OLG Stuttgart 8 W 320/21

Oktober 10, 2023

OLG Stuttgart 8 W 320/21 Beschluss vom 21.11.2022 – Erbteil des Ehegatten bei türkischer Errungenschaftsgemeinschaft

Tenor

  1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 2 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oberndorf am Neckar vom 19.07.2021, Az. 8 VI 412/20, wird

zurückgewiesen.

  1. Die Beteiligte Ziff. 2 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  2. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 120.000,00 festgesetzt.

Gründe OLG Stuttgart 8 W 320/21
I.

Der am …2019 verstorbene Erblasser war türkischer Staatsangehöriger. Er war in zweiter Ehe mit der Beteiligten Ziff. 2 verheiratet, die ebenfalls türkische Staatsangehörige ist. Aus dieser Ehe sind die Beteiligten Ziff. 1, 4 und 5 als Abkömmlinge hervorgegangen. Die Beteiligte Ziff. 3 ist die Tochter des Erblassers aus erster Ehe.

Der Erblasser hat keine letztwillige Verfügung hinterlassen. Er war in … Schramberg wohnhaft. Der Nachlass befindet sich teils in der Bundesrepublik Deutschland und teils in der Republik Türkei.

OLG Stuttgart 8 W 320/21

Mit Schriftsatz an das Amtsgericht Oberndorf am Neckar – Nachlassgericht – vom 19.01.2021 hat die Beteiligte Ziff. 3 die Erteilung eines auf den inländischen unbeweglichen Nachlass beschränkten Erbscheins beantragt, wonach die Beteiligte Ziff. 2 mit einem Erbteil von 4/16 und die Beteiligten Ziff. 1, 3, 4 und 5 mit einem Erbteil von jeweils 3/16 Erben des Erblassers geworden sind. Zur Begründung wurde auf die gesetzliche Erbfolge nach dem Belegenheitsrecht, also nach deutschem Recht, verwiesen.

In der Türkei wurde der Beteiligten Ziff. 3 bereits ein Erbschein mit denselben Erbteilen erteilt.

Die Beteiligte Ziff. 2 ist dem Erbscheinsantrag entgegengetreten. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie habe mit dem Erblasser im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, weshalb zu dem Erbteil von 1/4 gemäß § 1931 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Erhöhung gemäß § 1371 Abs. 1 BGB komme. Ihr Erbteil betrage in Bezug auf das in Deutschland belegene unbewegliche Vermögen somit entgegen dem Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 3 1/2.

Durch Beschluss vom 19.07.2021 hat das Amtsgericht Oberndorf die zur Erteilung des von der Beteiligten Ziff. 3 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses wurde ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt. Das Amtsgericht hat bezüglich der Erbquote das türkische Ehe- und Güterrecht zugrunde gelegt. Diesbezüglich hat das Amtsgericht auf Art. 15 Abs. 1 EGBGB a.F. in Verbindung mit Art. 14 EGBGB in der bis zum 29.01.2019 geltenden Fassung verwiesen und ist so zur Anwendung des Art. 202 des türkischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) gekommen, mithin zum Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Dabei führe auch Art. 15 Abs. 2 TIPRG nicht zu einem anderen Ergebnis, diese Norm habe nach herrschender Meinung keine Bedeutung bei der Beurteilung der güterrechtlichen Eigentumsverhältnisse.

OLG Stuttgart 8 W 320/21

Gegen den ihr am 21.07.2021 zugestellten Beschluss vom 19.07.2021 wendet sich die Beteiligte Ziff. 2 mit ihrer am 04.08.2021 beim Amtsgericht Oberndorf am Neckar eingegangenen Beschwerde. Zu deren Begründung trägt sie vor, die vom Amtsgericht vertretene Rechtsauffassung halte einer Überprüfung nicht stand. Im vorliegenden Fall sei auf Grund des gewöhnlichen (dauerhaften, jahrzehntelangen) Aufenthalts in Deutschland das deutsche Recht anwendbar. Es sei hier die neue Fassung der Art. 14 und 15 EGGVG anwendbar.

Das Amtsgericht Oberndorf verkenne, dass hier eine dynamische Verweisung auf den (jeweils gültigen) Art. 14 EGBGB vorliege. Entgegen dem angegriffenen Beschluss sei hier nicht davon auszugehen, dass sie – die Beteiligte Ziff. 2 – und der Erblasser im gesetzlichen Güterstand der türkischen Errungenschaftsbeteiligung lebten. Es sei hier vielmehr Art. 3 a EGBGB anwendbar mit der Folge, dass der deutsche Güterstand gelte. Die vom Amtsgericht Oberndorf am Neckar angenommene teleologische Reduktion des Art. 15 Abs. 2 TIPRG überzeuge nicht und sei rechtsfehlerhaft.

