Rechtsprechungsübersicht: Die Rückforderung von Online-Coaching-Vergütungen – Analyse der BGH-Judikatur zur Nichtigkeit und den Wertersatzfragen
Die hochpreisige deutsche Online-Coaching-Branche erfuhr seit Mitte 2024 eine signifikante rechtliche Neujustierung. Mehrere wegweisende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) stärkten die Position der Coachees (Kunden) und vereinfachten die Rückforderung bereits gezahlter Honorare aus Online-Coaching-Verträgen erheblich.
Die Grundlage für diese Rückforderungsansprüche stützt sich primär auf drei juristische Pfeiler: die Nichtigkeit des Vertrages aufgrund fehlender Zulassung nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG), das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen (BGB), und in Extremfällen die Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB).
Die juristische Wende wurde maßgeblich durch zwei zentrale BGH-Urteile im Jahr 2025 ausgelöst. Das Urteil vom 12. Juni 2025 (Az. III ZR 109/24) erklärte einen hochpreisigen, auf finanzielle Fitness abzielenden Mentoring-Vertrag im Wert von 47.600 € wegen der fehlenden Zulassung durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) für nichtig.
Ergänzend dazu stellte der BGH mit Urteil vom 02. Oktober 2025 (Az. III ZR 173/24) klar, dass auch Programme, die überwiegend auf Live-Calls basieren (im konkreten Fall ca. 90 % Live-Anteil), als zulassungspflichtiger Fernunterricht eingestuft werden können. Diese Rechtsprechung betont, dass nicht einzelne Elemente, sondern das Gesamtbild des Angebots für die rechtliche Einordnung entscheidend ist.
Die erfolgreichste Strategie für Coachees zur Rückforderung der gesamten Vergütung ist die Geltendmachung der Nichtigkeit des Coaching-Vertrages gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG. Dies setzt voraus, dass das Online-Coaching als zulassungspflichtiger Fernunterricht eingestuft wird.
Ein Fernunterrichtsvertrag liegt nach § 1 Abs. 1 FernUSG vor, wenn drei Kriterien kumulativ erfüllt sind: die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die überwiegend räumlich getrennt erfolgt (Online-Format), und die Überwachung des Lernerfolgs.
Die jüngste BGH-Judikatur verfolgt einen weiten Ansatz bei der Auslegung dieser Kriterien, insbesondere bei hochpreisigen Business- und Mentoring-Programmen. Der BGH legt Wert auf das Gesamtbild des Angebots, welches die vertraglichen Vereinbarungen, Leistungs- und Programmbeschreibungen, Kursstrukturen, Landingpages und Werbeaussagen umfasst.
Diese umfassende Betrachtung ist strategisch relevant, da sie verhindert, dass Anbieter die Zulassungspflicht durch reine Umbenennung des Produktes (z.B. von „Kurs“ zu „Mentoring“ oder „Beratung“) umgehen. Die tatsächliche systematische Vermittlung von Wissen – selbst im Bereich von „Mindset-Training“ oder „Business-Strategien“ – ist ausschlaggebend.
Das entscheidende Kriterium der Überwachung des Lernerfolgs wird dabei ebenfalls großzügig ausgelegt. Formen der Lernkontrolle, die zur Zulassungspflicht führen, beinhalten Hausaufgaben, Feedback-Schleifen, Gruppenbetreuung, Live-Q&A-Sessions oder mündliche Rückfragen.
Die Rechtsprechung verdeutlicht, dass selbst ein überwiegend live-basiertes Programm, bei dem die Live-Calls im Vertrag nur oberflächlich beschrieben, die Video-Lektionen jedoch detailliert aufgeführt werden, als Fernunterricht eingestuft werden kann, da der inhaltliche Schwerpunkt auf den aufgezeichneten Kursmaterialien liegen kann. Dies verschärft die Compliance-Anforderungen an Online-Coaches erheblich.
Fällt ein Angebot in den Anwendungsbereich des FernUSG, ist eine Zulassung durch die ZFU zwingend erforderlich [5]. Fehlt diese staatliche Zulassung, ist der Vertrag gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG von Anfang an nichtig (ex tunc). Dies ist die juristisch stärkste Konsequenz .
Die Nichtigkeit führt dazu, dass der Rechtsgrund für die erbrachten Zahlungen von Anfang an entfällt. Der Coachee hat einen Anspruch auf Rückzahlung der gesamten gezahlten Vergütung aus Ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) . Ein Coachee muss den Vertrag in diesem Fall weder kündigen noch widerrufen, sondern kann sich unmittelbar auf die Ungültigkeit berufen .
Das Fehlen der ZFU-Zulassung entzieht dem Anbieter in der Regel auch die Möglichkeit, Wertersatzansprüche geltend zu machen, da der Schutzgedanke des FernUSG maximiert wird. Im Gegensatz zu Fällen des Widerrufs, bei denen ein Wertersatz für erbrachte Teilleistungen gefordert werden kann, eliminiert die Nichtigkeit ex tunc nach FernUSG den Rechtsgrund für die Leistung vollständig. Der Coachee kann somit die gesamten gezahlten Beträge zurückverlangen, ungeachtet der Dauer der Nutzung der Inhalte .
