungen des Sachverständigen Dr. D., der sowohl die ärztlichen Befunde und die Beobachtungen von Pflegepersonen als auch die Wahrnehmungen des Notars und verschiedener Kontaktpersonen in seine Beurteilung einbezogen hat.
a) Zum Krankheitsverlauf hat der Sachverständige dargestellt, dass die Erblasserin bereits bei der Erstuntersuchung am 5.8.2010 die Umstände der Aufnahme nicht habe rekapitulieren können und zeitlich und räumlich nicht vollständig orientiert gewesen sei. Bei der Verlegung auf die Intensivstation am selben Abend sei sie als nur zur Person orientiert bezeichnet worden. In den Folgetagen seien optische Halluzinationen sowie Störungen der Orientierung beschrieben. Logopädische Befunde in dieser Behandlungsphase dokumentierten kognitive Defizite sowie eine hohe Ablenkbarkeit.
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Nach der Verlegung auf die Normalstation am 10.8.2010 sei im Aufnahmebogen Verwirrtheit und Vergesslichkeit dokumentiert. Anhaltendes halluzinatorisches Erleben habe zur Verordnung eines Neuroleptikums geführt. In den folgenden Tagen sei die Erblasserin vom Pflegedienst als leicht gebessert wahrgenommen worden, allerdings seien am 13.8.2010 erneut optische Halluzinationen festgestellt worden.
Während der Behandlung auf der Abteilung für Frührehabilitation vom 16.8. bis 26.8.2010 sei ein differenzierter neuropsychologischer Befund erstellt worden, der ausgeprägte kognitive Störungen insbesondere der Gedächtnisfunktionen aufgeführt habe. Neben Störungen der Konzentrationsfähigkeit und einer leichten zeitlichen Orientierungsstörung seien auch wiederholt Konfabulationen beschrieben.
Dabei handele es sich um spontane Einfälle, mit denen Erinnerungslücken ausgefüllt würden. Dabei würden wechselnde Antworten auf die gleiche Frage gegeben; der Kranke bemerke die Unterschiedlichkeit seiner Angaben nicht, weil er sowohl den tatsächlichen Sachverhalt als auch seine vorherigen Antworten vergessen habe.
Bei der am 23.8.2010 von der Prionenforschungsgruppe durchgeführten klinischen Untersuchung sei die Erblasserin „wach und zur Person orientiert, jedoch nicht zu Ort, Zeit und Situation“ gewesen. Der Mini-Mental-Status habe 13 von 30 Punkten ergeben. Sie habe zwar das Jahr (2010) angeben können, nicht aber das Datum, den Monat, den Wochentag oder die Jahreszeit. Auch ihren Aufenthaltsort habe sie nicht gewusst.
Von drei vorgegebenen Begriffen habe sie bereits nach kurzer Zeit keinen einzigen korrekt wiedergeben können. Die Aufgabe, den Satz „Bitte schließen Sie die Augen“ vorzulesen und anschließend die entsprechende Handlung auszuführen, habe sie nicht bewältigt. Sie habe auch nicht die Aufforderungen in die Tat umzusetzen können, ein Blatt in die rechte Hand zu nehmen, es zu falten und auf den Schoß zu legen, einen vollständigen Satz zu schreiben oder eine geometrische Figur abzuzeichnen.
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Zur weiteren Einstufung des Schweregrades der kognitiven Defizite sei ein SMMSE (Severe-Mini-Mental-State Examination) durchgeführt worden, der bei niedrigen Punktzahlen im Mini-Mental-Status eine differenzierte Angabe ermögliche. In diesem habe die Erblasserin 28 von 30 möglichen Punkten erreicht, wobei Werte um 25 in diesem Test 5 bis 9 im Mini-Mental-Status entsprächen. Im Uhrentest sei die Erblasserin der Aufgabenstellung in keinster Weise gerecht geworden.
