Richterablehnung: Besorgnis der Befangenheit bei Rechts- und Verfahrensfehlern
Dies ist eine Zusammenfassung des Beschlusses des Landgerichts Erfurt vom 01.07.2019 zum Aktenzeichen 8 O 1045/18
Dieser Beschluss ist ein Teil des großen „Abgasskandals“, bei dem viele Autokäufer klagen, weil ihre Dieselfahrzeuge mit illegaler Software manipuliert wurden (z.B. durch sogenannte Thermofenster).
Wer klagt? Eine Autokäuferin (Klägerin) gegen den Autohersteller (Beklagte), in diesem Fall die VW AG, die für die Marke SEAT verantwortlich war.
Sie fordert Schadensersatz, das heißt, sie will den Kaufpreis für ihr manipuliertes Auto zurück. Im Gegenzug würde sie das Auto an den Hersteller zurückgeben.
In diesem speziellen Beschluss geht es nicht um die Schuldfrage im Abgasskandal selbst, sondern um die Frage, ob der zuständige Richter am Landgericht Erfurt befangen ist und deshalb ausgetauscht werden muss.
Der Richter am Landgericht Erfurt war mit diesem und vielen anderen ähnlichen Fällen befasst. Er hatte die Absicht, den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorzulegen, weil er meinte, es müssten erst grundlegende europäische Rechtsfragen geklärt werden, um den Fall richtig entscheiden zu können.
EuGH-Vorlage (Art. 267 AEUV): Das ist ein besonderes Verfahren. Ein nationales Gericht (hier das LG Erfurt) bittet den EuGH, eine unklare EU-Rechtsvorschrift verbindlich auszulegen. Das nationale Gericht setzt seinen eigenen Prozess aus, bis der EuGH geantwortet hat.
Der Richter gab seine Absicht, den Fall dem EuGH vorzulegen, in zwei sogenannten Hinweisbeschlüssen bekannt und stellte darin seine Überlegungen und Fragen dar.
Der Autohersteller (Beklagte) stellte daraufhin einen Ablehnungsgesuch (§ 42 Abs. 1 ZPO).
Das ist der Antrag einer Partei, einen Richter aus dem Verfahren zu entfernen. Der Richter muss nicht wirklich befangen sein (also eine Voreingenommenheit haben), es reicht der sogenannte „böse Schein“. Das bedeutet: Aus Sicht einer vernünftigen, unbeteiligten Partei müssen objektive Gründe vorliegen, die Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters wecken.
Die Beklagte begründete das Ablehnungsgesuch hauptsächlich wie folgt:
Die Frist, die der Richter für die Stellungnahme zu seinen komplexen EuGH-Fragen gesetzt habe, sei viel zu kurz gewesen.
Der Richter wolle nur „einmal in der Karriere“ eine EuGH-Vorlage veranlassen, unabhängig davon, ob es im konkreten Fall wirklich nötig sei (sogenannte Entscheidungserheblichkeit). Er fokussiere sich zu sehr auf europarechtliche Fragen, die im konkreten Fall irrelevant seien (z.B. die Frage des Nutzungsvorteils oder der Schutzgesetzeigenschaft).
Der Richter plane die Vorlage an den EuGH, obwohl im Fall noch nicht einmal eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe.
Der Richter habe bereits eine Aussage eines Sachverständigen aus einem Parallelverfahren einseitig interpretiert, was zeige, dass er sich schon eine feste Meinung gebildet habe.
Das Landgericht Erfurt wies den Antrag des Autoherstellers mit dem Beschluss vom 01.07.2019 als unbegründet zurück.
Das Gericht stellte klar, dass die von der Beklagten vorgebrachten Punkte keine ausreichenden Gründe sind, um eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Das Gericht betonte, dass eine Richterablehnung kein Mittel ist, um Verfahrens- oder Rechtsfehler eines Richters zu korrigieren. Dafür gibt es andere Rechtsmittel (z.B. Berufung, Beschwerde). Nur wenn die Fehler offensichtlich unhaltbar sind und auf einer unsachlichen Einstellung oder Willkür beruhen, kann dies eine Befangenheit begründen. Dies war hier nicht der Fall.
Die gesetzte Frist von insgesamt etwa 3,5 Wochen sei nicht willkürlich kurz gewesen.
Es ist die Pflicht eines Gerichts, unklare EU-Rechtsfragen dem EuGH vorzulegen. Die Tatsache, dass der Richter diese Fragen umfassend klären wollte, auch für andere Fälle, oder dass er die Vorlage frühzeitig anstrebte, sei kein Beweis für Unparteilichkeit, sondern zeige nur die richterliche Rechtsauffassung.
Die Wiedergabe einer Sachverständigenaussage aus einem anderen Verfahren war laut Gericht keine abschließende Festlegung, sondern eine vorläufige Meinungsäußerung, die die Befangenheit nicht begründet.
Die Vorwürfe des Autoherstellers reichten dem Landgericht Erfurt nicht aus, um bei einer vernünftigen Betrachtung an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Der Richter durfte den Fall weiter bearbeiten.
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