Rechtsschutzbedürfnis für ein Aufgebotsverfahren zum Ausschluss der unbekannten Erben

Oktober 5, 2025

Rechtsschutzbedürfnis für ein Aufgebotsverfahren zum Ausschluss der unbekannten Erben

BGH, Beschl. v. 14. 11. 2013 – V ZB 204/12

Dieser juristische Fall behandelt die Frage, ob ein Grundstückseigentümer das sogenannte Aufgebotsverfahren nutzen kann, um ein altes, im Grundbuch eingetragenes Grundpfandrecht löschen zu lassen, wenn die Erben des ursprünglichen Gläubigers unbekannt sind. Im Kern geht es darum, ob der Eigentümer ein Rechtsschutzbedürfnis für dieses Verfahren hat, oder ob er stattdessen einen Nachlasspfleger für die unbekannten Erben bestellen lassen muss.

Der Sachverhalt

Der Antragsteller (Eigentümer) kaufte Grundstücke, die mit zwei Buchgrundpfandrechten (Hypotheken oder Grundschulden) belastet waren, eingetragen zugunsten eines Gläubigers namens He. Der Verkäufer behauptete, He. sei sein Bruder gewesen, der 1944 unverheiratet starb, und er – der Verkäufer – habe ihn und die Eltern beerbt, sodass er nun der Berechtigte sei. Er bewilligte die Löschung.

Allerdings scheiterte die Löschung, weil der erforderliche Erbnachweis des Verkäufers als Erbe des eingetragenen Gläubigers He. nicht erbracht werden konnte. Der Gläubiger blieb damit formal unbekannt.

Nachdem der Kontakt zum Verkäufer abriss, beantragte der Eigentümer im Jahr 2010 die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens nach §1170 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), um die unbekannten Gläubiger der Grundpfandrechte mit ihren Rechten auszuschließen und die Löschung zu ermöglichen.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Amtsgericht (AG) und das Oberlandesgericht (OLG) wiesen den Antrag des Eigentümers zurück.

Das OLG argumentierte, der Eigentümer habe kein Rechtsschutzbedürfnis für das Aufgebotsverfahren, weil er für die unbekannten Erben des Gläubigers einen Nachlasspfleger (§§1960 ff. BGB) bestellen lassen könne. Dieser Pfleger könnte dann zur Löschung aufgefordert werden.

Das Gericht meinte, diese Möglichkeit habe Vorrang, weil das Aufgebotsverfahren zu einem vollständigen, entschädigungslosen Rechtsverlust für den Gläubiger führe. Das Aufgebotsverfahren sei auf Fälle zu beschränken, in denen es keine milderen Möglichkeiten gebe.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH)

Der BGH (als höchste Instanz) gab dem Eigentümer Recht und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf. Das Gericht stellte klar, dass der Antrag auf Einleitung des Aufgebotsverfahrens nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses hätte zurückgewiesen werden dürfen.

Die Voraussetzungen des Aufgebotsverfahrens lagen vor

Der BGH bestätigte, dass die formalen Voraussetzungen für das Aufgebotsverfahren nach §1170 Abs. 1 BGB gegeben waren:

Der Gläubiger der Grundpfandrechte ist unbekannt.

Die 10-Jahres-Frist seit der letzten Eintragung und der letzten Anerkennung des Rechts durch den Eigentümer war verstrichen.

Rechtsschutzbedürfnis für ein Aufgebotsverfahren zum Ausschluss der unbekannten Erben

Kein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis wegen möglicher Nachlasspflegschaft

Der BGH widersprach der Ansicht, dass die Möglichkeit, einen Nachlasspfleger zu bestellen, das Aufgebotsverfahren ausschließe.

a) Keine gesetzliche Anordnung eines Vorrangs

Es gibt keinen gesetzlich angeordneten Vorrang der Geltendmachung von Löschungsansprüchen gegenüber einem Nachlasspfleger vor dem Aufgebotsverfahren. Die beiden Verfahren stehen vielmehr selbstständig nebeneinander.

b) Der Wille des Gesetzgebers

Die Argumentation der Vorinstanzen widerspricht dem klaren Willen des Gesetzgebers hinter §1170 BGB:

Die Vorschrift durchbricht das sogenannte Konsensprinzip (Löschung nur mit Bewilligung des Berechtigten).

Ziel ist es, den Grundstückseigentümer nach Ablauf von 10 Jahren ohne Aktivität des Gläubigers so zu stellen, als hätte er eine löschungsfähige Quittung erhalten.

Das Aufgebotsverfahren soll die Unsicherheiten über das Bestehen der Gläubigerrechte endgültig beseitigen.

c) Die Nachteile des Pfleger-Weges

Würde man den Eigentümer auf den Weg über den Nachlasspfleger verweisen, müsste er:

Entweder nachweisen, dass die zugrundeliegende Forderung erloschen ist (z.B. durch Zahlung an den wahren Erben).

Oder er müsste nach §§1142,372 BGB ein zweites Mal zahlen (hinterlegen), um die Löschungsbewilligung zu erlangen.

Dies würde dem Zweck des §1170 BGB widersprechen, der gerade darin liegt, dem Eigentümer nach 10 Jahren des Stillstands einen unkomplizierten Weg zur Bereinigung des Grundbuchs zu ermöglichen, ohne das Erlöschen der Forderung beweisen oder ein zweites Mal zahlen zu müssen.

d) Keine verfassungsrechtlichen Bedenken

Der BGH sah auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §1170 BGB, auch wenn es zum entschädigungslosen Rechtsverlust führen kann. Das Gesetz stelle eine sachrechtliche Ausformung des Verwirkungsgedankens dar: Ein Gläubiger, der sich 10 Jahre lang nicht um sein Recht kümmert, kann es verlieren, ähnlich wie bei Verjährung.

Fazit

Der BGH entschied: Der Eigentümer darf das Aufgebotsverfahren nutzen, um das Grundpfandrecht zu löschen, auch wenn die Möglichkeit bestünde, einen Nachlasspfleger für die unbekannten Erben zu bestellen. Der Eigentümer muss nicht den komplizierteren und teureren Weg über einen Nachlasspfleger gehen, bei dem er möglicherweise ein zweites Mal zahlen oder das Erlöschen der alten Forderung beweisen müsste. Das Aufgebotsverfahren ist ein gleichberechtigter, vom Gesetzgeber bewusst geschaffener Weg zur Bereinigung des Grundbuchs nach langem Stillstand.

RA und Notar Krau

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