Rückerstattung überzahlter Miete – Bereicherungsübergang auf Sozialleistungsträger

Oktober 26, 2025

Rückerstattung überzahlter Miete – Bereicherungsübergang auf Sozialleistungsträger

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 5. Juni 2024 (VIII ZR 150/23) betrifft die Rückerstattung überzahlter Miete durch Mieter, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) beziehen (umgangssprachlich oft „Hartz IV“ oder jetzt Bürgergeld).

Kernproblem:

Anspruchsübergang auf das Jobcenter

Der zentrale Punkt des Urteils ist die Frage, wer einen Anspruch auf Rückzahlung zu viel gezahlter Miete gegenüber dem Vermieter geltend machen kann, wenn die Miete ganz oder teilweise vom Jobcenter (dem Träger der SGB II-Leistungen) bezahlt wurde: der Mieter oder das Jobcenter?

Gesetzliche Grundlage

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 812 I 1 – Anspruch auf ungerechtfertigte Bereicherung (Rückzahlung einer Leistung, die ohne Rechtsgrund, z.B. aufgrund einer zu hohen Mietforderung, erbracht wurde).

SGB II § 33 I 1 – Gesetzlicher Forderungsübergang (der Anspruch des Leistungsbeziehers gegen einen Dritten, der nicht Sozialleistungsträger ist, geht unter bestimmten Voraussetzungen auf den Sozialleistungsträger über).

Der Sachverhalt

Ein Mieter in Berlin (Kläger) hatte von 2018 bis 2020 eine Wohnung gemietet. Er bezog während der gesamten Zeit SGB II-Leistungen (Bürgergeld/Hartz IV). Den Großteil der Miete zahlte das zuständige Jobcenter.

Der Kläger machte geltend, die vereinbarte Miete sei sittenwidrig überhöht gewesen und zudem wegen eines Wasserschadens gemindert.

Er klagte auf Rückzahlung der vermeintlich überzahlten Miete vom Vermieter (Beklagte) an sich. Die erste Instanz (AG) gab dem Kläger recht; die zweite Instanz (LG) wies die Klage ab.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Revision des Mieters zurück.

1. Übergang des Bereicherungsanspruchs

Der BGH stellte fest: Ein Anspruch des Mieters auf Rückerstattung überzahlter Miete (ein sogenannter Bereicherungsanspruch nach BGB § 812 I 1) geht nach SGB II § 33 I 1 automatisch auf das Jobcenter über.

Rückerstattung überzahlter Miete – Bereicherungsübergang auf Sozialleistungsträger

2. Voraussetzungen des Übergangs

Dieser Übergang tritt ein, wenn:

a. Die Person Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (SGB II) bezieht. (Hier der Fall.)

b. Ein Anspruch gegen einen Dritten (hier: den Vermieter) besteht.

c. Hätte der Dritte rechtzeitig geleistet, wären die SGB II-Leistungen (in dieser Höhe) nicht erbracht worden.

Gerade die dritte Voraussetzung sah der BGH als erfüllt an. Hätte der Vermieter die überhöhte Miete gar nicht erst gefordert oder sie sofort zurückgezahlt, wäre dieser Betrag als Einkommen oder Guthaben des Mieters gewertet worden. Dieses Einkommen hätte seinen Bedarf für Unterkunft und Heizung gemindert (§ 22 III SGB II). Das Jobcenter hätte dementsprechend weniger an Sozialleistungen zahlen müssen.

Fazit:

Da die Rückzahlung die Hilfebedürftigkeit des Mieters beseitigt oder verringert hätte, soll das Jobcenter (als Träger der vorrangig geleisteten Sozialleistung) das Geld zurückbekommen. Dies dient dem Nachrangprinzip der Sozialleistungen – die staatliche Hilfe tritt erst ein, wenn andere Mittel nicht vorhanden sind.

3. Untätigkeit des Jobcenters

Der Kläger wandte ein, dass das Jobcenter hier untätig geblieben sei und weder die Ansprüche selbst geltend gemacht noch sie an ihn zurückübertragen habe (§ 33 IV SGB II).

Er argumentierte, dies führe zu unhaltbaren Ergebnissen, weil Ansprüche bei sittenwidrig überhöhter Miete nicht verfolgt würden.

Der BGH hielt dem entgegen: Die Anwendung des § 33 I SGB II (Anspruchsübergang) hängt nicht davon ab, ob das Jobcenter den Anspruch danach tatsächlich geltend macht oder nicht. Die Untätigkeit des Jobcenters ist ein Problem des Verwaltungsvollzugs, ändert aber nichts an den gesetzlichen Voraussetzungen für den Übergang des Anspruchs.

Der Mieter war auch nicht zur Klage im eigenen Namen aufgrund einer Prozessstandschaft (Ermächtigung des Jobcenters) befugt, da das Jobcenter ihm keine Ermächtigung erteilt hatte.

4. Keine Mitteilungspflicht gegenüber dem Vermieter

Der BGH stellte außerdem klar, dass der Anspruchsübergang auf das Jobcenter nach § 33 I SGB II nicht davon abhängt, ob das Jobcenter dem Vermieter vorher schriftlich mitteilt, dass es Leistungen an den Mieter erbringt (§ 33 III SGB II).

Diese Mitteilung sei nur relevant für die Geltendmachung des Anspruchs für die Vergangenheit durch das Jobcenter, nicht aber für den eigentlichen Übergang des Anspruchs.


Bedeutung für Mieter

Wenn Sie Bürgergeld oder ähnliche Sozialleistungen beziehen und vermuten, dass Ihre Miete überhöht ist oder Ihnen aufgrund von Mängeln eine Mietminderung zusteht, gilt:

Der Anspruch gehört dem Jobcenter: Jeder Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Miete, die das Jobcenter für Sie gezahlt hat, geht kraft Gesetzes automatisch auf das Jobcenter über.

Sie sind nicht mehr der Inhaber des Anspruchs.

Sie können den Vermieter nicht selbst verklagen: Solange das Jobcenter den Anspruch nicht an Sie zurückübertragen hat, fehlt Ihnen die Aktivlegitimation (die Berechtigung, den Anspruch vor Gericht geltend zu machen).

Ihre Klage würde als unbegründet abgewiesen. Wenden Sie sich an das Jobcenter: Wenn Sie die Miete zurückfordern wollen, müssen Sie das Jobcenter bitten, den Anspruch selbst gegen den Vermieter geltend zu machen, oder ihn formell an Sie zurückzuübertragen (§ 33 IV SGB II), damit Sie klagen können.

Die bloße Untätigkeit des Jobcenters ändert jedoch nichts daran, dass der Anspruch dem Jobcenter gehört.

RA und Notar Krau

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