Im Folgenden werden die Kriterien des Fernunterrichts nach der aktuellen Judikatur dargestellt:
Table 1: Kriterienkatalog des Fernunterrichts nach aktueller BGH-Rechtsprechung
| Kriterium (§ 1 Abs. 1 FernUSG) | Juristische Auslegung (BGH 2025) | Relevante Elemente im Online-Coaching |
| Vermittlung von Kenntnissen/Fähigkeiten | Systematische Lehr- und Lernziele (Mindset, Businessstrategien, etc.). Bewertung des inhaltlichen Schwerpunktes des Angebots. | Vorproduzierte Module, strukturierter Lehrplan, detaillierte Video-Lektionen (auch bei hohem Live-Anteil) |
| Räumliche Trennung | Überwiegend räumlich getrennt (Online-Format). | Videoinhalte, Online-Calls (Zoom), geschlossene Community-Portale |
| Überwachung des Lernerfolgs | Form der Lernkontrolle, Feedback, Aufgabenkorrektur. | Hausaufgaben, Gruppenbetreuung, Live-Q&A-Sessions, Rückfragen, persönliche Betreuung |
Während die Nichtigkeit nach FernUSG Wertersatzansprüche zumeist blockiert, ist der Anspruch auf Wertersatz bei anderen Rückabwicklungsgründen, insbesondere dem Widerruf, ein zentraler Streitpunkt und Gegenstand divergierender Rechtsprechung.
Wurde der Coaching-Vertrag wirksam widerrufen, kann der Coach gemäß § 357 Abs. 8 BGB Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung verlangen Die Höhe dieses Anspruchs ist in der Instanzgerichtsbarkeit strittig. Das Landgericht Landshut (Az.: 54 O 305/24) sprach einem Coach zwar Wertersatz für Teilleistungen zu, verurteilte ihn aber zur Rückzahlung der Differenz, da keine ausreichenden Belege für eine erhebliche Leistungserbringung vorlagen.
Konträr dazu steht ein Urteil des Amtsgerichts Paderborn, das einem Coach Wertersatz in Höhe von 100 % der Vergütung zusprach, obwohl die Nichtigkeit nach FernUSG im Raum stand. Solche Entscheidungen spiegeln die aggressive Verteidigungsstrategie der Anbieter wider, die versuchen, den vollen Wert der Leistung auf die bloße Freischaltung von digitalen Inhalten zu legen.
Die Argumentation, dass der Zugang zu vorproduzierten Videos bereits den vollen Wert darstellt, steht im Widerspruch zum Schutzzweck des FernUSG. Bei zulassungspflichtigem Fernunterricht liegt die zentrale Wertschöpfung oft in der qualitätskontrollierten, interaktiven Betreuung und dem Feedback, welches die ZFU-Zulassung sicherstellen soll. Würde bei Nichtigkeit nach FernUSG stets ein voller Wertersatzanspruch zugelassen, würde der Schutzmechanismus des Gesetzes – die Verpflichtung zur Qualitätssicherung und Zulassung – ausgehöhlt. Daher ist die erfolgreiche Geltendmachung der Nichtigkeit wegen fehlender ZFU-Zulassung in der Regel die sicherste Methode zur Rückerlangung der vollen Summe.
Die Beweislast für die ordnungsgemäße Erbringung der Leistung und die Angemessenheit des Wertersatzanspruchs liegt stets beim Coach. Bei mangelhafter Leistung, fehlendem messbarem Mehrwert oder mangelhafter persönlicher Betreuung kann der Coachee Rücktritt (§ 323 BGB) oder Schadensersatz (§ 280 BGB) geltend machen.
Für den Fall, dass die strengen Kriterien des FernUSG nicht erfüllt sind oder zur Stärkung der Rechtsposition des Coachees, kommen die allgemeinen Bestimmungen des BGB zur Anwendung.
Online-Coaching-Verträge sind zumeist Fernabsatzverträge, bei denen Verbrauchern ein 14-tägiges Widerrufsrecht zusteht (§§ 312g, 355 BGB). Ist die Widerrufsbelehrung fehlerhaft oder fehlt sie gänzlich, verlängert sich die Widerrufsfrist unter Umständen.
Das Erlöschen des Widerrufsrechts richtet sich nach § 356 BGB und ist bei Coaching-Angeboten komplex:
[17, 18].Die Sittenwidrigkeit stellt einen Auffangtatbestand für extreme Ungerechtigkeit dar, wobei die Schwelle zur Feststellung hoch ist Ein Coaching-Vertrag kann als nichtig erklärt werden, wenn ein gravierendes Missverhältnis zwischen Preis und Leistung vorliegt (z. B. 10.000 € oder mehr für leicht verfügbare Inhalte) und dieses Missverhältnis durch zusätzliche Umstände wie die Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notlage, geschäftlicher Unerfahrenheit oder massiven Verkaufsdrucks bedingt ist.
