Selbstablehnung Mitglied Revisionsgericht wegen Mitwirkung Ehefrau an Zurückweisung Berufung

Oktober 12, 2025

Selbstablehnung Mitglied Revisionsgericht wegen Mitwirkung Ehefrau an Zurückweisung Berufung

Zusammenfassung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Februar 2023 (I ZR 142/22)

Worum geht es in dem Beschluss?

Der Beschluss behandelt die Frage, wann die Besorgnis der Befangenheit eines Richters gegeben ist, also wann ein berechtigter Zweifel an seiner Unparteilichkeit besteht.

Konkret ging es um einen Richter am BGH, dessen Ehefrau als Richterin am Oberlandesgericht (Berufungsgericht) an der vorherigen Entscheidung in derselben Streitsache mitgewirkt hatte.

Der Ausgangsfall

Ein Unternehmen (Klägerin) verklagt ein anderes (Beklagte) auf Zahlung einer Provision und bekommt zunächst vor dem Landgericht (1. Instanz) Recht.

Die Beklagte legt Berufung ein.

Das Berufungsgericht (Oberlandesgericht) weist die Berufung der Beklagten durch einen einstimmigen Beschluss zurück.

Die Beklagte legt daraufhin Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein – die letzte Instanz.

Das Problem der Befangenheit

Ein Richter am BGH, der an der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde mitwirken sollte, stellte fest: Seine Ehefrau war eine der Richterinnen, die an dem vorausgegangenen einstimmigen Beschluss des Berufungsgerichts mitgewirkt hatte.

Der BGH-Richter meldete dies von sich aus („Selbstablehnung“).

Die Klägerin (die vor der Vorinstanz gewonnen hatte) lehnte den Richter ebenfalls wegen Befangenheit ab (Ablehnungsgesuch).

Auch die Beklagte (die vor der Vorinstanz verloren hatte) sah einen Befangenheitsgrund.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH erklärte sowohl die Selbstablehnung des Richters als auch das Ablehnungsgesuch der Klägerin für begründet. Der Richter durfte an der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht teilnehmen.

Selbstablehnung Mitglied Revisionsgericht wegen Mitwirkung Ehefrau an Zurückweisung Berufung

Was ist Befangenheit?

Es ist keine tatsächliche Voreingenommenheit des Richters erforderlich.

Es reicht der „böse Schein“ – der mögliche Eindruck, dass der Richter nicht objektiv ist.

Es muss ein objektiver Grund vorliegen, der aus Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters weckt.

Die Rolle des Ehegatten

Grundsätzlich gilt nach früherer BGH-Rechtsprechung, dass die Mitwirkung des Ehegatten an der angefochtenen Entscheidung kein genereller Ablehnungsgrund ist, weil dies faktisch eine unzulässige Erweiterung der gesetzlichen Ausschlussgründe darstellen würde.

ABER:

Der BGH sieht hier eine Ausnahme, da ein besonderer Umstand vorliegt:

Wenn ein Ehegatte als Einzelrichter die Vorentscheidung getroffen hat, begründet dies die Besorgnis der Befangenheit, weil eine Solidarisierungsneigung (die Neigung, die Entscheidung des Ehepartners verteidigen zu wollen) vermutet werden kann.

Der entscheidende Punkt: Einstimmigkeit

Der BGH urteilte, dass die Situation hier genauso zu bewerten ist wie die Entscheidung durch einen Einzelrichter:

Die Ehefrau des BGH-Richters wirkte an einem Beschluss des Berufungsgerichts mit, der die Berufung der Beklagten nach dem Gesetz nur einstimmig zurückweisen durfte (§ 522 Abs. 2 ZPO).

Durch die Einstimmigkeit hat die Ehefrau in nach außen erkennbarer Weise die volle Verantwortung für die angefochtene Entscheidung mitübernommen. Sie war nicht nur ein beliebiges, möglicherweise überstimmtes Mitglied eines Kollegialgerichts.

Dieser Sachverhalt begründet ebenfalls die Besorgnis, dass der Ehemann (der BGH-Richter) der Sache nicht unvoreingenommen gegenübersteht.

Auch die Gewinnerin darf ablehnen

Der BGH stellte klar, dass auch die Klägerin (die in der Vorinstanz gewonnen hatte) den Richter ablehnen durfte. Obwohl die Solidarisierung (die Verteidigung der Entscheidung des Ehepartners) der Beklagten (der Verliererin) naheliegender erscheinen mag, könnte die Klägerin berechtigte Zweifel hegen, dass der BGH-Richter gerade in dem Bemühen, seine Unvoreingenommenheit zu beweisen, geneigt sein könnte, den Argumenten der Beklagten näherzutreten („Gegen-Solidarisierung“).

Fazit

Dieser BGH-Beschluss besagt:

Wenn ein Revisionsrichter (z. B. am BGH) über ein Urteil entscheiden soll, an dem sein Ehegatte als Richter mitgewirkt hat, liegt die Besorgnis der Befangenheit vor, wenn die Vorentscheidung ein einstimmiger Beschluss war.

In diesem Fall erweckt die einstimmige Mitwirkung des Ehegatten den Anschein, als hätte er die Entscheidung maßgeblich mitgetragen und verantwortet. Dies begründet den „bösen Schein“ mangelnder Unparteilichkeit beim Richter, der nun in der nächsthöheren Instanz darüber urteilen müsste. Es geht um die Wahrung des Vertrauens in die objektive und unabhängige Justiz (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG).

RA und Notar Krau

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