Die Beteiligte Ziff. 2 beantragt im Beschwerdeverfahren wie folgt:

Der Beschluss des Amtsgerichts Oberndorf vom 19.07.2021 wird aufgehoben. Es ist ein Erbschein dahingehend zu erteilen, dass der Erblasser von … zu 1/2 und den sonstigen Beteiligten zu jeweils 1/8 beerbt wird.

Die Beteiligte Ziff. 3 ist der Beschwerde entgegengetreten.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Sachverhaltsdarstellung im Einzelnen wird auf den angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts, das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 352 ff., 58 ff. FamFG statthafte Beschwerde der Beteiligten Ziff. 2 hat in der Sache keinen Erfolg. Der Inhalt des von der Beteiligten Ziff. 3 beantragten Erbscheins entspricht der tatsächlich eingetretenen Erbfolge.

1.

OLG Stuttgart 8 W 320/21

Der Erblasser war im Zeitpunkt seines Todes türkischer Staatsangehöriger. Das Erbstatut richtet sich im Verhältnis zur Türkei gemäß Art. 3 Nr. 2 EGBGB vorrangig nach den Bestimmungen in der Anlage zu Art. 20 des Deutsch-Türkischen Konsularvertrages vom 28.05.1929, das sogenannte Nachlassabkommen (im Folgenden: NA; RGBl II 1930, 747, RGBl II 1931,538, BGBl II 1952, 608). Gemäß § 14 NA bestimmen sich die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des beweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte (§ 14 Abs. 1 NA) und in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt (Art. 14 Abs. 2 NA). Für in Deutschland belegenen unbeweglichen Nachlass gilt auch bei einem türkischen Erblasser zwingend deutsches Recht (vgl. Kilic in: Süß, Erbrecht in Europa, 4. Auflage 2020, Länderbericht Türkei, S. 1513). Es kommt daher in diesen Fällen zu einer Nachlassspaltung (OLG Köln FamRZ 2014, 1585).

a)

Die gesetzliche Erbfolge nach materiellem türkischem Erbrecht gestaltet sich so, dass der überlebende Ehegatte ein konkurrierendes Erbrecht gegenüber anderen gesetzlichen Erben hat (Art. 499 Abs. 1 des türkischen Zivilgesetzbuches, im Folgenden ZGB). Er erbt neben Abkömmlingen (Erben erster Ordnung) ein Viertel. Die Abkömmlinge erben unter sich zu gleichen Teilen (Art. 495 ZGB). Der Erblasser hat im vorliegenden Fall vier Abkömmlinge hinterlassen. Demgemäß erben vom beweglichen Nachlass die Beteiligten Ziff. 1, 3, 4 und 5 je 3/16. Mit dieser Erbfolge wurde in der Türkei bereits der von der Beteiligten Ziff. 3 vorgelegte Erbschein des Notariats Bandirma vom 17.03.2020 erlassen. Das türkische Recht kennt – anders als das deutsche Recht mit § 1371 Abs. 1 BGB – keine Erhöhung der Erbquote des Ehegatten (DNotI-Report 2016, 103).

b)

Hat ein Erblasser wie vorliegend eine Immobilie in der Bundesrepublik Deutschland hinterlassen, so richtet sich die Erbfolge insoweit – wie oben ausgeführt – nach deutschem Sachrecht. Die gesetzliche Erbfolge nach deutschem Erbrecht folgt aus §§ 1924 Abs. 1, 4, 1931 Abs. 1 BGB. Der überlebende Ehegatte des Erblassers ist neben Verwandten der ersten Ordnung – den Abkömmlingen des Erblassers – zu einem Viertel der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen. Lebte der türkische Erblasser mit seinem Ehegatten im türkischen gesetzlichen Güterstand, so kommt es nach herrschender Meinung nicht zu einer Erbteilserhöhung nach § 1371 Abs. 1 BGB (OLG Köln FamRZ 2014, 1585; OLG Köln FamRZ 2015, 172; vgl. auch BGH FamRZ 2012, 1871).

Entgegen der Auffassung der Beteiligten Ziff. 2 findet eine Erhöhung ihres Erbteils als Ehefrau gemäß § 1371 Abs. 1 BGB auch im vorliegenden Fall nicht statt. Eine Anwendbarkeit des § 1371 Abs. 1 BGB folgt nicht daraus, dass nach dem deutsch-türkischen Nachlassabkommen für die Rechtsnachfolge in das Eigentum des Erblassers an der in Deutschland belegenen Immobilie deutsches Erbrecht in der gleichen Weise gilt, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Deutscher gewesen wäre. Denn § 1371 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass die Eheleute im Güterstand der Zugewinngemeinschaft nach § 1363 Abs. 1 BGB lebten (OLG Karlsruhe NJW-RR 2018, 713).