Bei der ärztlichen Erstuntersuchung durch Dr. P. im Pflegeheim sei die Erblasserin örtlich und zeitlich desorientiert gewesen und habe Fragen inadäquat beantwortet. Bei der fachärztlichen neurologisch-psychiatrischen Visite von Dr. K. am 15.9.2010 sei eine schwere Demenz festgestellt worden, mit Störungen der Auffassung, des formalen Denkens und des Realitätsbezugs. Bei der klinischen Untersuchung durch die Prionenforschungsgruppe am 19.10.2010 habe die Erblasserin im Mini-Mental-Status nur noch 5 von 30 möglichen Punkte erzielt, im SMMSE korrelierend dazu 11 Punkte.
b) Der Sachverständige hat erläutert, dass das delirante Syndrom nur vom 6.8. bis 10.8.2010 während des Aufenthalts auf der Intensivstation vorgelegen habe, und vermutlich auf dem Boden der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung durch einen fieberhaften Infekt und mögliche mangelnde Flüssigkeitszufuhr im Vorfeld der Wohnungsöffnung bedingt gewesen sei. Für ein manifestes Delir am 20.8.2010 oder am 14.9.2010 gebe es keine konkreten Hinweise.
Die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung manifestiere sich zum einen in neurologischen, körperlichen Symptomen, zum anderen in einem rasch progredienten demenziellen Syndrom. Bereits bei der Aufnahme im Krankenhaus am 5.8.2010 seien eindeutige klinische Zeichen einer kognitiven Beeinträchtigung im Rahmen der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung festzustellen. Während des Aufenthaltes auf der Intensivstation sei das Störungsbild durch zusätzliche delirante Symptomatik überlagert gewesen.
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Die vorliegenden Befunde belegten aus psychiatrischer Sicht lückenlos, dass die Erblasserin von ihrer Aufnahme im Krankenhaus an erhebliche psychopathologische Störungen aufgewiesen habe, und zwar in Form von Orientierungsstörungen, halluzinatorischem Erleben und insbesondere Defiziten der Konzentrationsfähigkeit und der Merkfähigkeit.
Auch nach Abklingen des Delirs habe sie einem starken Verlust an Realitätsbezug unterlegen und sei in ihrer Kritik- und Urteilsfähigkeit massiv beeinträchtigt gewesen. Nach der Verlegung ins Pflegeheim habe sich der Zustand der Erblasserin kontinuierlich verschlechtert. Das werde bestätigt durch die Befunde im Mini-Mental-Test von 13 Punkten am 23.8.2010 und von nur noch 5 Punkten am 19.10.2010.
Zu den Schilderungen des Notars, des Masseurs und weiterer Kontaktpersonen, mit der Erblasserin im relevanten Zeitraum „normal“ kommuniziert zu haben, hat der Sachverständige angemerkt, dass auch ausgeprägte Störungen erst dann zutage träten, wenn spezifische Diagnostik zum Einsatz komme; selbst schwerste Einbußen der psychischen Funktionen würden von psychiatrischen Laien oft nicht erkannt.
c) Der Sachverständige hat unter Hinweis auf die einschlägige psychiatrische Fachliteratur (insbesondere Cording, Die Beurteilung der Testier(un)fähigkeit in: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 2004, 147/156 f.) überzeugend dargelegt, dass bei chronisch-progredienten Störungen wie demenziellen Syndromen lichte Momente (luzide Intervalle) mit Wiedererlangen der Urteilsfähigkeit praktisch ausgeschlossen seien.
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Die ursprüngliche Vorstellung von „luziden Intervallen“ habe sich auf die meist Monate bis Jahre dauernden symptomfreien Intervalle bei phasenhaft verlaufenden Psychosen bezogen. Erst nach einem Bedeutungswandel im 19. Jahrhundert werde der Begriff seither meist für kurzdauernde Zustandsbesserungen während eines an sich chronischen Krankheitsprozesses verwendet. In der juristischen Literatur würden beide Arten von „Intervallen“ nicht unterschieden, wodurch Konfusion entstünde.
Bei chronischen und chronisch-progredienten Störungen (wie Demenzen, chronische hirnroganische Psychosyndrome bzw. Persönlichkeitsveränderungen oder chronische Schizophrenien) richte sich die Beurteilung der Testierfähigkeit nach den im fraglichen Zeitraum vorhandenen Dauerveränderungen, die sorgsam von den sich ggf. überlagernden passageren Zusatzsymptomen (z. B. deliranten bzw. Verwirrtheitszuständen) abzugrenzen seien.
Wenn im Rahmen einer seit mehreren Monaten oder gar Jahren bestehenden Erkrankung ihrem Wesen nach chronische psychopathologische Symptome bzw. Syndrome belegt seien, die Testierunfähigkeit bedingten, so seien kurzfristige (Stunden, Tage dauernde) „luzide Intervalle“ mit Wiedererlangen der Urteilsfähigkeit so gut wie ausgeschlossen.
