Selbstablehnung von Richtern am BGH
Hier ist eine Zusammenfassung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.07.2021 (Aktenzeichen: II ZR 97/21)
Dieser Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) dreht sich nicht um die eigentliche Klage (den Hauptstreit), sondern um die Frage, ob einige der Richter, die über die Klage entscheiden sollen, befangen sein könnten und deshalb nicht an der Entscheidung mitwirken dürfen.
Die Richter haben dem Gericht offenbart, dass sie persönliche oder berufliche Beziehungen zu den Beklagten (denjenigen, gegen die geklagt wurde) haben. Das nennt man Selbstablehnung (§48 ZPO). Das Gericht musste dann entscheiden, ob diese Gründe ausreichen, um Misstrauen an ihrer Unparteilichkeit (Objektivität) zu wecken.
Ein Kläger (die Person, die klagt) ist gegen seinen Ausschluss aus den Herausgeberkreisen zweier juristischer Fachzeitschriften vorgegangen. Er verlor außerdem seine Position als Chefredakteur.
Er forderte in erster Linie, dass der Ausschluss rückgängig gemacht wird (Hauptantrag).
Hilfsweise forderte er, dass die beteiligten Verlegergesellschaften eine Auseinandersetzungsbilanz (eine Art Schlussrechnung bei Beendigung einer Gemeinschaft) vorlegen und ihm dann einen Abfindungsbetrag zahlen (Hilfsantrag/Stufenklage).
Die Gerichte der Vorinstanzen (Landgericht und Oberlandesgericht) haben:
die Klage auf Rücknahme des Ausschlusses abgewiesen.
die Beklagten aber zur Vorlage der Auseinandersetzungsbilanz verurteilt.
Der Kläger war mit dem Urteil nicht zufrieden und legte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim BGH ein. (Revision ist der letzte mögliche Rechtsmittelweg zum BGH, bei dem nur Rechtsfehler und keine Tatsachen mehr geprüft werden).
Bevor der BGH über die Revision entscheiden konnte, mussten die Richter klären, ob einer von ihnen befangen sein könnte.
Selbstablehnung von Richtern am BGH
Befangenheit liegt vor, wenn ein Grund existiert, der aus Sicht einer verständigen und vernünftigen Partei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters wecken könnte. Es kommt nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist, sondern nur auf den „bösen Schein“ der Voreingenommenheit. Die Regeln sollen die Unvoreingenommenheit und Objektivität der Justiz sichern.
Einige Richter, darunter der Vorsitzende Richter D., haben offenbart, dass sie frühere oder aktuelle berufliche/persönliche Kontakte zu einem oder mehreren Beklagten hatten.
Er war bis 2017 mit einem Beklagten (Beklagter zu 1) im gleichen Senat, hat bis heute persönlichen Kontakt mit ihm (wobei der aktuelle Rechtsstreit Thema war), ist Mitherausgeber einer der beiden streitgegenständlichen Fachzeitschriften (seit 2019) und hat an Herausgeberbesprechungen mit den Beklagten teilgenommen, wobei er über den Prozess informiert wurde.
Sie hatten ebenfalls gemeinsame frühere Senatszugehörigkeit, waren wissenschaftliche Mitarbeiter unter den Beklagten, duzen einige Beklagte, haben Beiträge für eine Festschrift (eine Art Ehrenschrift zum Geburtstag) für einen der Beklagten verfasst oder hatten sonstigen lockeren kollegialen/privaten Kontakt.
Der BGH prüfte diese Offenbarungen einzeln und in der Gesamtschau:
Die Selbstablehnung wurde für begründet erklärt.
Die Gründe rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.
Die besonders enge Beziehung zum Verfahrensgegenstand und zu den Beklagten. Er wurde 2019 Herausgeber einer der umstrittenen Zeitschriften und war bei Herausgeberbesprechungen mit den Beklagten über den Fortgang des Prozesses informiert. Dies begründet den „bösen Schein“ der Voreingenommenheit, da er faktisch in die Organisation, die der Kläger bekämpft, aufgenommen wurde und über den Streit im Kreis der Beklagten informiert war.
Die Selbstablehnungen wurden für unbegründet erklärt.
Die genannten Kontakte reichen nicht aus, um Misstrauen an ihrer Unparteilichkeit zu wecken.
Liegt lange zurück und der Beklagte ist inzwischen im Ruhestand. Eine gemeinsame Mitgliedschaft in einem Spruchkörper (einer Richtergruppe) begründet zwar Befangenheit, aber nicht mehr, wenn sie endgültig beendet ist.
Gesellschaftliche Kontakte, Bekanntschaft oder eine lockere Freundschaft sind normalerweise kein ausreichender Grund für Befangenheit. Die Anrede „Du“ ist heute im Berufsleben verbreitet.
Die Mitwirkung an einer Festschrift für einen ehemaligen Kollegen ist am BGH seit langem üblich und gilt nicht als Ausdruck einer besonderen persönlichen Beziehung, die über die normale Kollegialität hinausgeht.
Im Gegensatz zum Vorsitzenden Richter D. hatte Richter W. solche Gespräche mit beiden Seiten (dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und einem Beklagten) vor Klageerhebung, was keine einseitige Voreingenommenheit begründet.
Nur der Vorsitzende Richter D. darf wegen Befangenheit nicht an der Entscheidung mitwirken. Die anderen genannten Richter sind als unbefangen eingestuft und können am Verfahren teilnehmen.
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