Persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers: Handeln für eine nicht existente juristische Person

Juli 6, 2025

Persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers: Handeln für eine nicht existente juristische Person

RA und Notar Krau

Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. September 2013 (Aktenzeichen: 5 U 50/13) behandelt einen Fall zur persönlichen Haftung eines Geschäftsführers, der im Rechtsverkehr für eine nicht existente Aktiengesellschaft (AG) auftrat.

Worum ging es in dem Fall?

Die Klägerin, ein Softwareentwicklungsunternehmen, verlangte vom Beklagten, dem Geschäftsführer, die Bezahlung offener Rechnungen für Softwareleistungen in Höhe von 60.770,00 Euro. Die Klägerin hatte seit 1995 mit der Firmengruppe des Beklagten zusammengearbeitet, die aus einer OHG, einer Schweizer Holding AG und einer GmbH bestand. Der Beklagte war stets der Ansprechpartner und Vertreter für all diese Firmen.

Die Geschäftsidee war die Entwicklung eines elektronischen Hotelinformations- und Buchungssystems (H…). Nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten der ursprünglichen Gruppe wollte der Beklagte das Projekt über neue Gesellschaften abwickeln. Er gründete 2005 eine H… GmbH (Schweizer Recht).

Der Kern des Streits war, dass der Beklagte die Klägerin mit Programmierarbeiten für die H…-Terminals beauftragte. Die Klägerin schickte Auftragsbestätigungen und Rechnungen an eine „H… E… AG“, die tatsächlich weder in Deutschland noch in der Schweiz existierte. Allerdings verwendete der Beklagte Briefpapier mit diesem Namen, die „H… E… AG“ wurde in Internetverzeichnissen genannt, und der Beklagte schloss sogar einen Arbeitsvertrag und zeichnete einen Wechsel unter diesem nicht existierenden Namen ab. Trotz der Existenz der H… E… GmbH (die bis Mitte 2010 auch Zahlungen leistete) ging die Klägerin davon aus, mit der „AG“ als Vertragspartner zu handeln.

Die Klägerin argumentierte, da die „AG“ nicht existierte, sei der Beklagte selbst gemäß § 179 BGB (analog) ihr Vertragspartner geworden und somit persönlich haftbar. Sie war der Meinung, der Beklagte habe bewusst den Eindruck einer kapitalkräftigeren AG erweckt, um größere Lieferantenkredite zu erhalten.

Der Beklagte wehrte sich gegen die Klage. Er bestritt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte und behauptete, nie als Vertreter der nicht existenten „AG“ aufgetreten zu sein. Er habe immer nur als Geschäftsführer der H… E… GmbH gehandelt, und die GmbH sei die eigentliche Schuldnerin. Die Verwendung des AG-Briefpapiers sei angeblich versehentlich geschehen, und die Klägerin sei von Anfang an über die Existenz der GmbH informiert gewesen. Zudem bestritt er Teile der Forderung und erhob Mängeleinreden sowie die Einrede der Verjährung für ältere Forderungen.

Wie entschied das Landgericht (erste Instanz)?

Das Landgericht Stuttgart wies die Klage ab. Es bejahte zwar seine internationale Zuständigkeit und die Anwendbarkeit deutschen Rechts, verneinte aber einen Anspruch aus § 179 Abs. 1 BGB analog. Das Gericht war der Ansicht, der Beklagte habe für die existente H… E… GmbH gehandelt und die Klägerin habe Verträge mit dieser Gesellschaft geschlossen. Eine unrichtige Bezeichnung des Vertragspartners oder eine Fehlvorstellung der Klägerin sei unschädlich, da der Wille der Parteien im Zweifel dahin gehe, dass der wahre Betriebsinhaber Vertragspartner werden soll (Grundsatz des unternehmensbezogenen Geschäfts). Das Gericht befand auch, dass das Vertrauen des Rechtsverkehrs in eine AG nicht erheblich größer sei als in eine GmbH, was für die Klägerin auch keine Rolle gespielt habe.

Wie entschied das Oberlandesgericht (Berufung)?

