Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung nach anonymer Geburt
EGMR (V. Sektion) Urteil vom 30.1.2024 – 18843/20 (Cherrier/Frankreich)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem Urteil vom 30. Januar 2024 (Cherrier/Frankreich)
über das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung nach anonymer Geburt entschieden.
Im Zentrum des Falles stand die Frage, ob der französische Staat das Recht einer Frau auf Achtung ihres Privatlebens nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt hat,
indem er ihr die Identität ihrer leiblichen Mutter verweigerte.
Die Klägerin, 1952 geboren, wurde kurz nach ihrer Geburt von ihrer Mutter verlassen und adoptiert. Erst im Erwachsenenalter erfuhr sie von ihrer Adoption und suchte daraufhin beim Nationalen Rat für den
Zugang zur Kenntnis der persönlichen Herkunft (Conseil national de l’accès aux origines personnelles) um Informationen über ihre biologischen Eltern nach.
Der Rat stellte Informationen über die leibliche Mutter und den Vater zusammen, konnte aber die Identität der Mutter aufgrund ihres ausdrücklichen Wunsches nach Anonymität nicht preisgeben.
Die Mutter hatte mehrfach bekräftigt, dass sie ihre Anonymität „jetzt und nach ihrem Tod“ wahren wolle.
Die Klägerin versuchte erfolglos, die Identität ihrer Mutter über den Nationalrat und die französischen Gerichte zu erfahren.
Daraufhin erhob sie Beschwerde beim EGMR und rügte eine Verletzung ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK.
Der EGMR stellte fest, dass die Weigerung des Nationalrats, die Identität der Mutter preiszugeben, einen Eingriff in das Recht der Klägerin auf Achtung ihres Privatlebens darstellt.
Der Gerichtshof betonte jedoch, dass dieser Eingriff durch das französische Recht vorgesehen war und dem legitimen Ziel diente,
die Rechte und Freiheiten anderer zu schützen, insbesondere das Recht der biologischen Mutter auf Anonymität.
Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen – dem Recht der Klägerin auf Kenntnis ihrer Abstammung und dem Recht der Mutter auf Anonymität – erkannte der EGMR an,
dass den Staaten ein gewisser Ermessensspielraum zusteht. In diesem Fall befand der Gerichtshof, dass Frankreich diesen Ermessensspielraum nicht überschritten hat.
Recht auf Kenntnis der eigenen Herkunft: Der EGMR bestätigte, dass das Recht auf Kenntnis der eigenen Herkunft ein wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Achtung des Privatlebens ist.
Der Gerichtshof betonte die Notwendigkeit, einen gerechten Ausgleich zwischen dem Recht des Kindes, seine Abstammung zu kennen, und dem Recht der Mutter auf Anonymität zu finden.
Der EGMR räumte den Staaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Festlegung der Mittel zur Gewährleistung des Schutzes des Privatlebens ein,
insbesondere in Fällen, die schwierige moralische oder ethische Fragen aufwerfen.
Der Gerichtshof berücksichtigte, dass das französische Recht ein Verfahren vorsieht, das es anonym geborenen Kindern ermöglicht, die Aufhebung der Anonymität zu beantragen.
Zudem erhielt die Klägerin nicht-identifizierende Informationen über ihre Mutter.
Der EGMR maß dem ausdrücklichen Willen der Mutter, ihre Anonymität zu wahren, großes Gewicht bei.
Der Gerichtshof betonte, dass es nicht seine Aufgabe ist, sich zu Fragen zu äußern, die vor den nationalen Gerichten hätten geklärt werden müssen.
Der EGMR entschied, dass Frankreich mit der Verweigerung der Identität der leiblichen Mutter das Recht der Klägerin auf Achtung ihres Privatlebens nicht verletzt hat.
Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den widerstreitenden Rechten und Interessen gefunden wurde
und Frankreich seinen Ermessensspielraum nicht überschritten hat.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.