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Dies ist hier nicht der Fall. Der Erblasser und die Beteiligte Ziff. 2 lebten im Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung nach Art. 218 ff. ZGB. Nach Art. 15 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB (jeweils alter Fassung) ist für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe zwischen dem Erblasser und der Beteiligten Ziff. 3 das Recht der Türkei maßgeblich, weil beide Eheleute die türkische Staatsangehörigkeit hatten und eine Rechtswahl gemäß Art. 15 Abs. 2 EGBGB (alter Fassung) nicht getroffen haben. Die Anknüpfung nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB alter Fassung geht nach dem Prinzip der Anknüpfungsleiter (Kaskadenanknüpfung) der Anknüpfung nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB alter Fassung, auf die von Seiten der Beteiligten Ziff. 2 verwiesen worden war, vor (vgl. Staudinger/Mankowski, Bürgerliches Gesetzbuch, Neubearbeitung 2011, Art. 14 BGB, Rdnr. 27 f.).

Gemäß § 15 Abs. 1 Halbsatz 2 TIPRG wird, da eine Rechtswahl nicht ersichtlich ist, auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Eheleute zum Zeitpunkt der Eheschließung abgestellt. Da beide Eheleute die türkische Staatsangehörigkeit hatten, kommt türkisches Güterrecht zur Anwendung (vgl. OLG Köln FamRZ 2014, 1585).

Entgegen der im Beschwerdeverfahren geäußerten Auffassung der Beteiligten Ziff. 2 ist Art. 14 EGBGB neuer Fassung im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Gemäß Art. 229 § 47 EGBGB bestimmen sich die allgemeinen Wirkungen der Ehe bis einschließlich 28.01.2019 nach Art. 14 EGBGB in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung.

Haben die Ehegatten die Ehe vor dem 29.01.2019 geschlossen und ab diesem Zeitpunkt keine Rechtswahl nach der Verordnung (EU) 2016/1103 über das auf ihren Güterstand anzuwendende Recht getroffen, so sind unter anderem Art. 3 a, 15 EGBGB jeweils in ihrer bis einschließlich 28.01.2019 geltenden Fassung weiter anzuwenden. Die Ehe zwischen der Beteiligten Ziff. 2 und dem Erblasser wurde am 15.08.1984 – und damit vor dem genannten Zeitpunkt – in der Türkei geschlossen.

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Schließlich enthält auch das über Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB (jeweils alter Fassung) anwendbare türkische internationale Privatrecht (Art. 15 Abs. 2 TIPRG) keine Rückverweisung auf § 1371 Abs. 1 BGB (OLG Karlsruhe NJW-RR 2018, 713; entsprechend OLG Köln FamRZ 2015, 172). Die türkische Rechtslehre legt Art. 15 Abs. 2 TIPRG dahin aus, dass es sich nicht um eine kollisionsrechtliche Norm handelt und dass die Norm nicht zu einer Güterrechtsspaltung für bewegliches und unbewegliches Vermögen führt. Das Güterrechtsstatut ist danach einheitlich in Art. 15 TIPRG geregelt, ohne dass zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden wird (OLG Karlsruhe NJW-RR 2018, 713).

Eine Verweisung auf das Güterrecht enthält Art. 15 Abs. 2 TIPRG nicht. § 1371 Abs. 1 BGB setzt seinerseits eine Zugewinngemeinschaft voraus, die nicht durch eine Rückverweisung begründet werden kann (OLG Köln FamRZ 2015, 172; Gebauer, Deutsch-türkisches Nachlassabkommen im Sog des Europäischen Kollisionsrechts, IPRax2018, 345).

c)

Für den beantragten Erbschein ist das Amtsgericht Oberndorf am Neckar gemäß §§ 105, 343 Abs. 1 FamFG international und örtlich zuständig. Führt die Anwendung des Konsularvertrages wie hier zur Nachlassspaltung, so sind zwei Erbscheine zu erteilen (OLG Köln FamRZ 2014, 1585). Für den in der Bundesrepublik Deutschland belegenen unbeweglichen Nachlass war, wie beantragt, ein Eigenrechtserbschein zu erteilen (§ 14 Abs. 2 NA).

2.

Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf § 84 FamFG. Auf die von der Beteiligten Ziff. 2 zu tragende Gerichtsgebühr gemäß Nr. 12220 KV GNotKG wird hingewiesen.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 61, 40 GNotKG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gemäß § 70 FamFG liegen nicht vor.

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