Richterablehnung wegen Tätigkeit dessen Ehegatten in der von der Gegenseite beauftragten Rechtsanwaltskanzlei

Oktober 12, 2025

Richterablehnung wegen Tätigkeit dessen Ehegatten in der von der Gegenseite beauftragten Rechtsanwaltskanzlei

Vorinstanzen:

LG Oldenburg, Entscheidung vom 19.11.2010 – 1 O 3447/09 –

OLG Oldenburg, Entscheidung vom 18.03.2011 – 13 U 62/10 – 12

Gerne fasse ich den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15.03.2012 (V ZB 102/11) zusammen.

Worum ging es in dem Fall? (Kurzfassung)

Dieser Beschluss behandelt die Frage, ob ein Richter als befangen abgelehnt werden kann, wenn sein Ehepartner als angestellter Rechtsanwalt in der Kanzlei des gegnerischen Prozessbevollmächtigten tätig ist.

Der BGH entschied:

Ja, das begründet die Besorgnis der Befangenheit. Es muss bereits der „böse Schein“ einer möglichen fehlenden Unvoreingenommenheit vermieden werden, da eine Partei befürchten muss, dass es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme kommen könnte.

Der Sachverhalt: Die Ehefrau im gegnerischen Lager

Ausgangslage:

Zwei Parteien stritten in der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht (OLG).

Der Richter und die Kanzlei:

Dem Senat des OLG, der über die Berufung entscheiden sollte, gehörte ein Richter an, dessen Ehefrau als angestellte Rechtsanwältin in Teilzeit in der Kanzlei des Anwalts der Gegenpartei (des Klägers) arbeitete.

Mitteilung und Ablehnung:

Der Richter machte diese Beziehung pflichtgemäß bekannt. Die Beklagte (Gegnerin des Klägers) lehnte den Richter daraufhin wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Entscheidung des OLG (Vorinstanz):

Das OLG wies das Ablehnungsgesuch zurück. Es meinte, es liege keine Befangenheit vor, weil die Ehefrau des Richters

das Mandat nicht bearbeitete und nicht damit befasst war.

als Teilzeitkraft im Angestelltenverhältnis nicht an den Einnahmen der Kanzlei beteiligt und somit nur mittelbar vom Ausgang des Prozesses betroffen sei.

Rechtsbeschwerde:

Die Beklagte legte gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde beim BGH ein.

Die Entscheidung des BGH: Der Anschein zählt

Der BGH gab der Beklagten Recht und erklärte das Ablehnungsgesuch gegen den Richter für begründet.

Richterablehnung wegen Tätigkeit dessen Ehegatten in der von der Gegenseite beauftragten Rechtsanwaltskanzlei

Der Maßstab der Befangenheit

Der BGH stellt klar, dass ein Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO (Zivilprozessordnung) vorliegt, wenn eine Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und Objektivität des Richters zu zweifeln.

Es geht nicht darum, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist, sondern darum, ob die Umstände geeignet sind, begründete Zweifel zu wecken.

Ziel der Regeln zur Richterablehnung ist es, bereits den „bösen Schein“ einer möglicherweise fehlenden Neutralität zu vermeiden (Grundsatz der Neutralität).

Die besondere berufliche Nähe

Der BGH sah die Tätigkeit der Ehefrau des Richters in der Kanzlei des Gegners als ausreichend an, um diesen „bösen Schein“ zu erzeugen:

Sorge der Einflussnahme:

Die besondere berufliche Nähe der Richter-Ehefrau zum Prozessbevollmächtigten des Gegners gibt der ablehnenden Partei Anlass zur Sorge, dass es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme auf den Richter kommen könnte.

Unzumutbarkeit:

Es ist der Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine Einflussnahme unterbleibt. Eine Partei muss den Richter nicht erst ablehnen, wenn eine unzulässige Beeinflussung tatsächlich stattgefunden hat und ihr dies bekannt wird.

Kein Ausschlussgrund nötig:

Der BGH betonte, dass es unerheblich ist, ob die Ehefrau an dem Mandat beteiligt war oder ob sie am Gewinn der Kanzlei beteiligt war. Entscheidend ist allein die Stellung als Angestellte in der gegnerischen Kanzlei.

Abgrenzung zur Vorinstanz

Der BGH widersprach damit der Ansicht des OLG, dass konkrete Anhaltspunkte für eine Befangenheit hinzukommen müssten (z.B. Bearbeitung des Mandats oder ein besonderes wirtschaftliches Interesse). Allein die familiäre Bindung zur Kanzlei des Gegners reicht aus, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

Fazit und Bedeutung

Dieser Beschluss ist ein wichtiges Grundsatzurteil für die Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit und Neutralität.

Der BGH schärft den Grundsatz, dass Gerichtsverfahren nicht nur objektiv fair sein müssen, sondern auch den Anschein von Fairness vermitteln müssen (Anschein von Befangenheit). Die Entscheidung stärkt die Rechte der Parteien, Richter ablehnen zu können, wenn eine Konstellation vorliegt, die bei einer vernünftigen, objektiven Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit weckt – selbst wenn der Richter persönlich unvoreingenommen ist und der Ehepartner nicht direkt am Mandat arbeitet.

Der BGH schützt damit das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf den gesetzlichen Richter, der neutral und unvoreingenommen entscheidet.

RA und Notar Krau

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein konstenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Waage Justitia Justiz Recht Gericht

Schadensersatz-Klagen gegen Impfstoffhersteller bleiben erfolglos

November 7, 2025
Schadensersatz-Klagen gegen Impfstoffhersteller bleiben erfolglosLG Düsseldorf, Urteil vom 16.11.2023 – 3 O 141/22Urteil des LG Düsseldorf…
Waage Justiz Gericht

COVID-19-Impfstoff Comirnaty – Schmerzensgeld und Schadensersatz für zukünftige Schäden

November 7, 2025
COVID-19-Impfstoff Comirnaty – Schmerzensgeld und Schadensersatz für zukünftige SchädenWorum ging es in diesem Fall?Eine Klägerin hat den He…
Hammer Gericht Justiz Urteil Vollstreckung

Rechtskraft eines eine altrechtliche Wegedienstbarkeit verneinenden Feststellungsurteils

November 7, 2025
Rechtskraft eines eine altrechtliche Wegedienstbarkeit verneinenden FeststellungsurteilsDer Kampf um den Weg: Feststellungsklage, Dienstbarkeit…