Pflicht zur Duldung einer nachträglichen grenzüberschreitenden Wärmedämmung des Nachbargebäudes
Gericht: BGH 5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 12.11.2021
Aktenzeichen: V ZR 115/20
Dokumenttyp: Urteil
Gerne fasse ich das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) V. Zivilsenat vom 12. November 2021 (Az.: V ZR 115/20) verständlich zusammen.
In diesem Urteil hat der BGH entschieden, dass eine landesrechtliche Vorschrift in Nordrhein-Westfalen, die Grundstückseigentümer zur Duldung einer nachträglichen, geringfügig grenzüberschreitenden Wärmedämmung des Nachbargebäudes verpflichtet, gültig ist und unter die Gesetzgebungskompetenz des Landes fällt.
Die Klägerin (Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses) wollte an der direkt an der Grundstücksgrenze stehenden Giebelwand ihres Hauses eine Außendämmung anbringen.
Diese Dämmung würde die Grundstücksgrenze geringfügig (um weniger als 0,25 Meter) überschreiten.
Die Klägerin behauptete, eine Innendämmung sei nicht mit vertretbarem Aufwand möglich.
Sie berief sich auf § 23a Abs. 1 des Nachbarrechtsgesetzes Nordrhein-Westfalen (NachbarG NW), das unter bestimmten Voraussetzungen eine Duldungspflicht für solche Dämmmaßnahmen vorsieht.
Die Beklagten (Eigentümer des Nachbargrundstücks) weigerten sich.
Gab der Klage der Klägerin statt und bejahte die Duldungspflicht.
Hob das Urteil des AG auf und wies die Klage ab. Das LG war der Meinung, § 23a NachbarG NW sei nichtig, weil der Bund das sogenannte Überbaurecht in § 912 BGB abschließend geregelt habe und Landesrecht dies nicht ändern dürfe.
Hebt das Urteil des LG auf und bestätigt das Urteil des AG. Die landesrechtliche Regelung ist nach Ansicht des BGH gültig.
Der BGH stellte klar, dass die Vorschrift des § 23a NachbarG NW verfassungskonform und somit wirksam ist.
Grundsätzlich fällt das private Nachbarrecht unter die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG).
Der Bund hat das Recht des Überbaus in § 912 BGB für die Errichtung eines Gebäudes abschließend geregelt. Dies besagt im Umkehrschluss, dass ein vorsätzlicher Überbau grundsätzlich nicht geduldet werden muss.
Ausschlaggebend ist hier aber der Regelungsvorbehalt in Art. 124 EGBGB (Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche). Dieser besagt, dass landesgesetzliche Vorschriften unberührt bleiben, welche das Grundeigentum „anderen“ Beschränkungen zugunsten der Nachbarn unterwerfen als denen im BGB.
Die landesrechtliche Regelung zur nachträglichen Wärmedämmung betrifft einen anderen Regelungsgegenstand und dient einem anderen Zweck als § 912 BGB.
§ 912 BGB: Betrifft den (versehentlichen) Überbau bei der Errichtung eines Gebäudes, um die Zerstörung wirtschaftlicher Werte zu verhindern.
§ 23a NachbarG NW: Betrifft die nachträgliche energetische Sanierung bestehender Gebäude und verfolgt das öffentliche Interesse des Klimaschutzes und der Energieeinsparung.
Da die landesrechtliche Vorschrift die Grundkonzeption des § 912 BGB (dass Neubauten nicht vorsätzlich über die Grenze gebaut werden dürfen) nicht verfälscht, fällt sie unter die „anderen Beschränkungen“ im Sinne von Art. 124 EGBGB. Die Gesetzgebungskompetenz für diese Art der Beschränkung liegt somit beim Land Nordrhein-Westfalen.
Auch inhaltlich (materiell) hält der BGH die Regelung für verfassungsgemäß und verhältnismäßig.
Die Duldungspflicht greift nur, wenn:
Eine vergleichbare Dämmung nicht mit vertretbarem Aufwand anders vorgenommen werden kann.
Die Überbauung die Benutzung des Nachbargrundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt (insbesondere weniger als 0,25 m in der Tiefe).
Ein finanzieller Ausgleich geleistet wird.
Landesrechtliche Vorschriften, die Nachbarn zur Duldung einer notwendigen, geringfügigen, nachträglichen grenzüberschreitenden Wärmedämmung verpflichten (wie z. B. § 23a NachbarG NW), sind rechtlich zulässig. Sie dienen dem übergeordneten Ziel der energetischen Gebäudesanierung und des Klimaschutzes, ohne die Eigentumsrechte der Nachbarn unverhältnismäßig einzuschränken.
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