Richterliche Befangenheit – Glaubhaftmachung des Ablehnungsgrundes
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 07.12.2004 – 15 O 620/03 –
KG Berlin, Entscheidung vom 09.03.2006 – 21 U 4/05 –
Zusammenfassung des BGH-Beschlusses vom 21. Dezember 2006 (IX ZB 60/06)
Dieser Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) befasst sich mit einem wichtigen Thema im Zivilprozessrecht: der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit. Im Kern ging es darum, ob ein Richter aufgrund seiner Worte oder Beziehungen als voreingenommen gelten kann und wer über eine solche Ablehnung zu entscheiden hat.
Ein Steuerberater (Kläger) verklagte seine Mandantin (Beklagte) auf die Zahlung seines ausstehenden Honorars. Nachdem der Steuerberater in der ersten Instanz (Landgericht) verlor, ging er in Berufung vor das Kammergericht (Oberlandesgericht).
Dort sollte ein Einzelrichter über den Fall entscheiden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung lehnte die Beklagte diesen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie führte zwei Hauptgründe an:
Der Richter habe den gegnerischen Anwalt (Prozessbevollmächtigten des Klägers) geduzt.
Der Richter soll im hitzigen Termin gesagt haben: „Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Und dann bleiben Sie auf allem sitzen.“
Das Kammergericht wies das Ablehnungsgesuch zurück:
Es sah in dem Duzen (aufgrund einer über 15 Jahre zurückliegenden Ausbildung) keinen Grund für eine freundschaftliche Beziehung, die Misstrauen begründen könnte.
Auch die harte Äußerung des Richters wurde als nicht befangenheitsbegründend angesehen, da die Verhandlung sehr angespannt gewesen sei und der Richter sich in dieser Situation eben einer saloppen Formulierung bedient habe, um eine drohende Vertagung abzuwenden.
Die Beklagte legte daraufhin eine sogenannte Rechtsbeschwerde zum BGH ein, um diese Entscheidung prüfen zu lassen.
Der BGH hob den Beschluss des Kammergerichts auf und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung zurück. Er korrigierte das Kammergericht in zwei wesentlichen Punkten:
Das Kammergericht hatte entschieden, dass der gesamte Senat (die Kammer) ohne den abgelehnten Richter über die Befangenheit zu entscheiden habe.
Der BGH stellte klar: Das ist richtig, aber es muss betont werden, warum.
Nach der Zivilprozessordnung (§ 45 Abs. 1 ZPO) entscheidet das Kollegialgericht (also der Senat/die Kammer) ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters.
Der BGH betonte, dass diese Regelung auch für den Fall eines Einzelrichters gilt. Der Einzelrichter kann nicht selbst über seine Ablehnung entscheiden. Würde man den Vertreter des Einzelrichters entscheiden lassen, wie es anfangs kurzzeitig diskutiert wurde, würde das dem Grundsatz widersprechen, dass das Gericht als Ganzes (das Kollegialgericht) diese wichtige Kontrolle ausübt.
Der BGH beleuchtete die zwei Befangenheitsgründe neu:
Hier stimmte der BGH dem Kammergericht zu. Die über viele Jahre zurückliegende Ausbildung rechtfertigt allein keine Besorgnis einer engen, unparteiischen Amtsführung ausschließenden Beziehung.
Hier korrigierte der BGH das Kammergericht deutlich. Die Aussage „Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Und dann bleiben Sie auf allem sitzen.“ stellt sehr wohl einen Befangenheitsgrund dar.
Selbst wenn die Verhandlung angespannt war, konnte bei der betroffenen Partei der Eindruck entstehen, der Richter habe sich in seiner Meinung bereits abschließend festgelegt und sei nicht mehr bereit, die Argumente unvoreingenommen und kritisch zu prüfen. Diese Wortwahl war unangemessen und weckt den Zweifel, ob der Richter die Sache noch unparteiisch behandeln kann.
Der BGH konnte den Fall nicht endgültig entscheiden, da das Kammergericht eine wichtige Sache vergessen hatte: Es hatte die Äußerung des Richters nur unterstellt, aber nicht geprüft, ob die Beklagte diese Äußerung auch beweisen (glaubhaft machen) konnte.
Der BGH verwies den Fall zurück an das Kammergericht mit dem klaren Auftrag, nun zu prüfen, ob die Beklagte die angebliche Äußerung des Richters (trotz anderslautender Dienstliche Äußerung des Richters) glaubhaft gemacht hat. Beim Glaubhaftmachen ist ein geringerer Beweisgrad als ein Vollbeweis nötig; es reicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Behauptung zutrifft.
Der BGH stellte klar, dass eine derart drastische und abschließende Äußerung eines Richters selbst in einer hitzigen Verhandlung die Befürchtung begründet, er sei voreingenommen, und somit einen Befangenheitsgrund darstellt. Die Richter sind zur Neutralität verpflichtet und müssen den Anschein von Voreingenommenheit vermeiden.
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