Pauschalreise: Kostenloser Rücktritt bei erheblicher Beeinträchtigung durch individuelle Umstände (BGH, 23.01.2024)
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 23. Januar 2024 (Az. X ZR 4/23) klargestellt, dass individuelle gesundheitliche Umstände eines Reisenden bei der Beurteilung, ob eine Pauschalreise aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände (wie z.B. der COVID-19-Pandemie) erheblich beeinträchtigt ist, berücksichtigt werden müssen. Dies ist entscheidend für das Recht des Reisenden, kostenlos vom Reisevertrag zurückzutreten und den vollen Reisepreis zurückzuerhalten.
Grundsätzlich kann ein Reisender gemäß § 651h Abs. 3 BGB vor Reisebeginn vom Pauschalreisevertrag zurücktreten, ohne eine Entschädigung (Stornokosten) zahlen zu müssen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung zum Zielort erheblich beeinträchtigen.
Dies sind Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle des Reiseveranstalters liegen und deren Folgen auch bei zumutbaren Vorkehrungen nicht hätten vermieden werden können (z.B. Naturkatastrophen, Pandemien, politische Unruhen). Im vorliegenden Fall wurde die COVID-19-Pandemie als solcher Umstand anerkannt.
Dies ist der zentrale Punkt der Entscheidung. Es muss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass die Reise durch diese Umstände so stark beeinträchtigt wird, dass sie für den Reisenden unzumutbar wird.
Ein Kläger buchte im November 2019 eine Pauschalreise nach Rhodos für den August 2020. Im Juni 2020 stornierte er die Reise unter Berufung auf die Gesundheitsrisiken und Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie. Der Reiseveranstalter behielt 25 % des Reisepreises als Stornogebühr ein.
Der Kläger klagte auf Rückzahlung der Stornogebühr und berief sich unter anderem auf die internistische Vorerkrankung und die biologische Herzklappe seiner Ehefrau, die in der Pandemie ein besonderes Risiko darstellten. Die unteren Gerichte wiesen die Klage ab, da sie argumentierten, die Pandemie habe keine allgemein erhebliche Beeinträchtigung dargestellt und die Vorerkrankung der Ehefrau gehöre zur persönlichen Risikosphäre des Reisenden und sei dem Veranstalter nicht bekannt gewesen.
Der BGH hob die Urteile auf und verwies den Fall zurück. Die entscheidende Begründung lautet:
Bei der Beurteilung, ob eine Reise erheblich beeinträchtigt ist, sind die individuellen Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden zu berücksichtigen.
Dies gilt, wenn diese individuellen Umstände erst aufgrund der nachträglich aufgetretenen außergewöhnlichen Umstände (hier: die Pandemie) eine Bedeutung für die Durchführbarkeit der Reise gewinnen und die daraus resultierenden Gefahren dem gewöhnlichen Reisebetrieb bei der Buchung noch nicht innegewohnt haben.
Dies betrifft nicht nur einfach festzustellende Umstände wie das Alter, sondern grundsätzlich jeden Umstand, der zu einer Beeinträchtigung führen kann (z.B. Vorerkrankungen).
Tritt die Beeinträchtigung aufgrund einer nachträglichen, objektiven Gefahr (wie einer Pandemie) auf, handelt es sich nicht mehr um eine bloße Fehleinschätzung des Reisenden bezüglich seiner persönlichen Eignung. Das daraus resultierende Risiko muss der Reiseveranstalter tragen. Die Kenntnis des Veranstalters von diesen Umständen bei Vertragsschluss ist unerheblich.
Bei einer Familienreise führt eine erhebliche Gesundheitsgefährdung für ein Familienmitglied in der Regel auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung für die anderen Familienmitglieder.
Der BGH hat die Vorinstanz angewiesen, festzustellen, ob die Vorerkrankung der Ehefrau des Klägers und die daraus resultierenden besonderen Risiken im Kontext der Pandemie zu einer unzumutbaren Reise geführt hätten. Wäre dies der Fall, hätte der Kläger aufgrund der erheblichen Beeinträchtigung der Reise für seine Familie gemäß § 651h Abs. 3 BGB kostenlos zurücktreten können und Anspruch auf volle Rückzahlung des Reisepreises.
Zusammenfassend stärkt dieses Urteil die Rechte von Reisenden mit besonderen persönlichen oder gesundheitlichen Risiken, da diese Risiken im Falle einer unvorhersehbaren, nachträglichen Gefährdung (wie einer Pandemie) bei der Beurteilung des kostenlosen Rücktrittsrechts berücksichtigt werden müssen.
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