Rückforderungsanspruch wegen Verarmung bei unentgeltlichem Verzicht auf ein dingliches Wohnrecht trotz Umzugs in ein Pflegeheim
OLG Nürnberg, Urt. v. 22. 7. 2013, 4 U 1571/12
Dieser komplexe juristische Fall des OLG Nürnberg (Oberlandesgericht) befasst sich mit der Frage, ob ein Sozialhilfeträger die Kosten für die Pflege einer Person von den Beschenkten zurückfordern kann, nachdem diese Person ihr dingliches Wohnrecht unentgeltlich aufgegeben hat und später verarmt ist.
Das Urteil bestätigt, dass die unentgeltliche Aufgabe eines dinglichen Wohnrechts eine rückforderbare Schenkung darstellt. Dies gilt auch dann, wenn der Wohnrechtsinhaber wegen eines Umzugs ins Pflegeheim das Recht nicht mehr nutzen wollte, solange objektiv noch eine wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit (z.B. durch Vermietung) bestand.
Ein dingliches Wohnrecht (§ 1093 BGB) ist ein im Grundbuch eingetragenes Recht, eine Immobilie oder einen Teil davon selbst zu bewohnen. Es belastet das Grundstück und mindert dessen Verkehrswert.
Die Berechtigte (U) zog in ein Pflegeheim und erteilte den Beklagten (den Grundstückseigentümern) eine notarielle Löschungsbewilligung für ihr Wohnrecht. Sie erhielt dafür keine Gegenleistung.
Das OLG wertete diese unentgeltliche Löschung als Zuwendung eines Vermögensbestandteils an die Beklagten. Durch die Löschung wurde das Grundstück „lastenfrei“ und damit im Wert gesteigert. Dieser Wertzuwachs beim Beschenkten (den Grundstückseigentümern) ist die Schenkung.
Der Umzug ins Pflegeheim führte nicht automatisch zum Erlöschen des Wohnrechts. Selbst wenn die Berechtigte das Recht nicht mehr persönlich ausüben konnte oder wollte, hätte sie es nach dem Gesetz (§ 1090 Abs. 1 S. 2 BGB) noch Dritten zur Nutzung überlassen dürfen, etwa gegen Mieteinnahmen.
Ein nur in der Person liegendes Ausübungshindernis (wie der Umzug) führt nicht zum Wertverlust oder Erlöschen des Rechts, solange die Möglichkeit der Verwertung (z.B. Vermietung, falls gestattet) besteht oder eine mögliche Rückkehr denkbar ist.
Die Schenkungsabsicht (Freigebigkeit) wurde unter anderem durch folgende Punkte bejaht:
Die notarielle Löschungsbewilligung hielt ausdrücklich fest, dass keine Gegenleistungen zu erbringen seien.
Es wurde die Übersendung der Urkunde an die Schenkungsteuerstelle vereinbart.
Nach § 528 Abs. 1 BGB kann der Schenker eine Schenkung zurückfordern, wenn er nach der Schenkung verarmt und seinen angemessenen Unterhalt nicht mehr bestreiten kann.
Im vorliegenden Fall musste die Berechtigte (U) wegen ihrer Pflegeheimkosten Sozialleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Anspruch nehmen. Die Hilfebedürftigkeit wurde bejaht.
Der Anspruch auf Rückforderung geht auf den Sozialhilfeträger (hier der Träger der Kriegsopferfürsorge, der die Pflegekosten übernahm) über, soweit dieser für den Unterhalt aufkommen muss (§ 27g BVG).
Die Beklagten müssen die vom Sozialhilfeträger aufgewendeten Pflegekosten an diesen zurückzahlen, allerdings höchstens bis zur Höhe des Werts der Schenkung.
Der Wert der Schenkung ist hier nicht der Wert des Wohnrechts für die Berechtigte, sondern der Wertzuwachs des Grundstücks durch den Wegfall der Belastung (Wohnrecht).
Ein Sachverständigengutachten stellte diesen Wertzuwachs zum Zeitpunkt der Aufgabe des Wohnrechts auf 95.000 € fest.
Die Beklagten sind als Beschenkte Gesamtschuldner, haften also für den Gesamtbetrag.
Das Gericht grenzte den Fall von einer früheren BGH-Entscheidung (BGH v. 25. 1. 2012) ab, in der ein Betreuer auf ein ungenutztes Wohnrecht verzichtete.
In jenem Fall wurde der Verzicht nicht als Schenkung im Sinne des Vormundschaftsrechts (§ 1804 BGB) gewertet, weil das Wohnrecht dort objektiv wertlos war (z.B. weil eine Nutzung durch Dritte rechtlich ausgeschlossen war) und somit dem Betreuten kein Vermögensnachteil entstand.
Im vorliegenden Fall des OLG Nürnberg bestand aber eine objektive Verwertungsmöglichkeit des Wohnrechts, weshalb ein Vermögensnachteil der Berechtigten und eine Schenkung an die Beklagten bejaht wurden.
Die unentgeltliche Aufgabe eines dinglichen Rechts wie eines Wohnrechts ist stets sorgfältig zu prüfen. Solange das Recht einen objektiven wirtschaftlichen Wert (z.B. die Möglichkeit der Vermietung) hat, stellt der Verzicht eine Schenkung dar, die im Falle der späteren Verarmung des Schenkers vom Sozialhilfeträger zurückgefordert werden kann. Die Gerichte sehen hier primär den Vermögensvorteil beim Beschenkten (die Wertsteigerung des Grundstücks).
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