Es habe nichts mit „luziden Intervallen“ zu tun, wenn sich chronisch verlaufende Erkrankungen unter günstigen Umständen und entsprechender Behandlung allmählich im Verlauf von Monaten besserten oder gar zurückbildeten. Für Demenzen und ähnliche Syndrome sei zu berücksichtigen, dass während der Zeit ihres Bestehens viele Informationen häufig gar nicht oder nicht realitätsgerecht aufgenommen, verarbeitet und abgespeichert worden seien.
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Selbst im seltenen Fall einer weitgehenden Besserung bestehe hier zunächst eine erhebliche Lücke in der geistigen und psychischen Repräsentanz relevanter Umweltinformationen und der eigenen Biografie. Sie müsse erst wieder adäquat mit Informationen gefüllt werden, bevor die persönliche Sinnkontinuität des eigenen Lebens wieder hergestellt sei.
Es könne auch nicht angenommen werden, dass die intellektuelle Befindlichkeit der Erblasserin im relevanten Zeitraum erheblichen Schwankungen bis hin zur Wiedererlangung der Testierfähigkeit unterworfen gewesen sei. Es sei kein Beleg für streckenweise verbesserte intellektuelle Fähigkeiten, dass die Erblasserin nur vom 6.-10.8.2010 delirante Syptomatik aufgewiesen habe und von den Pflegekräften zum Teil Halluzinationen beobachtet worden seien, zum Teil auch nicht.
Die delirante Symptomatik sei definitionsgemäß von vorübergehender Natur, sie pfropfe sich häufig auf vorbestehende demenzielle Syndrome auf. Es sei nicht plausibel, aus den Schwankungen der deliranten Symptomatik den Schluss zu ziehen, auch die zugrundeliegende demenzielle Symptomatik sei starken Schwankungen unterworfen.
3. Die fundierten und von Sachkunde getragenen Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. werden durch die Einwände des Beschwerdeführers, insbesondere die vorgelegten Stellungnahmen von Privatgutachtern, nicht in Zweifel gezogen.
a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind die Angaben des Notars auch in Anbetracht seiner langen Berufserfahrung nicht geeignet, entgegen den medizinischen Befunden die Testierfähigkeit der Erblasserin zu belegen. Sein Eindruck, die Erblasserin sei an beiden Tagen in einem körperlich geschwächten Zustand, geistig jedoch noch auf der Höhe gewesen, sind mit den fachärztlichen Befunden und der zeitnah durchgeführten fachspezifischen Diagnostik zur geistigen Leistungsfähigkeit der Erblasserin nicht zu vereinbaren.
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Die Tatsache, dass die Erblasserin gegenüber dem Notar den Wunsch äußern konnte, ihr Sohn solle ihr Erbe sein, kann nicht gleichgesetzt werden mit der für die Testierfähigkeit entscheidenden Frage, ob sie den Inhalt des Testaments von sich aus bestimmen und sich aus eigener Überlegung ein klares Urteil über die Tragweite ihrer Anordnungen bilden konnte. Dasselbe gilt für den Umstand, dass die Erblasserin dem Vorschlag zur Errichtung einer Vorsorgevollmacht gefolgt ist, eine Patientenverfügung aber abgelehnt hat.
b) Die vorgelegten Privatgutachten verkennen den Begriff der Testierfähigkeit, klammern die neuropsychologischen Befunde weitgehend aus und bauen ihre Beurteilung im Wesentlichen auf den unkritisch übernommenen subjektiven Wahrnehmungen psychiatrischer Laien auf.
(1) So unterscheidet der Internist Dr. T. nicht zwischen (vorübergehender) deliranter und (durchgehend vorhandener) dementieller Symptomatik. „Sehr starke Fluktuationen in Bezug auf ihre geistigen Fähigkeiten … auch innerhalb kürzerer Zeiträume“ leitet er daraus ab, dass laut Pflegeberichten am 13., 14. und 15. 8.2010 keine Halluzinationen beobachtet worden waren, am 16.8.2010 hingegen schon.
Aus dem Umfang der Flüssigkeitsaufnahme am 20.8.2013 schließt er auf die Geschäfts- und Testierfähigkeit. Seine mangelnde fachliche Kompetenz für die Beurteilung der Testierfähigkeit zeigt sich auch in der laienhaften Behauptung, Demenzkranke seien in emotionalen Angelegenheiten geistig klarer als bei belanglosen Themen. Emotionale Betroffenheit mag dazu führen, dass der Demenzkranke seinen Willen nachdrücklich äußert, sie kann aber die abhanden gekommenen kognitiven Fähigkeiten nicht wiederherstellen, die zur Bildung eines freien Willens unabdingbar sind.
