Pflichtteilsberechtigter hat berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch

Juni 14, 2025

Pflichtteilsberechtigter hat berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.07.2020 – 20 W 80/20

RA und Notar Krau

Worum ging es in diesem Fall?

Ein Mann wollte Informationen über eine Wohnung seiner verstorbenen Mutter haben, die diese bereits 1999 an seinen Bruder verkauft hatte. Er war von der Erbfolge ausgeschlossen und somit pflichtteilsberechtigt. Er vermutete, dass der Verkaufspreis zu niedrig war und es sich um eine versteckte Schenkung (Teilschenkung) gehandelt haben könnte. Wenn das der Fall wäre, könnte ihm ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehen. Um das zu prüfen, wollte er das Grundbuch einsehen und eine Kopie des Kaufvertrags erhalten.


Der Weg durch die Gerichte

Zuerst lehnte das Grundbuchamt den Antrag des Mannes ab. Die Begründung: Die Wohnung sei schon 1999 verkauft worden und es handle sich um einen Kaufvertrag, keine Schenkung. Außerdem seien 20 Jahre vergangen, sodass mögliche Pflichtteilsergänzungsansprüche verjährt sein dürften.

Der Mann legte Erinnerung und dann Beschwerde ein. Er argumentierte, dass er als Pflichtteilsberechtigter ein berechtigtes Interesse an der Einsicht habe. Er wolle prüfen, ob der Verkauf eine Teilschenkung enthielt, weil der Grundstückswert höher als der Kaufpreis gewesen sein könnte. Er wies auch darauf hin, dass die Zehnjahresfrist für Pflichtteilsergänzungsansprüche unter bestimmten Umständen (z.B. wenn sich der Veräußerer ein Nutzungsrecht vorbehalten hat) nicht gilt.


Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main

Das OLG Frankfurt am Main gab dem Mann Recht und hob die vorherigen Entscheidungen auf. Das Gericht wies das Grundbuchamt an, ihm einen Ausdruck des Wohnungsgrundbuchs und eine Kopie des Kaufvertrags zu übermitteln.

Was ist ein „berechtigtes Interesse“ an der Grundbucheinsicht?

Das OLG erklärte, dass jeder, der ein „berechtigtes Interesse“ darlegt, das Grundbuch und die dazugehörigen Akten einsehen darf. Ein solches Interesse muss nicht unbedingt ein bestehendes Recht sein, sondern kann auch ein tatsächliches oder wirtschaftliches Interesse umfassen. Es ist wichtig, dass das Informationsanliegen des Antragstellers geeignet und erforderlich ist und das Interesse des Eigentümers am Schutz seiner Daten nicht überwiegt. Der Eigentümer wird bei der Gewährung der Einsicht in der Regel nicht angehört und hat kein Beschwerderecht dagegen.

Pflichtteilsberechtigter hat berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch

Allerdings wird bei der Einsicht in die Grundakten, insbesondere bei Kaufverträgen, eine strengere Prüfung des berechtigten Interesses vorgenommen. Denn diese Verträge sind nicht öffentlich wie die Informationen im Grundbuch.

Warum der Sohn ein berechtigtes Interesse hatte

Das OLG stellte fest, dass ein Pflichtteilsberechtigter ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in das Grundbuch und die Grundakten haben kann, um seine erbrechtlichen Ansprüche zu prüfen. Das gilt auch, wenn der Erbe oder ein Dritter bereits als Eigentümer eingetragen ist. Ziel ist es, zu klären, ob Pflichtteilsergänzungsansprüche entstanden sind.

Dabei muss der Antragsteller nicht detailliert darlegen, welche Ansprüche er genau geltend machen will oder konkrete Anhaltspunkte für eine (Teil-)Schenkung vorlegen. Ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu prüfen, ob es Anhaltspunkte für eine teilweise unentgeltliche Übertragung (also eine Teilschenkung) gibt. Dies ist nur möglich, wenn er den Kaufvertrag einsehen kann. Die Interessen des Eigentümers müssen hier zurücktreten.

Die Zehnjahresfrist und vorbehaltene Rechte

Ein wichtiger Punkt war die Zehnjahresfrist für Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB). Normalerweise beginnt diese Frist, wenn eine Schenkung gemacht wird und der Erblasser danach stirbt. Wenn mehr als zehn Jahre seit der Schenkung vergangen sind, kann der Anspruch erlöschen.

Das OLG betonte jedoch, dass diese Frist nicht zu laufen beginnt, wenn der Erblasser den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiterhin nutzen kann, etwa durch ein vorbehaltenes Wohnrecht oder Nießbrauch. Der pflichtteilsberechtigte Sohn muss auch hier keine konkreten Anhaltspunkte für solche Vorbehalte darlegen, da ihm dies oft nicht möglich wäre. Er muss selbst prüfen können, ob ein solcher Fall vorliegt, ohne sich auf die Aussage des Grundbuchamts verlassen zu müssen. Gerade bei komplexen rechtlichen Fragen, wie der Abgrenzung bei einem Wohnungsrecht, ist die Einsicht erforderlich, um die Rechtsansicht des Grundbuchamts zu hinterfragen.

Ausgleichungsansprüche unter Erben

Zusätzlich kann ein berechtigtes Interesse auch bestehen, um Ausgleichsansprüche unter Abkömmlingen zu prüfen (nach §§ 2050 ff. BGB). Auch wenn nicht offensichtlich ist, dass die Übertragung der Wohnung eine ausgleichspflichtige „Ausstattung“ war, kann dies nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Auch hier braucht der Antragsteller keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorzutragen.


Fazit

Das OLG Frankfurt am Main hat die Rechte von Pflichtteilsberechtigten auf Grundbucheinsicht und Einsicht in Kaufverträge gestärkt. Es hat klargestellt, dass ein berechtigtes Interesse auch bei lang zurückliegenden Geschäften bestehen kann, insbesondere wenn es darum geht, mögliche versteckte Schenkungen oder vorbehaltene Nutzungsrechte zu prüfen, die die Zehnjahresfrist für Pflichtteilsergänzungsansprüche beeinflussen könnten. Pflichtteilsberechtigte müssen dabei keine detaillierten Beweise für ihre Vermutungen vorlegen, sondern sollen die Möglichkeit haben, die relevanten Unterlagen selbst zu überprüfen.


Haben Sie weitere Fragen zu den Rechten von Pflichtteilsberechtigten oder zur Grundbucheinsicht?

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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