Rechtsmissbräuchliche Berufung auf Legitimationswirkung der Gesellschafterliste

Juni 9, 2025

Rechtsmissbräuchliche Berufung auf Legitimationswirkung der Gesellschafterliste

OLG München, Beschluss vom 24.01.2024 – 23 U 9287/21

RA und Notar Krau

Was ist passiert?

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat am 24. Januar 2024 einen Beschluss gefasst, der eine frühere Entscheidung des Landgerichts München I bestätigt. Es ging um eine Klage eines Gesellschafters (des Klägers) gegen die Liquidation, also die Auflösung und Abwicklung, einer Gesellschaft (der Beklagten).


Worum ging es genau?

Der Kläger war Gesellschafter der Beklagten. Am 30. Dezember 2016 gab es zwei Gesellschafterversammlungen. In der ersten Versammlung wurde über den Ausschluss des Klägers beraten, aber kein sofortiger Ausschluss beschlossen. In der zweiten Versammlung wurde dann beschlossen, den Kläger „aus wichtigem Grund“ sofort auszuschließen und seinen Geschäftsanteil zu übertragen. Daraufhin wurde eine neue Gesellschafterliste beim Handelsregister eingereicht, in der der Kläger nicht mehr als Gesellschafter aufgeführt war.

Das Problem: Das Landgericht München I hatte den Beschluss zum sofortigen Ausschluss des Klägers später (am 23. April 2018) für nichtig erklärt. Trotzdem berief sich die Beklagte darauf, dass der Kläger nicht mehr Gesellschafter sei, weil er nicht mehr in der Gesellschafterliste stand.

Der Kläger hat dann gegen den Beschluss zur Liquidation der Gesellschaft vom 23. Dezember 2019 geklagt, weil er als Gesellschafter nicht zu dieser Versammlung eingeladen wurde.


Die Entscheidung des Landgerichts

Das Landgericht München I gab dem Kläger vollständig Recht und erklärte den Liquidationsbeschluss für nichtig. Es war der Meinung, dass der Kläger weiterhin Gesellschafter ist und daher zu der Versammlung hätte eingeladen werden müssen.


Die Berufung der Beklagten

Die Beklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Sie wollte, dass die Klage des Klägers abgewiesen wird. Sie argumentierte im Wesentlichen, dass der Kläger durch die geänderte Gesellschafterliste seine Rechte als Gesellschafter verloren habe.


Die Auffassung des OLG München

Das OLG München hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Gericht sah die Argumente der Beklagten nicht als stichhaltig an. Es bestätigte die Entscheidung des Landgerichts.

Rechtsmissbräuchliche Berufung auf Legitimationswirkung der Gesellschafterliste

Das OLG begründete dies wie folgt:

  • Der Kläger ist weiterhin Gesellschafter: Auch wenn der Kläger nicht mehr in der Gesellschafterliste stand, ist er materiell weiterhin Gesellschafter. Der Beschluss zum sofortigen Ausschluss war von Anfang an unwirksam, da es dafür keine rechtliche Grundlage in der Satzung der Gesellschaft gab. Eine Ausschließung kann nur durch ein Gerichtsurteil erfolgen, nicht durch einen Gesellschafterbeschluss, wenn die Satzung nichts anderes vorsieht.
  • Rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten: Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte sich rechtsmissbräuchlich verhalten hat, indem sie sich auf die fehlerhafte Gesellschafterliste berief. Der damalige Geschäftsführer (der gleichzeitig Testamentsvollstrecker und Miterbe der anderen Gesellschafter war) hatte die falsche Liste wissentlich eingereicht, um eigene Interessen durchzusetzen. Dies sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben. Auch wenn es später Rechtsprechungen des Bundesgerichtshofs gab, die die Wirkungen der Gesellschafterliste präzisierten, ändert das nichts daran, dass das Handeln der Beklagten schon damals rechtsmissbräuchlich war.
  • Fehlende Einladung zur Liquidationsversammlung: Da der Kläger weiterhin Gesellschafter war, hätte er zur Gesellschafterversammlung, auf der die Liquidation beschlossen wurde, eingeladen werden müssen. Dies ist unstreitig nicht geschehen. Eine fehlende Einladung eines Gesellschafters macht einen Beschluss, wie hier den Liquidationsbeschluss, nichtig.
  • Keine Pflicht zur Zustimmung zur Auflösung: Das Gericht sah auch keine Pflicht des Klägers, der Auflösung der Gesellschaft zuzustimmen, selbst wenn es Streitigkeiten unter den Gesellschaftern gab. Eine solche Pflicht besteht nur in absoluten Ausnahmefällen, zum Beispiel wenn der Gesellschaftszweck objektiv unmöglich geworden ist oder wenn durch weiteres Abwarten große Nachteile drohen. Diese Voraussetzungen sah das Gericht hier nicht als gegeben an. Auch die Behauptung, der Kläger habe sich bereits auszahlen lassen oder habe kein Interesse am Fortbestand der Gesellschaft, wurde vom Gericht nicht als ausreichend angesehen.

Ergebnis

Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Das Urteil des Landgerichts, das den Liquidationsbeschluss für nichtig erklärt hatte, bleibt bestehen. Die Beklagte muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen.


Was bedeutet das Urteil?

Dieses Urteil unterstreicht, wie wichtig die korrekte Einhaltung gesellschaftsrechtlicher Formalitäten ist, insbesondere bei Gesellschafterlisten und Einladungen zu Versammlungen. Es zeigt auch, dass sich eine Gesellschaft nicht auf eine formale Rechtsposition berufen kann, wenn diese durch rechtsmissbräuchliches Verhalten herbeigeführt wurde. Das Gericht hat klargestellt, dass ein Gesellschafter auch dann seine Rechte behält, wenn er fälschlicherweise aus der Gesellschafterliste entfernt wurde.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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