Rechtfertigung der Besorgnis der Befangenheit durch die in einer Anzeige eines Richters mitgeteilten Gründe
Gerne fasse ich den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26. April 2022 (Az. VIII ZR 355/20) in einfacher Sprache zusammen und erkläre die wichtigsten Fachbegriffe.
Dieser Beschluss des Bundesgerichtshofs betrifft nicht die eigentliche Streitsache zwischen den beiden Parteien, sondern die Besetzung des Gerichts – genauer gesagt, die mögliche Befangenheit einer Richterin.
Eine Klägerin (Käuferin) hatte gegen eine Beklagte (Autohersteller) geklagt, weil ihr neu gekauftes Fahrzeug Mängel aufwies (möglicherweise im sogenannten „Dieselskandal“, auch wenn das im Beschluss nicht ausdrücklich steht). Sie forderte ein mangelfreies Neufahrzeug (Nachlieferung) oder ersatzweise die Reparatur des gekauften Autos (Nachbesserung).
Die Klägerin hatte in den ersten beiden Gerichtsinstanzen (Amts- und Landgericht, bzw. Landgericht und Oberlandesgericht – hier Vorinstanzen genannt) verloren. Das Gericht der zweiten Instanz (Oberlandesgericht) hatte eine Berufung zum BGH (Revision) nicht zugelassen. Die Klägerin legte daraufhin eine Beschwerde gegen diese Nichtzulassung ein. Mit dieser Beschwerde befasste sich der zuständige Senat (eine Art Fachteam) des BGH.
Eine für die Entscheidung zuständige Richterin am BGH, Dr. L., teilte dem Gericht von sich aus mit (Anzeige gemäß § 48 ZPO), dass sie den Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten (des Autoherstellers) persönlich sehr gut kenne. Sie und ihre Familie pflegten eine langjährige enge Freundschaft mit ihm und seiner Familie.
Die Klägerin sagte, sie verzichte zwar auf einen eigenen Antrag, gehe aber davon aus, dass die Richterin befangen sei, und dass das Gericht dies von sich aus feststellen müsse.
Die Beklagte bestätigte die geschilderte Freundschaft, gab aber keine weitere Stellungnahme ab.
Die Besorgnis (Angst oder Zweifel) einer Partei, dass ein Richter nicht neutral und unparteiisch entscheiden wird. Es geht nicht darum, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist, sondern nur um den „bösen Schein“.
Die juristische Feststellung, dass aus Sicht einer vernünftigen, außenstehenden Partei ein Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.
Die zentrale Vorschrift in der Zivilprozessordnung (ZPO), die besagt, dass ein Richter abgelehnt werden kann, wenn ein Grund vorliegt, der Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertigt.
Wenn ein Richter selbst von sich aus mitteilt, dass Umstände vorliegen könnten, die eine Besorgnis der Befangenheit begründen (hier die Richterin Dr. L. Anzeige gemäß § 48 ZPO).
Eine Abteilung des BGH, die für bestimmte Rechtsgebiete zuständig ist (hier der VIII. Zivilsenat für Kaufrecht).
Die knappe, endgültige Entscheidung des Gerichts. Hier: Die Selbstablehnung wird für begründet erklärt, die Richterin darf nicht mitwirken.
Der BGH stellte fest, dass die Besorgnis der Befangenheit in diesem Fall gerechtfertigt ist.
Gerichte müssen verhindern, dass auch nur der Anschein entsteht, ein Richter sei nicht objektiv. Es reicht, wenn eine verständige Partei bei Betrachtung aller Umstände Zweifel an der Neutralität hat.
Eine enge, langjährige Freundschaft, die zudem die Familien einschließt, stellt eine so enge persönliche Beziehung dar, dass sie Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters rechtfertigen kann.
Obwohl die Freundschaft zum Mitarbeiter (dem Leiter der Rechtsabteilung) und nicht zur Beklagten selbst (dem Unternehmen) besteht, ist dies hier gleichwertig. Der Leiter der Rechtsabteilung hat durch seine Position ein starkes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits, da er das Unternehmen in Rechtsfragen vertritt.
Einer Partei ist es nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass in so einem Fall keine unzulässige Beeinflussung durch den befreundeten Mitarbeiter des Gegners erfolgt. Die enge freundschaftliche und familiäre Verbindung der Richterin zu dem führenden Mitarbeiter der Beklagten reicht aus, um die Befangenheit zu begründen.
Die Richterin Dr. L. wurde von der weiteren Mitwirkung an dieser Entscheidung ausgeschlossen.
Dieser Beschluss zeigt, wie streng die Gerichte die Regeln zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter auslegen. Schon der Anschein einer möglichen Beeinflussung ist genug, um eine Besorgnis der Befangenheit festzustellen.
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