OLG Rostock 3 W 70/20

April 22, 2023

OLG Rostock 3 W 70/20, Beschluss vom 11.01.2022 – Nacherbeneinsetzung für den Fall des gleichzeitigen Versterbens


Tenor
1.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Greifswald vom 17.04.2020 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des am 11.06.2019 von der Beteiligten zu 1) beantragten gemeinschaftlichen Erbscheins vorliegen, der die Beteiligten zu 1), 2) und 3) jeweils als gesetzliche Erben zu 1/3 ausweist.

2.

OLG Rostock 3 W 70/20

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe
I.

Die Erblasserin verstarb am 30.03.2019. Sie war in erster Ehe mit H. P. verheiratet. Die Ehe wurde mit Urteil vom 09.05.1974 geschieden. Aus der Ehe gingen die Beteiligten zu 1), zu 2) und zu 3) hervor.

In zweiter Ehe war die Erblasserin mit H. A. F. B. verheiratet, der vorverstorben ist. Aus dieser Ehe gingen keine Kinder hervor. Aus der ersten Ehe des Herbert B. gingen die Beteiligten zu 4), 5) sowie A. B. hervor. A. B. ist 2012 verstorben. Er hinterließ die Beteiligten zu 6) und 7).

Die Erblasserin und H. B. errichteten am 16.01.1994 ein gemeinschaftliches Testament. Dieses lautet:

“Wir, die Eheleute

H. B., geb. 19.11.18 und G. B. geb. S. am 04.09.24 setzen uns mit dieser letztwilligen Verfügung gegenseitig als Erben ein mit allem was wir gemeinsam besitzen.

Im Falle eines gleichzeitigen Ablebens soll die Tochter U. S. geb. B. z. zt. wohnhaft in R., E. W.-str. bevollmächtigt im Namen aller nachstehend angeführten Erben über alle unsere Giro- und Sparkonten zu verfügen und nach Abrechnung aller angefallenen Kosten für die Bestattung das verbleibende Geld gleichmäßig an alle Geschwister aus beiden Vorehen zu verteilen.

Zur Verteilung gehört auch das gesamte Haushaltsinventar. Ferner gehört den Verblichenen der Vereinsanteil der Garage Nr. 265 (Mitgliedsnummer 230) im Garagenkomplex in der S. N.-str.

Es bleibt den Geschwistern überlassen, die Garage zu behalten für eigene Nutzung oder Vermietung oder Veräußerung. Ein Genossenschaftsanteil für die Wohnung in der R.-str. 23 besteht z.Zt. nicht. Er gehört der Frau M. H. geb. G., R. U. Str.

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Wir wünschen nun sehr, daß nach unserem Ableben kein Streit entsteht.

Die Namen der Geschwister:

B., A. geb. 16.06.41

z. Zt. Wohnhaft R., F. L.-str.

S., U. geb. 20.05.43 geb. B.

z. Zt. Wohnhaft R., E. W.-str.

J., D. geb. 02.01.53 geb. B.

z. Zt. Wohnhaft R., K. W.-damm

V., M. geb. 19.05.50 geb. P.

z. Zt. Wohnhaft R., H.-str.

P., J. geb. 05.07.53

z. Zt. Wohnhaft R., K.-str.

P., P. geb. 12.10.54

z. Zt. Wohnhaft H., A. H.”

Unter dem 11.06.2019 hat die Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach die Erblasserin von den Beteiligten zu 1) bis 3) zu je 1/3 in gesetzlicher Erbfolge beerbt worden ist.

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Die Beteiligte zu 5) ist dem Erbscheinsantrag entgegengetreten. Es treffe nicht zu, dass das Testament der Eheleute B. vom 16.01.1994 keine Erbeinsetzung für den zweiten Versterbensfall enthalte.

Die Eheleute hätten sich zunächst für den ersten Erbfall als Alleinerben eingesetzt. Für den zweiten Erbfall, den die Testierenden als den Fall des gleichzeitigen Ablebens bezeichnet hätten, hätten die testierenden Eheleute ihre Erben ebenfalls bestimmt. Ergänzend wird auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 5) vom 01.10.2019 verwiesen.

Mit Beschluss vom 17.04.2020 hat das Amtsgericht den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Wegen der Begründung der Entscheidung wird auf diese Bezug genommen.

Die Beteiligte zu 1) hat hiergegen unter dem 19.05.2020 Beschwerde eingelegt. Wegen der Begründung der Beschwerde wird auf den Schriftsatz vom 16.06.2020 Bezug genommen.

Das Amtsgericht G. hat der Beschwerde mit Beschluss vom 22.06.2020 nicht abgeholfen. Wegen der Entscheidungsgründe wird auf den Nichtabhilfebeschluss Bezug genommen.

II.

