Reichweite gesellschaftsvertraglicher Wettbewerbsverbote nach Austritt eines Gesellschafters

April 24, 2019

Reichweite gesellschaftsvertraglicher Wettbewerbsverbote nach Austritt eines Gesellschafters

GmbH – Ausübung von Mitgliedschaftsrechten nach Austritt aus der Gesellschaft

Notar Krau: 

 

BGH, Urteil vom 30.11.2009 – II ZR 208/08

Das Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30. November 2009 (Az. II ZR 208/08), veröffentlicht unter openJur 2011, 1332, befasst sich mit der Anwendbarkeit und Reichweite eines

gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverbots für einen Gesellschafter, der aus der Gesellschaft ausgeschieden ist, aber seinen Geschäftsanteil noch nicht übertragen hat.

Im Kern geht es um die Frage, inwieweit ein solches Wettbewerbsverbot die durch Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Berufsfreiheit des ausgeschiedenen Gesellschafters einschränken darf

und wann eine solche Einschränkung sittenwidrig gemäß § 138 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist.

Sachverhalt:

Die Beklagte war mit einem Anteil von 34,2 % Gesellschafterin der Klägerin, einer im Bereich der biotechnischen Forschung, Entwicklung und Produktion sowie des Verkaufs von Spezialreagenzien tätigen GmbH.

Anfänglich war sie auch als Geschäftsführerin und später als Arbeitnehmerin bei der Klägerin beschäftigt.

Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin enthielt in § 6 ein umfassendes Wettbewerbsverbot, das den Gesellschaftern untersagte,

unmittelbar oder mittelbar im Geschäftsgebiet der Gesellschaft Geschäfte zu betreiben oder ihr auf andere Weise Konkurrenz zu machen.

Am 21. September 2005 erklärte die Beklagte ihren Austritt aus der Gesellschaft aus wichtigem Grund und kündigte gleichzeitig ihr Arbeitsverhältnis fristlos.

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Die Gesellschafterversammlung der Klägerin beschloss am 21. Oktober 2005, die Beklagte zur Übertragung ihres Geschäftsanteils an die J. GmbH zu verpflichten.

Dieser Beschluss wurde der Beklagten am 7. November 2005 mitgeteilt.

Bereits am 19. September 2005 war die R. GmbH gegründet worden, unter deren Namen die Beklagte im Geschäftsverkehr auftrat.

Der Unternehmenszweck der R. GmbH umfasste biotechnologische Forschung, Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Feinchemikalien und deckte somit das Geschäftsfeld der Klägerin ab.

Die Klägerin war der Ansicht, dass die Beklagte bis zu ihrem Ausscheiden als Gesellschafterin dem Wettbewerbsverbot unterliege und klagte auf Unterlassung der konkurrierenden Geschäftstätigkeit sowie

auf Auskunft über die von der R. GmbH in der Zeit vom 19. September 2005 bis zum Ausscheiden der Beklagten getätigten Geschäfte und auf Schadensersatz (Stufenklage).

Das Landgericht Potsdam sprach der Klägerin in der Auskunftsstufe hinsichtlich der Geschäfte der R. GmbH statt, an denen die Beklagte bis zum 7. Oktober 2005 ursächlich mitgewirkt hatte, wies den Unterlassungsantrag jedoch ab.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht änderte dieses Urteil auf die Berufung der Klägerin ab und verurteilte die Beklagte zur weitergehenden Auskunft bis zu ihrem Ausscheiden als Gesellschafterin und gab dem Unterlassungsbegehren statt.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Revision zum BGH ein.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichts weitgehend auf und stellte die Entscheidung des Landgerichts im Wesentlichen wieder her.

Die Revision der Beklagten hatte bis auf einen Teil des Auskunftsanspruchs Erfolg.

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Fortbestehen der Gesellschafterstellung:

Der BGH bestätigte zunächst die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte ihre Gesellschafterstellung weder durch die Austrittserklärung noch durch den Beschluss der

Gesellschafterversammlung über die Verwertung ihres Anteils oder dessen Bekanntgabe verloren hatte.

Nach der Satzung der Klägerin bedürfe der Austritt der Umsetzung durch Einziehung oder Verwertung des Geschäftsanteils.

Solange dies nicht geschehen sei, bleibe die Beklagte formell Gesellschafterin mit den damit verbundenen Rechten und Pflichten.

Einschränkende Auslegung des Wettbewerbsverbots:

Der entscheidende Punkt der BGH-Entscheidung betraf die Auslegung des gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverbots.

Der BGH stellte fest, dass ein solches Verbot im Lichte von Artikel 12 Absatz 1 GG einschränkend auszulegen sei.

Es dürfe die Berufsfreiheit des betroffenen Gesellschafters nicht unangemessen beeinträchtigen und müsse durch ein berechtigtes Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt sein.

