Rechtsschutzversicherung – Deckungsschutz für Klage wegen behauptetem Impfschaden
Hier ist eine Zusammenfassung des Urteils des OLG Karlsruhe vom 15. Mai 2025 (Az. 12 U 141/24) zum Deckungsschutz für eine Klage wegen behaupteter Impfschäden
Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat entschieden, dass eine Rechtsschutzversicherung die Kosten für eine Klage wegen angeblicher Impfschäden nach einer COVID-19-Impfung decken muss, da zum Zeitpunkt der ursprünglichen Deckungsanfrage eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Klage bestand.
Ein Mann (der Kläger), der sich im Juni und Juli 2021 mit einem mRNA-Impfstoff impfen ließ, entwickelte im August 2021 ein Fatigue-Syndrom (dauerhafte Müdigkeit, Kraftlosigkeit) und weitere Beschwerden. Er machte gegenüber dem Impfstoffhersteller Schadensersatzansprüche in Höhe von mindestens 150.000 Euro geltend.
Sein Rechtsschutzversicherer (vertreten durch ein Schadensabwicklungsunternehmen, die Beklagte) lehnte die Übernahme der Anwalts- und Gerichtskosten (Deckungsschutz) im August 2022 ab. Die Begründung: Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gemäß den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (ARB 2009, Nr. 23.1.1).
Der Kläger klagte daraufhin gegen das Unternehmen auf Gewährung des Deckungsschutzes.
Für den Deckungsschutz in der Rechtsschutzversicherung gilt der Maßstab der Prozesskostenhilfe: Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen. Die Erfolgsaussicht wird dabei nicht streng geprüft oder gar die Hauptsacheklage vorweggenommen; es genügt, wenn die Rechtsverfolgung vertretbar erscheint und die Beweisführung möglich ist.
Das OLG stellt klar, dass für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Zeitpunkt der Bewilligungsreife (hier: August 2022) maßgeblich ist, also der Zeitpunkt, an dem die Versicherung über die Deckungsanfrage entscheiden musste. Spätere Klärungen der Rechtslage, etwa durch andere obergerichtliche Urteile, dürfen nicht zum Nachteil des Versicherten herangezogen werden.
Die beabsichtigte Klage stützte sich auf die verschuldensunabhängige Haftung des Arzneimittelherstellers nach dem Arzneimittelgesetz (§ 84 AMG).
Das Gericht hielt es für möglich, dass der Kläger in der Hauptsache die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG für das Fatigue-Syndrom in Anspruch nehmen kann. Er hatte einen engen zeitlichen Zusammenhang (ab dem 3. Tag nach der zweiten Impfung) behauptet und Beweise (Zeugen, ärztliche Unterlagen) vorgelegt. Die Frage, ob andere Umstände (z.B. Vorerkrankungen, Nikotinkonsum, spätere COVID-19-Infektion) den Schaden verursacht haben, sei eine schwierige Tatfrage, die nur durch ein Sachverständigengutachten im Hauptprozess geklärt werden könne und daher im Deckungsprozess nicht zur Ablehnung führen dürfe.
Die Haftung des Herstellers setzt auch voraus, dass die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels über ein nach medizinischen Erkenntnissen vertretbares Maß hinausgehen (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG). Hier muss eine Abwägung zwischen dem therapeutischen Nutzen und den Risiken des Impfstoffs stattfinden.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Deckungsanfrage (August 2022) war das Verhältnis von Nutzen und Risiko des Impfstoffs noch nicht höchstrichterlich geklärt.
Der Kläger brachte substanziierte Argumente vor, die den therapeutischen Nutzen des Impfstoffs in Zweifel zogen (z.B. Kritik an der Wirksamkeitsstudie).
Das Gericht betonte, dass die obergerichtlichen Urteile, die später die Nutzen-Risiko-Frage als geklärt ansahen (oft unter Verweis auf die Zulassungsentscheidung), nach der Deckungsanfrage ergingen und den Versicherer daher nicht entlasten.
Zum Zeitpunkt der Ablehnung (August 2022) waren die Fragen der Kausalität und der Nutzen-Risiko-Abwägung ungeklärt und schwierig. Dies reichte aus, um die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage zu bejahen und den Deckungsschutz zu gewähren.
Der Kläger hatte zwar einen sogenannten Stichentscheid (eine bindende anwaltliche Stellungnahme zur Erfolgsaussicht) eingeholt, doch das OLG stellte fest, dass dieser keine Bindungswirkung entfaltete, weil er nicht ausreichend begründet war. Statt einer gutachterlichen Stellungnahme sei der Schriftsatz eine bloße „Streitschrift“ gewesen, die sich nicht sachlich mit den Ablehnungsgründen der Versicherung auseinandersetzte. Da aber die Klage unabhängig vom Stichentscheid ohnehin hinreichende Erfolgsaussicht hatte, musste der Versicherer trotzdem zahlen.
Die Entscheidung stärkt die Rechte von Rechtsschutzversicherten. Sie besagt:
Der Versicherer muss die Erfolgsaussicht großzügig prüfen.
Bei schwierigen Rechts- oder Tatfragen ist die Erfolgsaussicht in der Regel gegeben, da diese im Hauptverfahren durch das Gericht geklärt werden müssen.
Die Beurteilung erfolgt ex-ante (im Nachhinein zum Zeitpunkt der Anfrage). Nachträgliche Klärungen, die die Erfolgsaussicht mindern, dürfen nicht berücksichtigt werden.
Dies ist ein wichtiger Fall, da er die Tür für die Finanzierung von Klagen gegen Impfstoffhersteller durch Rechtsschutzversicherungen öffnet, zumindest für Fälle, deren Deckungsanfrage zu einem frühen Zeitpunkt gestellt wurde, als die Rechtslage noch weitgehend ungeklärt war.
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