Die Klägerin legte Berufung ein, und das OLG Stuttgart hob das Urteil des Landgerichts auf. Der Fall wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Das OLG Stuttgart bejahte seine internationale Zuständigkeit und die Anwendbarkeit deutschen Rechts. Es stimmte dem Landgericht nicht zu, dass der Anspruch aus § 179 Abs. 1 BGB analog nicht greife.

Das OLG war überzeugt, dass der Beklagte gegenüber der Klägerin bewusst den Anschein einer existierenden „H… E… AG“ erweckt hatte, und zwar neben der 2005 gegründeten H… E… GmbH. Die Klägerin sei durch das Handeln des Beklagten bewusst in dem Glauben gelassen worden, sie kontrahiere mit der nicht existenten „AG“ und nicht mit der ihr bekannten GmbH. Das Gericht stützte dies auf folgende Punkte:

Rechnungen aus dem Jahr 2004 an die „AG“, als es die GmbH noch nicht gab.

Persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers: Handeln für eine nicht existente juristische Person

Keine Bitte um Korrektur der von der Klägerin weiterhin an die „AG“ gestellten Rechnungen durch den Beklagten.

Zahlreiche Verwendungen von Briefpapier und Stempeln der „AG“ (mindestens vier verschiedene Gestaltungen).

Nennung der „AG“ in Internetverzeichnissen und Anzeigen (z.B. auf Praktikumssuche, mit Schweizer Sitz und deutscher Zweigniederlassung).

Abschluss eines Arbeitsvertrags und Zeichnung eines Wechsels unter dem Namen der nicht existierenden „AG“.

Verwendung der Faxkennung „H… E… AG“ noch im Jahr 2009.

Das OLG kam zu dem Schluss, dass der Beklagte bewusst und nach außen ersichtlich gleichzeitig unter verschiedenen Firmenbezeichnungen aufgetreten war, um den Eindruck zu erwecken, es gebe verschiedene (haftende) Gesellschaften bzw. es handele sich um einen Konzern mit arbeitsteilig vorgehenden Unternehmen. Diese Situation unterschied sich von den üblichen Fällen unternehmensbezogener Geschäfte, bei denen der Wille der Parteien dahin geht, den wahren Betriebsinhaber als Vertragspartner zu verpflichten. Hier sei vielmehr ein eindeutiger Wille der Parteien anzunehmen, dass die nicht existente „AG“ verpflichtet werden sollte.

Die Entscheidung des OLG Stuttgart:

Das Gericht urteilte, dass auf diese Konstellation § 179 BGB entsprechend anzuwenden ist. Das bedeutet, der Beklagte haftet persönlich und unbeschränkt wie ein Vertreter ohne Vertretungsmacht. Er kann dabei nach Wahl der Klägerin entweder auf Erfüllung (die Softwareleistungen bezahlen) oder auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

Die Ansprüche der Klägerin waren nach Ansicht des OLG auch nicht verjährt, da die Klage rechtzeitig eingereicht wurde.

Warum wurde der Fall zurückverwiesen?

Das OLG verwies die Sache zurück an das Landgericht, da der Streit über die genaue Höhe des Anspruchs noch nicht entscheidungsreif war. Der Beklagte konnte weiterhin Einwendungen zu einzelnen Rechnungen und Mängeleinreden geltend machen. Das Landgericht muss nun klären, ob die Leistungen mangelhaft waren, ob sie abgenommen wurden und ob der Klägerin ausreichend Möglichkeit zur Nachbesserung gegeben wurde. Die Zurückverweisung sollte den Parteien auch den Instanzenzug offenhalten.

Zusammenfassend stellt das Urteil klar, dass ein Geschäftsführer, der über Jahre hinweg den Anschein erweckt, für eine nicht existente Gesellschaft zu handeln, persönlich haftbar gemacht werden kann, selbst wenn eine andere, existente Gesellschaft im Hintergrund existiert. Das bewusste und gezielte Vortäuschen einer nicht existenten juristischen Person führt dazu, dass das Handeln des Geschäftsführers nicht der existierenden Gesellschaft zugerechnet werden kann, sondern der Handelnde selbst in die Haftung genommen wird.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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