Ein zu weit gefasstes Wettbewerbsverbot könne sittenwidrig und damit nichtig sein (§ 138 Absatz 1 BGB).

Der BGH argumentierte, dass das Wettbewerbsverbot in § 6 des Gesellschaftsvertrags zwar während der aktiven Beteiligung an der Gesellschaft grundsätzlich gerechtfertigt sei, da es dem legitimen Ziel diene,

die Gesellschaft vor interner Konkurrenz und einer Aushöhlung ihrer wirtschaftlichen Grundlage zu schützen.

Die gesellschafterliche Treuepflicht verlange, dass der Gesellschafter den Gesellschaftszweck fördere und Handlungen unterlasse, die dessen Erreichung behinderten.

Mit der Austrittsentscheidung der Beklagten und der Akzeptanz dieses Austritts durch die Klägerin entfalle jedoch dieser Rechtfertigungsgrund weitgehend.

Obwohl die Beklagte formal weiterhin Gesellschafterin sei, sei ihre Verbindung zur Gesellschaft nach ihrem erklärten Willen,

sich nicht mehr unternehmerisch zu betätigen und den Gesellschaftszweck nicht mehr zu fördern, auf rein vermögensrechtlicher Ebene reduziert.

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Ihr gehe es nunmehr primär um die Erlangung der Abfindung für ihren Geschäftsanteil.

Ihre Mitspracherechte in der Gesellschaft dürfe sie nur noch insoweit ausüben, als ihr wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung des Abfindungsanspruchs betroffen sei.

Da die Abfindung nicht von der Klägerin, sondern von der Mitgesellschafterin zu leisten sei, komme der Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte der Beklagten nach ihrem Austritt nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu.

Unter diesen Umständen könne es der Beklagten, die auch aus ihrem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war und keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterlag, nicht zugemutet werden,

sich bis zur formalen Umsetzung ihres Austritts jeglichen Wettbewerbs mit der Klägerin zu enthalten.

Ein solch umfassendes und zeitlich unbegrenztes Wettbewerbsverbot diene in dieser Situation lediglich dem unbilligen Zweck, eine unerwünschte Konkurrentin auszuschalten

und stelle einen unzulässigen Eingriff in ihre Berufsfreiheit dar.

Ergebnis:

Der BGH kam zu dem Schluss, dass die Weitergeltung des umfassenden Wettbewerbsverbots über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses

über die Verwertung des Geschäftsanteils (9. November 2005) hinaus sittenwidrig und damit nichtig sei.

Das Oberlandesgericht habe daher zu Unrecht dem Unterlassungsbegehren der Klägerin für die Zeit nach diesem Datum stattgegeben und die Beklagte zur Auskunftserteilung für diesen Zeitraum verurteilt.

Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs für die Zeit vom 8. Oktober 2005 bis zum 9. November 2005 wies der BGH die Revision der Beklagten jedoch zurück.

Das Landgericht hatte die Auskunftspflicht der Beklagten auf Geschäfte beschränkt, an denen sie bis zum 7. Oktober 2005 ursächlich mitgewirkt hatte.

Das Berufungsgericht hatte die Auskunftspflicht bis zum 9. November 2005 erweitert.

Der BGH stellte klar, dass das umfassende Wettbewerbsverbot bis zum 9. November 2005 galt und die Beklagte daher grundsätzlich zur Auskunft

über alle in diesem Zeitraum für die R. GmbH getätigten Geschäfte verpflichtet war, die gegen das Wettbewerbsverbot verstießen.

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Die pauschale Erklärung der Beklagten, sie habe nach dem 7. Oktober 2005 keinen Kontakt zu Kunden der Klägerin aufgenommen,

reiche angesichts des weitergehenden Wettbewerbsverbots nicht aus, um den Auskunftsanspruch zu erfüllen.

Bedeutung der Entscheidung:

Das Urteil des BGH verdeutlicht die Notwendigkeit einer interessengerechten Auslegung gesellschaftsvertraglicher Wettbewerbsverbote, insbesondere im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters.

Auch wenn ein umfassendes Wettbewerbsverbot während der aktiven Teilnahme an der Gesellschaft grundsätzlich zulässig sein kann, so verliert es seine Rechtfertigung, wenn die Verbindung des

ausgeschiedenen Gesellschafters zur Gesellschaft auf rein vermögensrechtlicher Ebene reduziert ist und kein schutzwürdiges Interesse der Gesellschaft an einer fortgesetzten Wettbewerbsbeschränkung besteht.

Die Berufsfreiheit des ausgeschiedenen Gesellschafters gemäß Artikel 12 Absatz 1 GG ist ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Reichweite solcher Wettbewerbsverbote.

Das Urteil unterstreicht, dass eine rein formale Gesellschafterstellung nach dem erklärten Austritt nicht automatisch die uneingeschränkte Fortgeltung eines umfassenden Wettbewerbsverbots rechtfertigt.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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