Prozesskostensicherheit – Verwaltungssitz entscheidend

Juli 6, 2025

Prozesskostensicherheit Verwaltungssitz entscheidend

BGH, Beschluss vom 23.08.2017 – IV ZR 93/17

Vorinstanzen:

LG München I, Entscheidung vom 05.08.2016 – 14 HKO 25260/13 –

OLG München, Entscheidung vom 13.02.2017 – 7 U 3659/16 –

RA und Notar Krau

Im Verfahren BGH, Beschluss vom 23.08.2017 – IV ZR 93/17 hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine wichtige Entscheidung zur sogenannten Prozesskostensicherheit getroffen. Das ist eine Art finanzieller Sicherheit, die von ausländischen Klägern in Deutschland unter bestimmten Umständen verlangt werden kann, um sicherzustellen, dass die deutschen Gerichts- und Anwaltskosten im Falle eines Prozessverlusts auch tatsächlich bezahlt werden können.

Worum ging es in dem Fall?

Eine Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Ltd.) mit Sitz auf den Seychellen, hatte in Deutschland einen Rechtsstreit um eine Yacht-Kaskoversicherung geführt. Die Klage war in den ersten beiden Gerichtsinstanzen (Landgericht und Oberlandesgericht) erfolglos geblieben. Die Beklagte in diesem Fall war ein Mitversicherer.

Normalerweise können von ausländischen Klägern Prozesskostensicherheiten verlangt werden, um die Gerichtskosten abzusichern. In den ersten beiden Instanzen wurde der Klägerin eine solche Sicherheit auferlegt. Als die Klägerin jedoch Beschwerde beim BGH einlegte (dies ist die „Nichtzulassungs-beschwerde“, eine Art Antrag, damit der Fall in der dritten Instanz, also vor dem BGH, verhandelt wird), forderte die Beklagte eine zusätzliche Prozesskostensicherheit für dieses dritte Verfahren.

Die Klägerin wehrte sich dagegen und behauptete, dass sie seit 2014 ihren Verwaltungssitz in Österreich habe, wo ihr gesetzlicher Vertreter wohne. Auf den Seychellen, wo sie gegründet wurde, habe sie keine Geschäftsräume mehr.

Was ist das Problem mit der Prozesskostensicherheit?
Das deutsche Gesetz, genauer § 110 der Zivilprozessordnung (ZPO), sieht vor, dass ein ausländischer Kläger eine Prozesskostensicherheit leisten muss, wenn er keinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ in Deutschland hat. Der Sinn dahinter ist, dass es für einen deutschen Beklagten schwierig sein könnte, seine Kosten zurückzubekommen, wenn er den Prozess gewinnt und der ausländische Kläger sich im Ausland befindet, wo deutsche Urteile möglicherweise schwerer durchzusetzen sind.

Das Problem in diesem Fall war nun die Frage: Wo hat eine Kapitalgesellschaft wie eine Ltd. ihren „gewöhnlichen Aufenthalt“? Reicht es aus, wenn sie nur auf dem Papier in einem Nicht-EU-Land gegründet wurde (sogenannter Gründungssitz), oder kommt es darauf an, wo sie tatsächlich ihre Geschäfte führt und verwaltet (sogenannter Verwaltungssitz)?

Prozesskostensicherheit – Verwaltungssitz entscheidend

Die bisherige Rechtslage und die Unsicherheit

Die Gerichte und die Rechtswissenschaft waren sich in dieser Frage uneinig.

Einige Gerichte und die vorherrschende Meinung in der Literatur gingen davon aus, dass der Verwaltungssitz entscheidend ist. Sie argumentierten, dass dort das Vermögen der Gesellschaft ist und die Geschäfte geführt werden, was für die spätere Durchsetzung von Kostenansprüchen viel wichtiger ist als ein reiner „Papiersitz“. Außerdem soll so vermieden werden, dass Gesellschaften aus der EU oder dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) benachteiligt werden.

Andere, wie das Landgericht im vorliegenden Fall und ein Oberlandesgericht aus Schleswig-Holstein, vertraten die Ansicht, dass der Gründungssitz maßgeblich sein sollte. Sie befürchteten, dass eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz leicht verlegen könnte, um sich dem Zugriff deutscher Gerichte zu entziehen.

Der BGH selbst hatte diese Frage in früheren Entscheidungen offengelassen.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat in diesem Beschluss klargestellt, dass die Klägerin keine weitere Prozesskostensicherheit leisten muss.

Die entscheidenden Punkte der Begründung des BGH waren:

Keine Bindung an frühere Urteile: Der BGH stellte fest, dass er selbstständig prüfen muss, ob die Voraussetzungen für eine Prozesskostensicherheit (noch) vorliegen. Das Zwischenurteil des Landgerichts, das eine Sicherheit für die ersten beiden Instanzen anordnete, war für die dritte Instanz nicht bindend.

Verwaltungssitz ist entscheidend: Der BGH entschied, dass bei Kapitalgesellschaften, die ihren Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) haben, keine Prozesskostensicherheit verlangt werden kann.

Er zog eine Parallele zum „gewöhnlichen Aufenthalt“ bei natürlichen Personen.

Der Hauptgrund dafür ist der Zweck der Prozesskostensicherheit: Sie soll verhindern, dass ein deutscher Beklagter Schwierigkeiten hat, seine Kosten in einem Land außerhalb der EU/EWR einzutreiben. Innerhalb der EU/EWR gibt es jedoch Regelungen und Abkommen (wie die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung), die die Durchsetzung von Urteilen deutlich erleichtern.

Wo eine Gesellschaft ihre Geschäfte tatsächlich führt und ihr Vermögen hat (Verwaltungssitz), ist für die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen viel relevanter als der reine Gründungssitz. Ein Gründungssitz kann eine „leere Hülle“ sein.

Europarechtliche Gründe sprechen ebenfalls dafür, denn Gesellschaften mit Verwaltungssitz in der EU/EWR sollen nicht schlechter gestellt werden als inländische Unternehmen.

Klägerin hat Verwaltungssitz in Österreich:

Die Klägerin hatte schlüssig dargelegt, dass ihr einziger Geschäftsführer in Österreich wohnt und sie auf den Seychellen keine Geschäftsräume unterhält. Da für den Verwaltungssitz der Ort maßgeblich ist, wo die Geschäftsführung effektiv tätig ist, ging der BGH davon aus, dass der Verwaltungssitz der Klägerin in Österreich liegt.

Beweislast liegt bei der Beklagten:

Die Beklagte hätte beweisen müssen, dass der Verwaltungssitz der Klägerin nicht in der EU/EWR liegt. Das konnte sie jedoch nicht ausreichend tun.

Fazit

Der BGH hat mit diesem Beschluss klargestellt, dass für die Frage der Prozesskostensicherheit bei Kapitalgesellschaften der tatsächliche Verwaltungssitz entscheidend ist, sofern dieser in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum liegt. Dies stärkt die Rechtsposition von Unternehmen, die zwar formal in Drittstaaten gegründet wurden, aber ihre tatsächliche Geschäftstätigkeit und Verwaltung innerhalb der EU/EWR ausüben. Für deutsche Prozessgegner bedeutet dies, dass sie in solchen Fällen keine zusätzliche Sicherheit verlangen können, da die Durchsetzung von Kostenansprüchen innerhalb dieses Raumes als ausreichend gesichert gilt.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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