Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Vertragsstrafe

Juli 6, 2025

Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Vertragsstrafe

RA und Notar Krau

Stell dir vor, du hast einen Laden und jemand wirft dir vor, etwas falsch gemacht zu haben. Dann bekommst du eine Abmahnung, die dich auffordert, das Fehlverhalten einzustellen. Damit du nicht verklagt wirst, unterschreibst du eine Unterlassungserklärung, oft mit der Drohung einer Vertragsstrafe, falls du es wieder tust. Genau darum ging es in diesem Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm (Az.: 4 U 78/22), das am 27. Mai 2025 entschieden wurde.

Worum ging es im Kern?

Ein Verband, der sich für fairen Wettbewerb einsetzt, hat einen Online-Händler abgemahnt. Der Händler hatte in seinen Angeboten mit „Garantie“ geworben, ohne genau zu erklären, was das bedeutet – ein Wettbewerbsverstoß. Um einer Klage zu entgehen, unterschrieb der Händler eine Unterlassungserklärung, in der er sich verpflichtete, so etwas zukünftig zu unterlassen und bei einem Verstoß 5.000 € Vertragsstrafe zu zahlen. Als der Händler später erneut einen angeblichen Verstoß beging (diesmal ging es um das Nicht-Hinweisen auf Herstellergarantien), forderte der Verband die 5.000 € Vertragsstrafe ein.

Der Händler wehrte sich und sagte: Die ursprüngliche Abmahnung war rechtsmissbräuchlich. Das bedeutet, der Verband hat die Abmahnung nicht wirklich im Interesse des fairen Wettbewerbs ausgesprochen, sondern aus anderen, „sachfremden“ Gründen – zum Beispiel, um Geld zu verdienen.

Was hat das Landgericht entschieden?

Das Landgericht Essen gab dem Händler Recht und wies die Klage des Verbandes auf Zahlung der Vertragsstrafe ab. Es war der Ansicht, dass die Abmahnung missbräuchlich war.

Was passierte in der ersten Berufungsrunde vor dem OLG Hamm und dem BGH?

Der Verband legte gegen das Urteil des Landgerichts Berufung ein. Das Oberlandesgericht Hamm bestätigte zunächst die Entscheidung des Landgerichts: Auch es sah die Abmahnung als missbräuchlich an. Der Verband legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein.

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des OLG Hamm auf und schickte den Fall zurück. Der BGH stellte klar, dass nicht allein die hohe Zahl der Abmahnungen, bei denen keine gerichtliche Klärung erfolgte, auf Rechtsmissbrauch schließen lässt. Es müssen weitere Indizien hinzukommen, die zeigen, dass der Verband überwiegend aus sachfremden Gründen gehandelt hat.

Die erneute Entscheidung des OLG Hamm – Was war neu?

Nach der Zurückverweisung durch den BGH musste das OLG Hamm den Fall erneut prüfen und dabei die Hinweise des BGH berücksichtigen. Der Verband versuchte, seine Abmahnpraxis zu rechtfertigen, indem er ausführte, warum viele Fälle nicht gerichtlich weiterverfolgt wurden (z.B. Geschäftsaufgabe des Abgemahnten, rechtliche Unsicherheiten, laufende Musterverfahren).

Der Beklagte (der Händler) legte jedoch weitere Indizien für einen Rechtsmissbrauch vor, die zum Teil auf eigenen, unbestrittenen Aussagen des klagenden Verbandes aus anderen Gerichtsverfahren basierten.

Die entscheidenden Punkte des OLG Hamm:

Warum die Abmahnung missbräuchlich war

Das OLG Hamm kam zu dem Schluss, dass die Abmahnung rechtsmissbräuchlich war, weil eine Gesamtschau der Umstände dies ergab.

Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Vertragsstrafe

Hier sind die Hauptargumente, die für den Rechtsmissbrauch sprachen:

Mitgliederstruktur und Klagebefugnis:

Der Verband hatte viele „passive“ Mitglieder, die kaum Einfluss auf den Verein hatten, während „aktive“ Mitglieder mit Stimmrecht sehr selten waren. Das OLG Hamm sah darin eine Strategie, um eine möglichst breite Klagebefugnis zu erlangen, die dann wiederum als Basis für Abmahntätigkeiten diente. Es schien, als ob die Mitgliedschaft dazu genutzt wurde, die Voraussetzung für die Abmahnungen künstlich zu schaffen.