(2) Der Neurologe Dr. B. sieht es durch die Schilderungen des Notars und der Kontaktpersonen als nachgewiesen an, dass zu den zur Diskussion stehenden Zeiten eine normale Unterhaltung mit der Erblasserin möglich gewesen, diese mehrfach ihren Willen geäußert habe und folglich testierfähig gewesen sei. Damit setzt er in unzulässiger Weise die Äußerung eines Willens mit der Fähigkeit zur Willensbildung gleich.
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Er hält „lichte Momente“ für möglich und plausibel, weil auch bei fortschreitender Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung „Zustandswechsel möglich“ seien; Halluzinationen seien nicht ständig vorhanden, die Patienten müssten nicht in einem anhaltenden Verwirrtheitszustand verbleiben.
Auch darin zeigt sich ein mangelndes Verständnis der Voraussetzungen der Testierfähigkeit, denn nach dem Abklingen von Halluzinationen und Verwirrtheitszuständen können wesentliche kognitive Funktionen wie Merk-, Kritik- und Urteilsfähigkeit weiterhin beeinträchtigt sein, wie hier durch die Untersuchungen der Prionforschungsgruppe und der Neuropsychologie belegt.
(3) Soweit Dr. G. in seinem Gutachten vom 19.11.2012 den „unauffälligen Mini-Mental-Status-Test“ vom 23.8.2010 als Nachweis dafür betrachtet, dass „mehr als ein lichter Moment, nämlich ein Normalbefund“ vorgelegen habe, der eine „sehr erhebliche Fluktuation“ belege, beruht diese Aussage auf einer Fehlinformation. Das Ergebnis des Mini-Mental-Status-Tests hat nicht 28, sondern nur 13 Punkte von möglichen 30 betragen.
Das ist von einem Normalbefund weit entfernt und wird in der Regel als mittelschwere Demenz interpretiert. Die Aussagekraft dieses Tests wird auch nicht dadurch gemindert, wie im Gutachten von Dr. G. vom 7.6.2013 unterstellt, dass „die körperlichen Funktionen der Erblasserin erheblich eingeschränkt waren und sie ihre Hände nicht bewegen konnte“.
Die Erblasserin war zu diesem Zeitpunkt entgegen der Unterstellung von Dr. G. noch in der Lage, zu schreiben. Sie hat das Testament vom 20.8.2010 selbst unterschrieben. Im Mini-Mental-Status hat sie eine (sinnlose) Aneinanderreihung von Buchstaben statt des verlangten vollständigen Satzes und gekreuzte Striche statt der sich überschneidenden Fünfecke zu Papier gebracht. Im Uhrentest hat sie Zahlen geschrieben, allerdings nur in der rechten Hälfte.
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Im SMMSE hat sie – wie verlangt – Vor- und Nachnamen niedergeschrieben sowie einen Kreis und ein Viereck gezeichnet. Die Aufgabe im Mini-Mental-Status, die Augen zu schließen bzw. ein Blatt in die Hand zu nehmen und es zu falten, erfordert keine darüber hinausgehenden motorischen Fähigkeiten.
Dr. G. blendet zudem aus, dass der SMMSE-Test, den er als aussagekräftiger und „gut“ bewältigt ansieht, von vornherein nur bei niedrigen Werten im Mini-Mental-Status zur Anwendung kommt und Werte um 25 im MMMSE-Test nur 5 bis 9 Punkten im Mini-Mental-Status entsprechen. Schließlich verkennt er, dass es für die Testierfähigkeit gerade nicht genügt, wenn Demenzpatienten noch „ihren natürlichen Willen kundtun“ können.
III.
Der Beschwerdeführer hat kraft Gesetzes die Gerichtskosten seiner erfolglosen Beschwerde zu tragen. Es erscheint angemessen, dass er dem Beteiligten zu 2 die im Beschwerdeverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten erstattet (§ 84 FamFG).
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 4, § 30 Abs. 1 FamFG. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse des Beschwerdeführers. Dieses entspricht der Differenz zwischen seinem Pflichtteilsanspruch und dem gesamten Reinnachlasswert. Letzteren hat der Beschwerdeführer in seinem Erbscheinsantrag mit 420.000 € angegeben, so dass sich ein Geschäftswert von 210.000 € ergibt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
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