Organschaft und Atypisch Stille Beteiligung
Dieser Bundesfinanzhof (BFH)-Urteil vom 31.12.2024 (I R 17/21) dreht sich um die steuerliche Anerkennung von sogenannten Organschaften, wenn gleichzeitig atypisch stille Beteiligungen im Spiel sind. Das ist wie ein komplizierter Ehestreit im Steuerrecht, wo die Beteiligten nicht wissen, ob sie überhaupt rechtsgültig verheiratet (Organschaft) sind, wenn ein Dritter (stiller Gesellschafter) mit am Tisch sitzt.
1. Organschaft: Die steuerliche „Ehe“
Eine Organschaft ist im Steuerrecht eine besondere Beziehung zwischen einer Muttergesellschaft (Organträger) und einer Tochtergesellschaft (Organgesellschaft), meist einer GmbH.
- Der Deal: Die Organgesellschaft verpflichtet sich durch einen Gewinnabführungsvertrag (GAV), ihren „ganzen Gewinn“ an den Organträger abzuführen.
- Der Effekt: Der Gewinn der Tochter wird direkt der Mutter zugerechnet. Die Tochter zahlt keine Körperschaftsteuer; stattdessen versteuert die Mutter den Gesamtgewinn (Verrechnung von Gewinnen und Verlusten innerhalb des Konzerns). Das ist steuerlich oft sehr vorteilhaft.
Atypisch Stille Beteiligung: Der „stille“ Partner
Ein stiller Gesellschafter beteiligt sich am Handelsgewerbe eines anderen (hier: der Kapitalgesellschaft).
- Typisch Still: Er ist nur am Gewinn beteiligt, nicht am Vermögen, den stillen Reserven oder der Geschäftsführung. Seine Beteiligung wird steuerlich als reines Darlehen behandelt.
- Atypisch Still: Er wird durch vertragliche Regelungen auch am Vermögen und den stillen Reserven der Gesellschaft beteiligt und hat Mitspracherechte.
- Der Knackpunkt: Steuerlich wird er dadurch zum Mitunternehmer der Gesellschaft. Seine Gewinnbeteiligung ist bei der Kapitalgesellschaft gewinnmindernder Aufwand.
Das zentrale Problem des BFH-Falls
Das Finanzamt und die Vorinstanz (FG) hatten argumentiert:
- Eine Organgesellschaft muss ihren „ganzen Gewinn“ abführen.
- Wenn ein atypisch stiller Gesellschafter beteiligt ist, geht ein Teil des Gewinns (seine Beteiligung) an ihn und ist bei der GmbH Aufwand.
- Damit führt die GmbH nicht ihren ganzen Gewinn (im steuerlichen Sinne) an den Organträger ab.
- Ergebnis (laut Finanzamt/FG): Die Organschaft ist ungültig.
Organschaft und Atypisch Stille Beteiligung
Die Klarstellung des BFH (Urteilspunkt 1 & 2)
Der BFH hat hier eine wichtige Kehrtwende vollzogen und zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden:
- Organgesellschaft + Atypisch Still = OK!
- Der BFH sagt: Die Organgesellschaft kann trotz der atypisch stillen Beteiligung ihren „ganzen Gewinn“ abführen.
- Der entscheidende Gewinn ist hier der handelsrechtliche Jahresüberschuss, der nach Abzug der Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters ermittelt wird. Dieser Restbetrag ist der „ganze Gewinn“ im Sinne des Gesetzes, den die Organgesellschaft an den Organträger abführen muss. Die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft bleibt also bestehen!
- Organträger + Atypisch Still = Vermutlich OK (bei „Tracking Stocks“)
- Der Organträger (Muttergesellschaft) hatte in diesem Fall an vielen einzelnen Niederlassungen atypisch stille Beteiligungen vereinbart (sogenannte „Tracking Stocks“-Struktur).
- Der BFH meint: Wenn diese stillen Beteiligten nur am Gewinn ihrer jeweiligen Niederlassung (als separater Geschäftsbereich) beteiligt sind, aber nicht an den Gewinnen aus den Organgesellschaften (den Töchtern), dann erfüllt der Organträger (die Mutter-GmbH) weiterhin die gesetzlichen Voraussetzungen.
- Folge: Die Mutter-GmbH ist der „einzig andere gewerbliche Unternehmer“, der den Gewinn der Töchter erhält. Die Sache wird aber zur weiteren Klärung an das FG zurückverwiesen.
Gewerbesteuer-Organschaft (Urteilspunkt 3)
Hier ist die Lage komplizierter, der BFH bestätigt aber grundsätzlich seine ältere Linie:
- Eine Gewerbesteuer-Organschaft wird grundsätzlich verdrängt, wenn am Gewerbebetrieb der Organgesellschaft ein atypisch stiller Gesellschafter beteiligt ist. Der Grund: Der atypisch Stille und die Organgesellschaft bilden eine Mitunternehmerschaft, die vorrangig selbst gewerbesteuerpflichtig ist.
- ABER: Wenn der atypisch Stille nur an einem abgegrenzten Geschäftsbereich (z.B. einer Niederlassung) der Organgesellschaft beteiligt ist, dann bleibt der Rest des Unternehmens der Organgesellschaft ein eigenständiger Gewerbebetrieb.
- Folge: Für diesen Restbetrieb, an dem kein Stiller beteiligt ist, können die Rechtsfolgen der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft weiterhin eintreten. Auch hier muss das FG dies im Detail prüfen.
Die „Verunglückte Organschaft“ und § 8b KStG
- Sollte die Organschaft im Einzelfall doch nicht anerkannt werden („verunglückte Organschaft“), werden die erfolgten Gewinnabführungen als Verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) behandelt.
- Normalerweise sind vGA bei der Muttergesellschaft steuerfrei (§ 8b KStG). ABER: Die Befreiung gilt nicht, wenn die Gewinnausschüttungen das Einkommen der Tochtergesellschaft gemindert haben.
- Im konkreten Fall waren die Steuerbescheide der Töchter bereits bestandskräftig (unveränderbar) und die Gewinnabführungen dort als einkommensmindernd verbucht.
- Das heißt: Wäre die Organschaft gescheitert, wäre die vGA bei der Mutter-GmbH nicht steuerfrei gewesen, da die Gewinne bei der Tochter bereits de facto abgezogen wurden.
Fazit
Der BFH hat klargestellt, dass die Kombination aus Körperschaftsteuer-Organschaft und atypisch stiller Beteiligung an der Tochtergesellschaft zulässig ist. Die steuerlichen Vorteile des Konzerns bleiben also erhalten, solange die Gesellschaften den handelsrechtlichen Gewinn nach Abzug der stillen Beteiligung an die Mutter abführen. Die „Ehe“ hält, auch wenn ein stiller Partner mit am Tisch sitzt, solange der Gewinnabführungsvertrag nur das abführt, was nach der Bedienung des Partners übrig bleibt. Ein wichtiges Urteil für Unternehmensgruppen mit solchen komplexen Strukturen!