Schmerzensgeldanspruch für „Mobbing“-Opfer

November 1, 2025

Schmerzensgeldanspruch für „Mobbing„-Opfer

Zusammenfassung: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.08.2001 (6 Sa 415/01)

Dieses Urteil handelt von einem langjährigen Rechtsstreit zwischen einem ehemaligen Bankdirektor (Kläger), der nach einer Fusion degradiert wurde, und einem Vorstandsmitglied der fusionierten Bank (Beklagter), seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Im Kern geht es um die Frage, ob das Verhalten des Vorgesetzten gegenüber dem Kläger als Mobbing und damit als eine so schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts anzusehen ist, dass ein Schmerzensgeldanspruch besteht.

Hintergrund der Auseinandersetzung

Der Kläger war ursprünglich Vorstandsmitglied einer Raiffeisenbank. Nach der Fusion mit einer Volksbank (vertreten durch den Beklagten) wurde er ab dem 01.07.1992 als Prokurist und Teilmarktleiter übernommen. Im Fusionsvertrag wurde die Beibehaltung seiner bestehenden Dienst- und Arbeitsbedingungen (sog. Besitzstandswahrung) zugesichert. Der Kläger war stark schwerbehindert (GdB 100).

Ab 1995 begann eine Reihe von Maßnahmen seitens der Bank (initiiert oder verantwortet durch den Beklagten), die der Kläger als systematische Ausgrenzung und Schikane empfand:

  • Entzug der Sekretärin ohne seine Zustimmung.
  • Mehrfache Versuche, seine Tätigkeit zu ändern (z.B. Zuweisung neuer Aufgabenbereiche, Änderungskündigungen). Diese Versuche wurden in mehreren Prozessen vor dem Arbeitsgericht als rechtswidrige Überschreitung des Direktionsrechts der Bank abgewiesen. Die Gerichte bestätigten, dass der Kläger vertraglich Anspruch auf seine ursprüngliche Tätigkeit hatte.
  • Monatelange Nichtbeschäftigung (Freistellung) in 1997, während die Rechtsstreitigkeiten liefen, um die rechtskräftige Entscheidung abzuwarten.
  • Zuweisung eines Arbeitsplatzes in einer kaum abgetrennten Ecke des Schalterraums in der Hauptstelle (zuvor hatte er ein eigenes Büro mit Vorzimmer), was als demütigende Herabsetzung empfunden wurde.
  • Anordnung demütigender Kontrollmaßnahmen in 1998, wie die tägliche Erstellung von Tätigkeitsnachweisen im Halbstundentakt und die Durchführung von Mitarbeiterschulungen, die auf Video aufgezeichnet werden sollten. Auch diese Anordnungen wurden gerichtlich für unwirksam erklärt.
  • Persönlich herabwürdigende Vermerke des Beklagten aus dem Jahr 2000, in denen der Kläger als „Katastrophe“, „restlos überfordert“ und „Gefahr für das Unternehmen“ bezeichnet wurde, wobei die Kündigung der Arbeitsverhältnisse von vier weiteren Mitarbeitern auf ihn geschoben wurde.

Der Kläger führte diese fortgesetzten Handlungen auf den Beklagten zurück, wodurch er sich in seiner Ehre, seinem beruflichen Selbstverständnis und seiner Gesundheit schwer verletzt sah. Ein Arzt attestierte ihm psychosomatische Belastungssituationen mit Risiko für Herz und Gehirn.

Schmerzensgeldanspruch für „Mobbing“-Opfer

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG)

Das LAG Rheinland-Pfalz bestätigte die erstinstanzliche Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld, reduzierte jedoch die Höhe:

1. Mobbing und Persönlichkeitsrechtsverletzung

Das Gericht sah in den Handlungen des Beklagten gegenüber dem Kläger ein planmäßiges, fortgesetztes und ineinander übergreifendes Vorgehen zur Anfeindung, Schikane und Diskriminierung – also Mobbing.

  • Die Maßnahmen zielten darauf ab, die vertraglich zugesicherten Rechte des hochrangigen Klägers auszuhöhlen und ihn aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen.
  • Das LAG betonte, dass der Kläger als ehemaliger Bankdirektor und aufgrund seiner vertraglichen Absicherung Anspruch auf angemessene Behandlung und Wahrung seiner Reputation hatte.
  • Die rechtswidrigen Versetzungen, die monatelange Nichtbeschäftigung, die demütigenden Kontrollmaßnahmen (Tätigkeitsnachweise, Videoschulungen) und die höchst beleidigenden schriftlichen Vermerke stellen in ihrer Gesamtheit eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers dar.
  • Die Argumentation des Beklagten, es sei lediglich um die „Auslotung von Rechtsfragen“ gegangen oder die Entscheidungen seien vom Gesamtvorstand getroffen worden, wurde zurückgewiesen. Der Beklagte als unmittelbar ausführendes Organ und Vorgesetzter haftet als Gesamtschuldner für diese Vertragsverletzungen und Schikanen.

2. Schmerzensgeldzahlung

Ein Anspruch auf Schmerzensgeld (nach $§ 847$ BGB a.F.) besteht nur bei einer besonders schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung, wenn keine andere Art der Wiedergutmachung befriedigend ist.

  • Das LAG bejahte dies aufgrund der Jahre andauernden Schikanen, der öffentlichen/betriebsinternen Bloßstellung und der deutlichen Zuspitzung des Vorgehens im Jahr 2000.
  • Höhe des Schmerzensgeldes: Das Arbeitsgericht hatte 51.900 DM zugesprochen. Das LAG hielt diesen Betrag für überzogen und setzte ihn auf DM 15.000,– fest.
  • Begründung der Reduzierung: Die Höhe könne nicht am Einkommen des Klägers festgemacht werden, um Geringverdiener nicht zu diskriminieren. Zudem hätten die gewonnenen Gerichtsprozesse bereits eine gewisse Genugtuungsfunktion erfüllt, und die ärztlichen Atteste seien zu pauschal in Bezug auf den direkten Zusammenhang mit den Handlungen des Beklagten.

Ergebnis: Der Beklagte wurde zur Zahlung von 15.000 DM Schmerzensgeld an den Kläger verurteilt. Die Revision an das Bundesarbeitsgericht wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zum Mobbing und zur Schmerzensgeldhöhe zugelassen.

RA und Notar Krau

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