Die juristische Praxis nutzt § 138 BGB oft als ergänzendes Argument oder als Auffangposition, wenn die Voraussetzungen des FernUSG nicht eindeutig erfüllt sind (z. B. bei echtem B2B-Consulting). Auch in Fällen wie dem hochpreisigen Mentoring-Programm, das dem BGH 2025 zur Entscheidung vorlag, stärken Sittenwidrigkeitsvorwürfe die Position des Coachees. Ein Beispiel für die Anwendung auf Instanzgerichtsebene ist das OLG Dresden, das Sittenwidrigkeit bei einem Vertrag zu wucherischen Preisen (35.700 €) prüfte, der unter Alkoholeinfluss zustande gekommen sein soll, parallel zur Frage der FernUSG-Nichtigkeit.
Die juristische Abgrenzung zwischen Verbraucher (B2C) und Unternehmer (B2B) ist im Coaching-Segment, das oft auf Existenzgründer oder Kleinstunternehmer abzielt, von entscheidender Bedeutung für die Anwendbarkeit von Schutzvorschriften.
Die neuere Rechtsprechung tendiert dazu, den Verbraucherschutz zu erweitern. Auch wenn ein Coaching-Angebot formell an Selbstständige oder Unternehmer gerichtet ist (B2B), führt die Anwendung des FernUSG, das primär dem Verbraucherschutz dient, dazu, dass die Schutzrichtung des Gesetzes auch in diese Bereiche hineingetragen wird. Dies bedeutet, dass Coaches sich nicht mehr pauschal auf den Unternehmerstatus des Coachees berufen können, um Schutzvorschriften wie das FernUSG zu umgehen. Existenzgründer, die Coaching zur fundamentalen Geschäftsbasis buchen, können als schutzwürdig angesehen werden, sofern das Programm die Merkmale eines strukturierten Fernunterrichts erfüllt.
Die aktuellen BGH-Urteile markieren eine fundamentale Zäsur in der Behandlung von Online-Coaching-Verträgen. Die Nichtigkeit des Vertrages wegen fehlender ZFU-Zulassung hat sich als der effektivste Rechtsgrund zur Rückforderung der Vergütung erwiesen, da sie den Vertrag ex tunc als unwirksam erklärt und in der Regel das Risiko eines Wertersatzanspruchs des Coaches eliminiert [2, 13]. Sekundäre Anspruchsgrundlagen wie der Widerruf bleiben relevant, insbesondere wenn die Frist nicht abgelaufen ist oder die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war, sind jedoch mit dem Risiko eines anteiligen Wertersatzes behaftet.
Der folgende Vergleich fasst die Hauptanspruchsgrundlagen zusammen:
Table 2: Gegenüberstellung der Hauptanspruchsgrundlagen zur Rückforderung
| Anspruchsgrundlage | Rechtsnorm | Vorteil für Coachee | Risiko/Hürde |
| Nichtigkeit (Zulassung) | § 7 Abs. 1 FernUSG | Rückforderung des gesamten Honorars (ex tunc), keine Wertersatzpflicht i.d.R. | Das Angebot muss die Fernunterrichts-Kriterien erfüllen. |
| Widerruf | §§ 312g, 355 BGB | Einfaches Lösen vom Vertrag, auch ohne Mangel. | Kurze Frist (14 Tage); Möglichkeit des Wertersatzes für Teilleistung (§ 357 Abs. 8 BGB). |
| Sittenwidrigkeit | § 138 BGB | Rückforderung bei extremer Unfairness (Nichtigkeit). | Extrem hohe Beweisanforderungen (Missverhältnis und Ausnutzung). |
Handlungsempfehlungen für Coachees:
Coachees, die eine Rückforderung anstreben, sollten primär prüfen, ob ihr Vertrag die Kriterien des FernUSG (insbesondere Lernkontrolle und Systematik) erfüllt, und bei fehlender ZFU-Zulassung unverzüglich die Nichtigkeit und den Rückzahlungsanspruch (§ 812 BGB) geltend machen.
Handlungsempfehlungen für Coaches/Anbieter:
Die Branche muss dringend reagieren. Anbieter sind gehalten, ihre Angebote einer strikten rechtlichen Prüfung auf Zulassungspflicht nach FernUSG zu unterziehen und gegebenenfalls die ZFU-Zulassung zu beantragen, um die Geltendmachung von Honoraransprüchen rechtlich abzusichern. Zudem müssen alle vertragsrelevanten Dokumente, einschließlich AGB und Werbeaussagen, an die verschärfte BGH-Judikatur angepasst werden, um die Einstufung als zulassungsfreies Beratungsangebot rechtssicher zu dokumentieren