Richterablehnung: Verlust des Ablehnungsrechts bei Weiterverhandeln nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs

Oktober 12, 2025

Richterablehnung: Verlust des Ablehnungsrechts bei Weiterverhandeln nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs

Vorinstanzen:

AG Kleve, Entscheidung vom 17.06.2015 – 30 C 17/15 –

LG Kleve, Entscheidung vom 22.07.2015 – 4 T 168/15 –

Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26.04.2016 (Az. VIII ZB 47/15)

Zusammenfassung: BGH-Beschluss zur Richterablehnung (VIII ZB 47/15)

Der Fall dreht sich im Kern nicht um den eigentlichen Streit um Geld, sondern um die Frage, ob ein Richter befangen war, weil er in der Verhandlung einen rechtlichen Hinweis gegeben hat. Der BGH hat entschieden, dass der Richter nicht befangen war und die Richterablehnung der beklagten Partei (Beklagte) zu Recht zurückgewiesen wurde.

Der Ursprüngliche Streit (Die Ausgangslage)

Kläger (Käufer 1) kaufte eine gebrauchte Pulverbeschichtungsanlage von der Beklagten (Verkäuferin) für 2.618.

Der Kläger verkaufte die Anlage direkt weiter an die Firma D. für 4.165.

Der Kläger zahlte den Kaufpreis an die Beklagte.

Die Firma D. erhielt die Anlage von der Beklagten.

Problem:

Ein Mitarbeiter der Beklagten erhielt von Firma D. zusätzlich 2.665 in bar. Die Beklagte hatte also doppelt Geld für die Anlage erhalten (einmal vom Kläger, einmal von Firma D.).

Der Kläger forderte die 2.665 von der Beklagten zurück, zunächst als „Schadensersatz,“ später als „ungerechtfertigte Bereicherung.“

Die Befangenheit und der Richterrat

Die Beklagte lehnte die Rückzahlung ab, da sie befürchtete, die Firma D. könne die 2.665 ebenfalls zurückfordern.

Der Richterhinweis: In der mündlichen Verhandlung wies das Amtsgericht (der erstinstanzliche Richter) den Kläger darauf hin, dass seine Klage in der aktuellen Form (als Bereicherungsklage) nicht schlüssig sei. Er erklärte aber, dass der Anspruch begründet wäre (816 Abs. 2 BGB), wenn der Kläger den Vortrag der Beklagten als richtig annehme und die Zahlung der Firma D. an die Beklagte nachträglich genehmige (185 BGB). Wichtig: Dadurch wäre die Befürchtung der Beklagten, doppelt zahlen zu müssen, hinfällig geworden.

Richterablehnung: Verlust des Ablehnungsrechts bei Weiterverhandeln nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs

Die Richterablehnung:

Die Beklagte lehnte den Richter daraufhin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie sah den Hinweis als einen unzulässigen „Tipp“ an den Kläger an, der ihm helfe, seine Klage „schlüssig zu machen.“

Die Entscheidung des BGH: Keine Befangenheit

Der BGH bestätigte im Ergebnis die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs der Beklagten, musste jedoch in einem wichtigen Punkt korrigieren.

Zur Zulässigkeit des Gesuchs (Wann verliert man das Ablehnungsrecht?)

Das Landgericht (zweite Instanz) hatte das Ablehnungsgesuch fälschlicherweise als unzulässig abgetan. Es meinte, die Beklagte habe ihr Recht auf Ablehnung verloren (43 ZPO), weil sie nach der Ablehnung des Richters einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt hatte.

Korrektur des BGH:

Der BGH widersprach dem. Er stellte klar, dass eine Partei ihr Ablehnungsrecht nicht verliert, wenn sie nach Anbringen des Befangenheitsgesuchs an der Verhandlung teilnimmt oder Anträge stellt. Der 43 ZPO greift nur, wenn man einen bekannten Ablehnungsgrund nicht geltend macht, sondern sich auf die Verhandlung einlässt. Wenn die Ablehnung aber bereits erklärt wurde, ist das Gericht gewarnt, und die Prozessökonomie gebietet es nicht, die Partei zum Abbruch der Verhandlung zu zwingen.

Zur Begründetheit des Gesuchs (War der Richter wirklich befangen?)

Obwohl der Antrag zulässig war, entschied der BGH, dass er unbegründet ist.

Grundsatz:

Ein Richter ist befangen, wenn er durch sein Verhalten Anlass gibt, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln, z. B. wenn er die Gleichbehandlung aufgibt und sich zum Berater einer Seite macht.

Anwendung im Fall:

Das Amtsgericht hatte sich mit seinem Hinweis jedoch im Rahmen seiner Pflicht zur materiellen Prozessleitung (139 ZPO) gehalten.

Der Kläger hatte das „doppelt erhaltene“ Geld bereits thematisiert.

Der Hinweis führte keine völlig neue Anspruchsgrundlage ein.

Der Hinweis zielte auf eine Lösung, die den Interessen beider Parteien gerecht wurde: Der Kläger bekäme sein Geld, und die Beklagte wäre durch die Genehmigung des Klägers vor einer doppelten Inanspruchnahme durch die Firma D. geschützt.

Fazit:

Der BGH sah den Hinweis als sachdienlich und nicht als einen Verstoß gegen die richterliche Pflicht zur Neutralität an.

Ergebnis

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten wurde zurückgewiesen. Der Richter war nicht befangen.

Der Beschluss ist ein wichtiges Beispiel dafür, wann richterliche Hinweise im Prozess noch als zulässige Prozessleitung gelten und keine Befangenheit begründen.

RA und Notar Krau

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