Rückgewähransprüche eines Erben – der zugleich Vermächtnisnehmer ist – aufgrund einer Grundbesitzübertragung
Zusammenfassung: OLG Hamm, Urteil vom 09.01.2014 – 10 U 10/13
Dieses Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm befasst sich mit einem komplexen Streit im Erbrecht. Im Kern ging es um die Frage, ob eine Tochter (die Klägerin) nach dem Tod ihrer Mutter ein Grundstück von ihrem Neffen (dem Beklagten) zurückverlangen kann. Die Mutter hatte das Grundstück, das der Tochter nach einem gemeinsamen Testament der Eltern zustehen sollte, zu Lebzeiten dem Enkel (Beklagter) geschenkt.
Der Rechtsstreit drehte sich hauptsächlich um die Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments der Eltern: War die Tochter als bindende Schlusserbin eingesetzt (was ihr stärkere Rechte gegeben hätte) oder nur als Vermächtnisnehmerin (mit schwächeren Rechten)?
Das Testament (1990): Ein Ehepaar (die Eltern) hatte zwei Töchter (Klägerin und L2). Ein Teil ihres gemeinsam besessenen Doppelhauses war bereits zu Lebzeiten auf die ältere Tochter L2 übertragen worden. Das Ehepaar erstellte 1990 ein Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Erben einsetzten. Für den zweiten Todesfall verfügten sie: „Nach dem Tod des Überlebenden soll unser halbes Haus im Wert von achtzigtausend Mark an unsere Tochter S1 S2 [die Klägerin] gehen.“
Der Vater starb kurz darauf. Die Mutter wurde Alleinerbin.
Die überlebende Mutter übertrug das ihr verbliebene Grundstück (die „andere Hälfte“) an ihren Enkel (den Beklagten), den Sohn ihrer älteren Tochter L2. Die Mutter begründete dies unter anderem mit Zerwürfnissen und Beleidigungen durch die Klägerin.
Nach dem Tod der Mutter verlangte die Klägerin von ihrem Neffen die Übertragung und Herausgabe des Grundstücks.
Die Klägerin stützte ihren Anspruch auf § 2287 BGB. Diese Vorschrift schützt den sogenannten Vertragserben (oder den bindend eingesetzten Schlusserben eines gemeinschaftlichen Testaments) davor, dass der überlebende Ehepartner sein Vermögen in böswilliger Absicht (sogenannte Beeinträchtigungsabsicht) zu Lebzeiten verschenkt.
Ihre Hauptargumentation war:
Sie sei in dem Testament als bindende Schlusserbin (Alleinerbin) ihrer Mutter eingesetzt worden.
Die Schenkung an den Neffen habe ihre Erbschaft böswillig geschmälert und müsse rückgängig gemacht werden.
Das OLG Hamm wies die Klage der Tochter zurück und bestätigte damit das Urteil der Vorinstanz.
Der entscheidende Punkt war die Auslegung des Testaments. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Klägerin nicht als bindend eingesetzte Schlusserbin, sondern lediglich als Vermächtnisnehmerin bestimmt wurde.
Setzt ein Erblasser jemandem nur einen ganz bestimmten Gegenstand (wie ein Haus) zu, ist dies im Zweifel ein Vermächtnis und keine Einsetzung als Erbe (§ 2087 Abs. 2 BGB). Nur wenn der zugewendete Gegenstand nahezu das gesamte Vermögen des Erblassers darstellt, kann man von einer Erbeinsetzung ausgehen.
Da die Eltern zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung neben dem Haus noch weiteres werthaltiges Vermögen (Geldvermögen und ein Auto) besaßen, ging das Gericht davon aus, dass die Zuwendung des „halben Hauses“ nur ein Vermächtnis (ein Anspruch auf Herausgabe dieses einen Gegenstandes) und keine Alleinerbeneinsetzung (Gesamtrechtsnachfolge) war.
Da die Klägerin nur Vermächtnisnehmerin war, konnte sie sich nicht auf den starken Schutz des § 2287 BGB berufen.
Vermächtnisnehmer werden zwar ebenfalls vor böswilligen Schenkungen geschützt, aber ihre Ansprüche gegen den Beschenkten (hier der Enkel) sind nachrangig (subsidiär).
Ein Vermächtnisnehmer kann den Beschenkten nur dann in Anspruch nehmen, wenn er den Vermächtnisgegenstand nicht vom oder von den Erben (in diesem Fall die Klägerin selbst und ihre Schwester L2 als gesetzliche Erben) erlangen kann.
Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin nicht hinreichend dargelegt hatte, dass sie von der Miterbin L2 (ihrer Schwester) keinen Ersatz für den entzogenen Vermächtnisgegenstand (das Haus) erlangen konnte. Sie hatte ihre vorrangigen Ansprüche gegen die Erben nicht ausreichend verfolgt.
Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Der Neffe durfte das Grundstück behalten. Das Urteil verdeutlicht die juristische Unterscheidung zwischen der Stellung als Erbe (Gesamtrechtsnachfolger mit stärkerem Schutz) und der Stellung als Vermächtnisnehmer (Anspruch auf einen bestimmten Gegenstand mit schwächerem Schutz gegen lebzeitige Schenkungen).
Die Zuwendung eines Einzelgegenstandes ist meist nur ein Vermächtnis, wenn der Erblasser noch weiteres relevantes Vermögen hatte.
Der Anspruch des Vermächtnisnehmers gegen den Beschenkten ist nachrangig; er muss zuerst versuchen, Ersatz von den Erben zu erhalten.
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