OLG Rostock 3 W 70/20

Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig und hat in der Sache auch Erfolg.

Den Beteiligten zu 1) bis 3) ist ein Erbschein zu erteilen, der sie als Erben nach der gesetzlichen Erbfolge ausweist.

Das gemeinschaftliche Testament enthält keine abweichende Erbeneinsetzung.

Das Testament aus dem Jahr 1994 enthält keine allgemeine Schlusserbeneinsetzung.

Vielmehr regelt die letztwillige Verfügung über die gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute B. hinaus lediglich eine Erbeinsetzung für den Fall des zeitgleichen Todes beider Eheleute.

1.

Bei der Testamentsauslegung ist vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften.

Dieser Aufgabe kann der Richter nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt.

Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen “hinterfragt” werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll.

Dafür muss der Richter auch alle ihm aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranziehen

(vgl. BGH, Beschluss v. 19.06.2019 – IV ZB 30/18 -, zit. n. juris, Rn. 15 m.w.N.).

Nach dem Wortlaut des vorliegenden Testaments gilt die bevorzugte Erbeinsetzung aller Geschwister aus beiden Vorehen für den Fall des gleichzeitigen Ablebens.

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Wird eine solche Formulierung gewählt, dann spricht dies nach Auffassung des Senats dafür, dass die Erblasser damit nur den Fall des zeitgleichen Versterbens regeln wollten

(vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 28.04.2021 – 3 Wx 193/20 -, zit. n. juris, Rn. 13;

OLG Frankfurt, Beschluss v. 23.10.2018 – 21 W 38/18 -, zit. n. juris, Rn. 16;

OLG München, Beschluss v. 24.10.2013 – 31 Wx 139/13 -, zit. n. juris, Rn. 12 ).

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Im Hinblick auf die Frage, ob diese Formulierung auch den hier gegebenen Fall erfasst, dass die Eheleute in größerem zeitlichen Abstand versterben, ist das Testament damit allerdings auslegungsbedürftig (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 12).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung werden Formulierungen, die auf das gleichzeitige Versterben der Testierenden Bezug nehmen, dabei regelmäßig dahingehend ausgelegt, dass nach dem Willen der Testierenden jedenfalls auch der Fall erfasst wird, dass die Eheleute in kurzem zeitlichen Abstand versterben und der Überlebende zu einer neuerlichen Testamentserrichtung nicht in der Lage ist

(vgl. BGH, a.a.O., Rn. 9;

OLG Brandenburg, Beschluss v. 14.05.2019 – 3 W 29/19 -, zit. n. juris, Rn. 15 m.w.N.;

OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 13).

Anders wird dies allerdings dann beurteilt, wenn die Eheleute – wie hier – in größerem zeitlichen Abstand versterben.

Auf einen solchen Fall soll eine für den Fall des “gleichzeitigen Versterbens” getroffene Erbeinsetzung nur dann anzuwenden sein, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Testierenden die Regelung dahin verstanden haben, dass diese auch das Versterben in erheblichem zeitlichem Abstand umfassen sollte, wobei sich hierfür allerdings eine Grundlage in der Verfügung von Todes wegen selbst finden lassen muss

(vgl. OLG Brandenburg, a.a.O., m.w.N.;

OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 18;

OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 13).

Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Im Testament findet sich kein belastbarer Hinweis auf eine allgemeine Schlusserbeneinsetzung.

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Ehegatten, die sich gegenseitig zu Erben einsetzen, ohne diese Regelung mit einer Erbeinsetzung für den Tod des Längerlebenden von ihnen (Schlusserbeinsetzung) zu verbinden, bezwecken nämlich damit, dass dem Überlebenden der Nachlass des Erstversterbenden zufällt und dass dieser über das Gesamtvermögen – auch von Todes wegen – frei verfügen kann.

Ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht dann nur für den Fall des “gleichzeitigen Todes”, in dem es nicht zu einer Beerbung des einen Ehegatten durch den anderen – und zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten – kommt.

Es ist daher sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, aber eine zusätzliche Regelung für den Fall treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist

(vgl. OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 16).

Auf diese Fallgestaltung wollen Ehegatten, wenn sie Formulierungen wählen, die auf ein “gleichzeitiges Versterben” abstellen, die Erbeinsetzung der Drittbedachten regelmäßig beschränken und so dem Überlebenden von ihnen die Bestimmung überlassen, wer ihn beerben soll

(vgl. hierzu OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 16;

OLG München, a.a.O., Rn. 12 m.w.N.;

Senatsbeschluss v. 09.08.2021, 3 W 77/20).

2.

Mit Blick auf den Erfolg der Beschwerde werden Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.

Eine Erstattung der den Beteiligten entstandenen außergerichtlichen Kosten findet in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nach § 81 FamFG nicht statt.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht erfüllt.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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