Rechtmäßiges Alternativverhalten im Organhaftungsrecht
Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Juli 2018 – II ZR 24/17
Der Fall betrifft eine Schadensersatzklage einer Aktiengesellschaft (AG) gegen ihr ehemaliges Vorstandsmitglied (Beklagter).
Die Alleinaktionärin der AG ist die Stadt D.
Der Beklagte hatte ohne die satzungsgemäß erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats einen Erbbaurechtsvertrag mit der Stadt D. abgeschlossen und die Sanierung eines Schlossensembles
begonnen, wobei sich die Kosten erheblich erhöhten und das ursprüngliche Wirtschaftlichkeitskonzept hinfällig wurde.
Der BGH befasste sich mit mehreren Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Organhaftung des Vorstands (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) und den Einwendungen des Beklagten.
Der BGH bestätigte, dass der Beklagte gegen seine Pflichten gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG verstoßen hat, indem er angesichts
der erheblichen Kostensteigerung und der veränderten Planungssituation keine erneute Zustimmung des Aufsichtsrats für das weitere Vorgehen einholte.
Die ursprünglich erteilte Zustimmung des Aufsichtsrats war aufgrund der grundlegend veränderten Umstände hinfällig geworden.
Entgegen der Ansicht des Beklagten stellte der BGH klar, dass die nach § 7 der Satzung der AG erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats
nicht durch eine nachträgliche (konkludente) Genehmigung ersetzt werden kann.
Zustimmungsvorbehalte dienen der präventiven Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat und können diesen Zweck nur erfüllen,
wenn die Zustimmung vor der Durchführung des Geschäfts eingeholt wird.
Eine nachträgliche Billigung würde dem Sinn und Zweck der präventiven Überwachung widersprechen.
Der BGH ließ offen, ob die Satzung ausdrücklich eine nachträgliche Zustimmung zulassen könnte.
Ein Eilfall, der ausnahmsweise eine nachträgliche Genehmigung rechtfertigen könnte, lag im vorliegenden Fall nicht vor, da der Beklagte ausreichend Zeit hatte, die Zustimmung des Aufsichtsrats einzuholen.
Der Einwand des Beklagten, die Einwilligung des Aufsichtsratsvorsitzenden (der zugleich Oberbürgermeister der Alleinaktionärin war)
ersetze die Zustimmung des Aufsichtsrats, wurde vom BGH zurückgewiesen.
Die Willensbildung des Aufsichtsrats erfordert einen ausdrücklichen Beschluss gemäß § 108 Abs. 1 AktG und kann nicht durch die Einzelentscheidung des Aufsichtsratsvorsitzenden ersetzt werden.
Der Beklagte argumentierte, die Geltendmachung der Schadensersatzpflicht sei rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB),
da er mit dem Oberbürgermeister als Vertreter der Alleinaktionärin sein Vorgehen abgesprochen habe.
Der BGH wies diesen Einwand zurück.
Die Ersatzpflicht des Vorstands gegenüber der AG tritt gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG nur dann nicht ein, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht.
Eine formlose Willensäußerung oder konkludente Einwilligung des Alleinaktionärs genügt hierfür nicht.
Der BGH erörterte die umstrittene Frage, ob die Einwilligung des Alleinaktionärs ausnahmsweise zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Schadensersatzforderung führen kann.
Er stellte fest, dass dies regelmäßig nicht der Fall ist, da dies zu einer Umgehung des § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG führen würde.
Ausnahmsweise könne ein widersprüchliches Verhalten des Alleinaktionärs rechtsmissbräuchlich sein, wenn besondere Umstände ein
Vertrauenstatbestand für den Vorstand geschaffen haben oder andere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen.
Solche Umstände lagen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor.
Der Beklagte konnte sich nicht auf das Vertrauen in die Einwilligung des Oberbürgermeisters berufen, da dieser nicht mit der Hauptversammlung identisch ist
und dem Beklagten die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten des Oberbürgermeisters bewusst waren.
Zudem hatte der Beklagte den zuständigen Aufsichtsrat übergangen.
Der BGH gab der Revision des Beklagten insofern statt, als das Berufungsgericht den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu Unrecht zurückgewiesen hatte.
Dieser Einwand besagt, dass der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Verhalten des Vorstands eingetreten wäre.
Grundsätzlich kann sich ein Vorstand auch bei einem Verstoß gegen einen Zustimmungsvorbehalt auf das rechtmäßige Alternativverhalten berufen. § 93 Abs. 2 AktG ist keine Sanktionsnorm für
Kompetenzverstöße, sondern begründet einen Schadensersatzanspruch, der allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen unterliegt.
Die Darlegungs- und Beweislast für das rechtmäßige Alternativverhalten liegt beim beklagten Vorstand.
Er muss sicher nachweisen, dass der Schaden auf jeden Fall eingetreten wäre, auch wenn er die Zustimmung des Aufsichtsrats eingeholt hätte.
Bei der Beurteilung, ob der Aufsichtsrat der Maßnahme zugestimmt hätte, ist der unternehmerische Handlungsspielraum des Aufsichtsrats zu berücksichtigen.
Der Aufsichtsrat handelt nicht pflichtwidrig, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, mit seiner Zustimmungsentscheidung zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.
Der BGH stellte klar, dass die Verneinung einer Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats nicht automatisch bedeutet, dass eine Zustimmung pflichtwidrig gewesen wäre.
Es ist möglich, dass der Aufsichtsrat im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens auch wirtschaftlich nachteiligen Geschäften zustimmen kann,
insbesondere wenn langfristige Vorteile oder Gemeinwohlbelange (im Falle einer kommunalen AG) eine Rolle spielen.
Das Berufungsgericht hatte den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens unvollständig gewürdigt, indem es lediglich darauf abstellte, ob der Aufsichtsrat zur Zustimmung verpflichtet gewesen wäre.
Es hätte auch prüfen müssen, ob eine Zustimmung im Rahmen des unternehmerischen Handlungsspielraums des Aufsichtsrats gelegen hätte, ohne dass dieser pflichtwidrig gehandelt hätte.
Aufgrund der Rechtsfehler hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Dieses muss den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens unter Beachtung der Rechtsauffassung des BGH erneut würdigen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der BGH in diesem Urteil wichtige Grundsätze zur Organhaftung bei Verstößen
gegen Zustimmungsvorbehalte und zum Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens präzisiert hat.
Die präventive Kontrollfunktion des Aufsichtsrats durch Zustimmungsvorbehalte wird betont, und die formellen Anforderungen
an eine haftungsbefreiende Hauptversammlungsentscheidung werden bekräftigt.
Beim Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens wird klargestellt, dass dieser grundsätzlich auch bei Kompetenzverstößen relevant sein kann
und die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats bei der hypothetischen Zustimmung zu berücksichtigen ist.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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