OLG München 34 Wx 360/12 Beschluss vom 07.11.2012 Grundbucheinsichtsrecht eines pflichtteilsberechtigten Miterben

Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen – Grundbuchamt – vom 10. August 2012 aufgehoben. Das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen – Grundbuchamt – wird angewiesen, die Grundbucheinsicht im beantragten Umfang zu gewähren.

Gründe OLG München 34 Wx 360/12

I.
Die Beteiligte ist eine gesetzliche Erbin ihres am … 2011 verstorbenen Vaters. Am 25.7.2012 beantragte sie die Erteilung von unbeglaubigten Grundbuchauszügen „über eventuelle Grundbesitze“ des verstorbenen Vaters. Diese benötige sie zur Klärung von möglichen Erbergänzungsansprüchen gegen Personen, an die Grundstücke möglicherweise vor dem Erbfall übertragen wurden.
Auf die ablehnende Entscheidung des Urkundsbeamten vom 30.7.2012 legte die Beteiligte „Beschwerde“ ein und verwies erneut auf ihr Interesse an der Einsichtnahme im Hinblick auf Pflichtteilsergänzungsansprüche.
Diesen Rechtsbehelf hat der Rechtspfleger des Grundbuchamts mit Beschluss vom 10.8.2012 zurückgewiesen, da sich Ergänzungsansprüche nur aus Verträgen ergeben könnten und zudem nicht hinreichend dargelegt sei, dass solche Ansprüche bestehen Als Miterbin könnten der Beteiligten im Übrigen keine Pflichtteilsergänzungsansprüche zustehen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die unter dem 17.9.2012 eingelegte Beschwerde, der das Grundbuchamt nicht abgeholfen hat.
II.
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Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde (§ 12c Abs. 4 Satz 2 mit § 71 Abs. 1, § 73 GBO), die sich gegen eine Erinnerungsentscheidung des Rechtspflegers richtet (vgl. zur Rechtspflegerzuständigkeit Senat vom 25.1.2011, 34 Wx 160/10 = Rpfleger 2011, 196 m. Anm. Hintzen), hat in der Sache Erfolg. Die Beteiligte hat ein berechtigtes Interesse an einer Grundbucheinsicht im beantragten Umfang, nämlich auf Erteilung von unbeglaubigten Grundbuchauszügen über etwaigen Grundbesitz des Erblassers, hinreichend dargetan.
1. Ein berechtigtes Interesse i. S. v. § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO ist gegeben, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamts ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, wobei auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse das Recht auf Grundbucheinsicht begründen kann (KG NJW2002, 223/224; BayObLG Rpfleger 1999, 216/217; Demharter GBO 28. Aufl. § 12 Rn. 7 ff.). § 12 Abs. 1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff. BGB hinausgeht. Dabei genügt zwar nicht jedes beliebige Interesse des Antragstellers.
Entscheidend ist in der Regel das Vorbringen sachlicher Gründe, welche die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen (BayObLG Rpfleger 1999, 216/217; KG NJW 2002, 223/225; NJW-RR 2004, 1316/1317). Nur in Zweifelsfällen ist dabei zu berücksichtigen, dass der in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht Betroffene grundsätzlich vor der Gewährung der Einsicht nicht gehört wird (BVerfG NJW 2001, 503) und ihm gegen die Gewährung auch kein Beschwerderecht zusteht (BGHZ 80, 126 ff.).
2. Das Amtsgericht hat bei der Anwendung dieser Grundsätze zu Unrecht ein derartiges Interesse verneint.
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Es ist allgemein anerkannt, dass nach Eintritt des Erbfalls ein Pflichtteilsberechtigter -wozu die Beteiligte als Tochter des Erblassers zählt (§ 2303 Abs. 1 BGB) – in aller Regel ein berechtigtes Interesse an der Grundbucheinsicht zur Regelung der erbrechtlichen Ansprüche und insbesondere zur Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen hat (vgl. hierzu KG NJW 2004, 1316; Schöner/Stöber Grundbuchrecht 15. Aufl. Rn. 525 m. w. N.; Hügel/Wilsch GBO 2. Aufl. § 12 Rn. 60). Dabei kann das Interesse sich nicht nur auf die Frage erstrecken, in welcher Höhe mögliche Ansprüche gegen Miterben bestehen.
Können Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sein, so ergibt sich das berechtigte Interesse an der Einsicht in Grundbuchblätter auch ehemaligen Grundeigentums des Erblassers allein schon zur Klärung, ob solche Ansprüche tatsächlich entstanden sind. Das Interesse umfasst auch die Einsicht in die Abteilungen II und III (OLG Düsseldorf FGPrax 2011, 58).
Rechtsirrig verneint das Amtsgericht, dass ein solcher Pflichtteilsergänzungsanspruch der Beteiligten entstanden sein kann, mit der Begründung, die Beteiligte habe die Erbschaft angenommen und sei daher nicht pflichtteilsberechtigt. Die Beteiligte hat dargelegt, dass sie gesetzliche Erbin – Miterbin zu 1/4 – ist. Auch einem gesetzlichen Erben kann ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB zustehen. Der Zweck der Norm ist nämlich nicht nur auf einen Ausgleich bei Beeinträchtigung der Höhe des Pflichtteils durch den Erblasser beschränkt.
Hat der Erblasser vor seinem Tod den Nachlass dadurch gemindert, dass er Schenkungen vorgenommen hat, steht einem Pflichtteilsberechtigten auch dann ein Ergänzungsanspruch zu, wenn er gesetzlicher oder gewillkürter Miterbe ist. Voraussetzung ist allein, dass der Wert des Hinterlassenen geringer ist als der Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils unter Hinzurechnung der verschenkten Gegenstände (G. Müller in Burandt/Rojahn Erbrecht § 2325 BGB Rn. 6).
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3. Bereits durch Vorlage des Erbscheins hat die Beteiligte ihr berechtigtes Interesse hinreichend dargelegt. Damit steht nämlich fest, dass sie Miterbin ist und ihr deshalb mögliche Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche nach § 2325 BGB zustehen können. Nicht verlangt werden kann dagegen die Darlegung, dass der Wert der Hinterlassenschaft tatsächlich hinter dem Pflichtteilswert zurückbleibt. Diese Frage kann ein Erbe nämlich manchmal erst aufgrund von Erkenntnissen aus der Grundbucheinsicht beantworten. Dass Ansprüche nach § 2325 BGB bestehen und auch geltend gemacht werden sollen, bedarf daher keiner schlüssigen Darlegung (OLG Düsseldorf FGPrax 2011, 58).
4. Nach dem Vortrag der Beteiligten wurde ein Pflichtteilsverzicht oder Verzicht auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch von ihr nicht erklärt. Darauf käme es aber auch nicht an, da für die Einsicht allein die abstrakte Möglichkeit eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs genügt. Anderes könnte nur dann gelten, wenn sich das Einsichtsbegehren als rechtsmissbräuchlich erweisen würde, wofür hier aber keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
5. Auch wenn der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB alle Schenkungen an Ehegatten betrifft, jedoch Schenkungen an Dritte nur dann, wenn seit der Schenkung keine 10 Jahre verstrichen sind, besteht hier kein Anlass, die beantragte Einsicht in zeitlicher Hinsicht einzuschränken. Wie dem Senat aus den vorliegenden Unterlagen bekannt ist, liegen die vorgenommenen Schenkungen von Grundstücken an den Sohn und die Ehefrau jeweils nicht mehr als 10 Jahre zurück.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 131 Abs. 3 KostO).
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