Richterliche Befangenheit wegen Ehebeziehung
Zusammenfassung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 17.06.2024 (Az. 9 C 4/23)
Dieser Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) dreht sich um eine zentrale Frage des Rechtsstaats: die Unparteilichkeit und den Anschein der Unvoreingenommenheit von Richtern.
Der ursprüngliche Rechtsstreit betraf die Festsetzung einer Abwasserabgabe (eine Gebühr für das Einleiten von Abwasser). Ein Kläger wandte sich dagegen, und der Fall landete schließlich zur Revision beim BVerwG, dem höchsten deutschen Gericht für Verwaltungsrecht.
Ein Richter des BVerwG, der an der Revisionsentscheidung mitwirken sollte, zeigte von sich aus an (Selbstanzeige), dass ein potenzielles Problem mit seiner Unparteilichkeit bestehen könnte.
Seine Ehefrau war Richterin am Oberverwaltungsgericht (OVG), der Vorinstanz, die das Urteil gefällt hatte, das nun vom BVerwG überprüft werden sollte.
Seine Ehefrau hatte an diesem angefochtenen Urteil mitgewirkt, wenn auch nicht als Berichterstatterin (also nicht federführend).
Der Richter gab an, dass seine Frau ihm vor der OVG-Verhandlung davon erzählt hatte, aber ein Meinungsaustausch über den Inhalt fand seiner Erinnerung nach nicht statt.
Das Gericht musste entscheiden, ob dieser Umstand eine Besorgnis der Befangenheit ($ 42 ZPO i.V.m. § 54 VwGO) begründet.
Es geht nicht darum, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist. Es reicht schon der böse Schein, also der mögliche Eindruck, dass er nicht objektiv sein könnte.
Würde eine verständige Prozesspartei (ein vernünftiger Bürger) bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters haben?
Ja, der Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit. Der Richter darf deshalb in diesem Revisionsverfahren nicht mitwirken.
Das BVerwG wog verschiedene Faktoren ab, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung anderer oberster Gerichte (BGH und BSG):
Das Gericht stellte fest, dass die enge persönliche Beziehung (Ehe) zwischen zwei Richtern, die an derselben Sache in verschiedenen Instanzen beteiligt sind, grundsätzlich Zweifel an der Unvoreingenommenheit hervorrufen kann.
Gerade in einem Revisionsverfahren vor einem obersten Bundesgericht ist die Auseinandersetzung mit der Entscheidung der Vorinstanz sehr intensiv. Der Prüfungsmaßstab ist eng (Überprüfung auf Rechtsfehler).
Die Tatsache, dass das Verfahren zwischen den Eheleuten zumindest gesprächsweise thematisiert wurde, verstärkte den Anschein der möglichen Befangenheit zusätzlich.
Das Gericht führte aus, dass die Mitwirkung des Ehepartners unbewusst zu einer gewissen Solidarität mit der Entscheidung der Vorinstanz führen könnte – oder, im Gegenteil, zu einer überkritischen Distanz, um gerade nicht befangen zu wirken. Beides ist problematisch.
In der Gesamtwürdigung aller Umstände (Näheverhältnis + intensive Überprüfung + Thematisierung) sah das BVerwG die Bedenken des beklagten Bundeslandes als gerechtfertigt an. Der Richter wurde für dieses Verfahren von der Mitwirkung ausgeschlossen, um den Schein fehlender Unvoreingenommenheit zu vermeiden.
Das Urteil bestätigt, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz einen so hohen Wert darstellen, dass selbst der bloße Anschein einer möglichen Beeinflussung – hier durch eine Ehebeziehung – im Interesse der Rechtssicherheit vermieden werden muss.
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