Schadensersatz aufgrund Ertaubung im Ohr im Zusammenhang mit Impfung mit SARS-CoV-2-Impfstoff Vaxzevria

Oktober 14, 2025

Schadensersatz aufgrund Ertaubung im Ohr im Zusammenhang mit Impfung mit SARS-CoV-2-Impfstoff Vaxzevria

Gerne fasse ich das komplexe Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 18. September 2024 (Az.: 5 U 1139/23) für Sie zusammen. Es geht um die Schadensersatzklage einer Frau, die nach einer COVID-19-Impfung mit Vaxzevria (ehemals AstraZeneca) auf einem Ohr ertaubte.

Das OLG Koblenz hat die Berufung der Klägerin abgewiesen und die Entscheidung des Landgerichts Mainz bestätigt. Das Gericht sieht keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen den pharmazeutischen Unternehmer.

Die Klage und das Urteil im Kern

Die Klägerin forderte Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden, weil sie drei Tage nach ihrer Impfung mit Vaxzevria im März 2021 auf dem rechten Ohr ertaubte und einen Tinnitus entwickelte. Sie machte geltend, der Impfstoff sei fehlerhaft gewesen (mangelhaftes Nutzen-Risiko-Verhältnis) und die Produktinformationen (Beipackzettel) seien unzureichend gewesen.

Das OLG hat die Klage abgewiesen, weil:

Kein Produktfehler vorlag: Das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs war zum relevanten Zeitpunkt positiv.

Kein Informationsfehler zur Haftung führte: Die Produktinformationen waren nicht fehlerhaft, und selbst wenn, hätte die Klägerin nicht nachweisen können, dass der Schaden dadurch verursacht wurde.

Kein Produktfehler (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG)

Ein pharmazeutischer Unternehmer haftet nur, wenn die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels über ein vertretbares Maß hinausgehen. Dies wird durch eine Nutzen-Risiko-Abwägung bestimmt.

Bindung an die Zulassung

Das OLG ist der Ansicht, dass die erteilte Zulassung des Impfstoffs durch die Europäische Kommission (EU-Kommission) bindend ist und damit ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis bereits festgestellt wurde.

Sowohl die anfängliche bedingte Zulassung (Januar 2021) als auch die spätere unbedingte Standardzulassung (Oktober 2022) setzen laut EU-Recht ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis voraus.

Der Widerruf der Zulassung im Mai 2024 (auf Antrag des Herstellers aus kommerziellen Gründen) ändert nichts daran, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis zum Zeitpunkt der Impfung (März 2021) als positiv galt.

Positive Nutzen-Risiko-Abwägung

Unabhängig von der Bindungswirkung kommt das Gericht selbst zum selben Ergebnis.

Maßstab:

Entscheidend ist der Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (September 2024), rückprojiziert auf den Zeitpunkt der Anwendung des Impfstoffs. Die Abwägung muss abstrakt-generell für die gesamte Patientengruppe erfolgen, nicht für Einzelfälle oder Untergruppen.

Schadensersatz aufgrund Ertaubung im Ohr im Zusammenhang mit Impfung mit SARS-CoV-2-Impfstoff Vaxzevria

Expertenmeinungen:

Die Bewertungen der Fachausschüsse der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA – PRAC und CHMP) sowie des nationalen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) stünden einer sachverständigen Begutachtung gleich und bejahen durchgehend ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis – auch unter Berücksichtigung der seltenen Thrombose-Fälle.

Folge:

Die schädlichen Wirkungen (hier angenommen, aber bestritten: Hörschaden durch Thrombose) gehen im Verhältnis zum Schutz vor der damals weit verbreiteten und gefährlichen COVID-19-Erkrankung nicht über ein vertretbares Maß hinaus.

Kein Informationsfehler (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG)

Die Haftung setzt voraus, dass der Schaden infolge einer nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechenden Produktinformation (Beipackzettel oder Fachinformation) eingetreten ist (sogenannte doppelte Kausalität).

Richtige Produktinformation?

Zum Zeitpunkt der Impfung der Klägerin (05.03.2021) enthielten die Informationen noch keinen Hinweis auf das Risiko von Thrombosen, Thrombozytopenien oder Hörverlust.

Das OLG stellt fest, dass ein pharmazeutischer Unternehmer nicht verpflichtet ist, jede bloße Verdachtsmeldung sofort aufzunehmen. Erst ein ernst zu nehmender Verdacht auf Basis valider wissenschaftlicher Daten löst die Aktualisierungspflicht aus.

Da die ersten wissenschaftlich belastbaren Erkenntnisse und eine Warnung der EMA erst Mitte März 2021 erfolgten, sieht das Gericht kein schuldhaftes Verzögern der Beklagten bei der Aktualisierung der Informationen.

Kausalität des Schadens?

Selbst wenn die Information fehlerhaft gewesen wäre, hätte die Klägerin beweisen müssen, dass der Schaden dadurch verursacht wurde. Das Gericht verneint dies:

Maßstab:

Es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass der Schaden bei ordnungsgemäßer Information vermieden worden wäre. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten ist dabei auf das Handeln des impfenden Arztes abzustellen.

Die Klägerin trug nicht vor, dass der impfende Arzt die Fachinformation vor der Impfung zur Kenntnis genommen hätte.

Zudem ist das Gericht nicht überzeugt davon, dass die Klägerin sich selbst bei Kenntnis der sehr seltenen Risiken gegen die Impfung entschieden hätte, da sie sich als Zahnärztin in der Pandemie in einer hohen Prioritätsgruppe befand.

Auskunftsanspruch (§ 84a AMG)

Die Klägerin forderte Auskunft über alle bekannten Wirkungen und Verdachtsfälle in Bezug auf Thrombosen, Hörsturz, Tinnitus etc.

Ein Auskunftsanspruch besteht nur, wenn Tatsachen die Ursächlichkeit des Arzneimittels für den Schaden plausibel erscheinen lassen.

Das OLG verneint dies, da der Hörverlust der Klägerin ärztlich als idiopathischer Hörsturz diagnostiziert wurde (d.h., Ursache unbekannt) und auch ein MRT keine Thrombose bestätigte. Da also eine unbekannte Ursache als Alternativursache in Betracht kommt, ist die Verursachung durch den Impfstoff nicht überwiegend plausibel.

Fazit

Das OLG Koblenz hat die Klage abgewiesen. Eine Haftung des Impfstoffherstellers nach dem Arzneimittelgesetz scheitert an dem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis und dem fehlenden Nachweis der Kausalität zwischen den Produktinformationen und dem eingetretenen Schaden.

Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen.

RA und Notar Krau

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