Hohe Vergütungen:

Ein Großteil der Einnahmen des Verbandes (im Jahr 2020: 44% von über 3,2 Mio. Euro) floss an nur sechs Personen, die dem Vorstand nahestanden. Das Gericht sah darin ein Indiz, dass die Einnahmen überwiegend privaten Interessen dienten und nicht der eigentlichen Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.

Systematische Schonung eigener Mitglieder:

Der Verband mahnte Nichtmitglieder wegen Wettbewerbsverstößen ab, die auch von eigenen Mitgliedern mit ähnlichen Produkten begangen wurden – ohne dass diese Mitglieder abgemahnt oder verklagt wurden. Das Gericht sah darin eine Bevorzugung der eigenen Mitglieder, die dem Ziel der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs entgegenstand und den Eindruck erweckte, die Organisation diene dazu, Mitglieder vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen.

Zu weit gefasste Unterlassungserklärung:

Die vom Verband vorformulierte Unterlassungserklärung ging über den tatsächlichen Verstoß hinaus. Im konkreten Fall wurde der Händler wegen „pauschaler Garantie-Werbung“ abgemahnt, musste sich aber auch verpflichten, über Herstellergarantien zu informieren, selbst wenn er damit gar nicht warb. Das Gericht hielt dies für einen offensichtlich zu weit gehenden Anspruch, zumal die Rechtslage dazu zum Zeitpunkt der Abmahnung noch unklar war und später sogar zugunsten der Händler entschieden wurde (keine Informationspflicht über nicht beworbene Herstellergarantien).

Zusammenhang von Unterlassung und Kosten:

Die Abmahnung des Verbandes erweckte den Eindruck, dass die Unterzeichnung der Unterlassungserklärung und die Zahlung der Abmahnkosten untrennbar zusammengehören. Der Händler wurde suggeriert, nur durch die Unterschrift unter die vorformulierte Erklärung – die auch die Kosten umfasste – eine Klage vermeiden zu können. Die Möglichkeit, eine eigene, nur den Verstoß betreffende Erklärung abzugeben, wurde verschwiegen.

Unerklärte Nichtverfolgung vieler Abmahnungen:

Der Verband hatte eine sehr hohe Zahl von Abmahnungen verschickt, bei denen keine Unterlassungserklärung abgegeben wurde, diese aber nicht gerichtlich weiterverfolgt.

Obwohl der Verband versuchte, dies mit verschiedenen Gründen zu erklären (z.B. Geschäftsaufgabe, rechtliche Unsicherheiten in Musterverfahren), sah das Gericht dies in der Gesamtschau als Indiz dafür, dass der Verband vorrangig darauf abzielte, schnell Unterlassungserklärungen und damit potenzielle Vertragsstrafen zu erhalten. Besonders kritisch war, dass in 25% der nicht weiterverfolgten Fälle die Rechtslage noch ungeklärt war.

Das Urteil

Aufgrund dieser vielfältigen Indizien kam das Oberlandesgericht Hamm zu dem Ergebnis, dass der Verband rechtsmissbräuchlich gehandelt hat. Die Klage des Verbandes auf Zahlung der Vertragsstrafe wurde daher abgewiesen. Der Verband musste auch die Kosten des Verfahrens tragen.

Das Gericht lehnte eine erneute Zulassung der Revision ab, da es sich um eine Einzelfallentscheidung handle, die sich nicht grundsätzlich von der Rechtsprechung des BGH oder anderer Oberlandesgerichte unterscheide, auch wenn es in ähnlich gelagerten Fällen zu anderen Ergebnissen gekommen sei.

Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Vertragsstrafe

Was bedeutet das für Laien?

Dieses Urteil ist ein wichtiges Signal gegen Abmahnungen, die nicht primär dem fairen Wettbewerb dienen, sondern darauf abzielen, Geld durch Kostenforderungen und Vertragsstrafen zu verdienen. Es zeigt, dass Gerichte sehr genau prüfen, ob Verbände ihre Befugnis zur Abmahnung missbrauchen. Wenn ein Verband eine fragwürdige Mitgliederstruktur, fragwürdige Geldflüsse und eine Abmahnpraxis hat, die eher auf Einnahmen als auf die tatsächliche Durchsetzung von Wettbewerbsregeln abzielt, dann kann die Geltendmachung einer Vertragsstrafe als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

Es ist eine Mahnung an Abmahnvereine, dass sie im öffentlichen Interesse handeln müssen und nicht als reine „Geldmaschinen“ fungieren dürfen. Für Händler bedeutet es, dass es sich lohnen kann, eine Abmahnung genau zu prüfen und gegebenenfalls den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu erheben, wenn die Praktiken des Abmahnenden fragwürdig erscheinen.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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