Selbstablehnung von Richtern am BGH

Oktober 12, 2025

Selbstablehnung von Richtern am BGH

Hier ist eine Zusammenfassung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.07.2021 (Aktenzeichen: II ZR 97/21)

Was ist in diesem Verfahren passiert?

Dieser Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) dreht sich nicht um die eigentliche Klage (den Hauptstreit), sondern um die Frage, ob einige der Richter, die über die Klage entscheiden sollen, befangen sein könnten und deshalb nicht an der Entscheidung mitwirken dürfen.

Die Richter haben dem Gericht offenbart, dass sie persönliche oder berufliche Beziehungen zu den Beklagten (denjenigen, gegen die geklagt wurde) haben. Das nennt man Selbstablehnung (§48 ZPO). Das Gericht musste dann entscheiden, ob diese Gründe ausreichen, um Misstrauen an ihrer Unparteilichkeit (Objektivität) zu wecken.

Der Ausgangsfall (Der eigentliche Streit)

Ein Kläger (die Person, die klagt) ist gegen seinen Ausschluss aus den Herausgeberkreisen zweier juristischer Fachzeitschriften vorgegangen. Er verlor außerdem seine Position als Chefredakteur.

Er forderte in erster Linie, dass der Ausschluss rückgängig gemacht wird (Hauptantrag).

Hilfsweise forderte er, dass die beteiligten Verlegergesellschaften eine Auseinandersetzungsbilanz (eine Art Schlussrechnung bei Beendigung einer Gemeinschaft) vorlegen und ihm dann einen Abfindungsbetrag zahlen (Hilfsantrag/Stufenklage).

Die Gerichte der Vorinstanzen (Landgericht und Oberlandesgericht) haben:

die Klage auf Rücknahme des Ausschlusses abgewiesen.

die Beklagten aber zur Vorlage der Auseinandersetzungsbilanz verurteilt.

Der Kläger war mit dem Urteil nicht zufrieden und legte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim BGH ein. (Revision ist der letzte mögliche Rechtsmittelweg zum BGH, bei dem nur Rechtsfehler und keine Tatsachen mehr geprüft werden).

Die Frage der Befangenheit

Bevor der BGH über die Revision entscheiden konnte, mussten die Richter klären, ob einer von ihnen befangen sein könnte.

Selbstablehnung von Richtern am BGH

Was heißt „Befangenheit“ (§42 Abs. 2 ZPO)?

Befangenheit liegt vor, wenn ein Grund existiert, der aus Sicht einer verständigen und vernünftigen Partei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters wecken könnte. Es kommt nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist, sondern nur auf den „bösen Schein“ der Voreingenommenheit. Die Regeln sollen die Unvoreingenommenheit und Objektivität der Justiz sichern.

Die Offenbarungen der Richter (Selbstablehnung)

Einige Richter, darunter der Vorsitzende Richter D., haben offenbart, dass sie frühere oder aktuelle berufliche/persönliche Kontakte zu einem oder mehreren Beklagten hatten.

Vorsitzender Richter D.:

Er war bis 2017 mit einem Beklagten (Beklagter zu 1) im gleichen Senat, hat bis heute persönlichen Kontakt mit ihm (wobei der aktuelle Rechtsstreit Thema war), ist Mitherausgeber einer der beiden streitgegenständlichen Fachzeitschriften (seit 2019) und hat an Herausgeberbesprechungen mit den Beklagten teilgenommen, wobei er über den Prozess informiert wurde.

Andere Richter (Bo., W., Be., G., Sa., Se., F.):

Sie hatten ebenfalls gemeinsame frühere Senatszugehörigkeit, waren wissenschaftliche Mitarbeiter unter den Beklagten, duzen einige Beklagte, haben Beiträge für eine Festschrift (eine Art Ehrenschrift zum Geburtstag) für einen der Beklagten verfasst oder hatten sonstigen lockeren kollegialen/privaten Kontakt.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH prüfte diese Offenbarungen einzeln und in der Gesamtschau:

Selbstablehnung des Vorsitzenden Richters D.

Die Selbstablehnung wurde für begründet erklärt.

Begründung:

Die Gründe rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

Ausschlaggebend war:

Die besonders enge Beziehung zum Verfahrensgegenstand und zu den Beklagten. Er wurde 2019 Herausgeber einer der umstrittenen Zeitschriften und war bei Herausgeberbesprechungen mit den Beklagten über den Fortgang des Prozesses informiert. Dies begründet den „bösen Schein“ der Voreingenommenheit, da er faktisch in die Organisation, die der Kläger bekämpft, aufgenommen wurde und über den Streit im Kreis der Beklagten informiert war.

Selbstablehnung der übrigen Richter

Die Selbstablehnungen wurden für unbegründet erklärt.

Begründung:

Die genannten Kontakte reichen nicht aus, um Misstrauen an ihrer Unparteilichkeit zu wecken.

Frühere Senatszugehörigkeit/Wissenschaftliche Mitarbeit:

Liegt lange zurück und der Beklagte ist inzwischen im Ruhestand. Eine gemeinsame Mitgliedschaft in einem Spruchkörper (einer Richtergruppe) begründet zwar Befangenheit, aber nicht mehr, wenn sie endgültig beendet ist.

Lockere persönliche Kontakte/Duzen:

Gesellschaftliche Kontakte, Bekanntschaft oder eine lockere Freundschaft sind normalerweise kein ausreichender Grund für Befangenheit. Die Anrede „Du“ ist heute im Berufsleben verbreitet.

Mitwirkung an Festschriften:

Die Mitwirkung an einer Festschrift für einen ehemaligen Kollegen ist am BGH seit langem üblich und gilt nicht als Ausdruck einer besonderen persönlichen Beziehung, die über die normale Kollegialität hinausgeht.

Gespräche über den Fall (Richter W.):

Im Gegensatz zum Vorsitzenden Richter D. hatte Richter W. solche Gespräche mit beiden Seiten (dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und einem Beklagten) vor Klageerhebung, was keine einseitige Voreingenommenheit begründet.

Im Ergebnis:

Nur der Vorsitzende Richter D. darf wegen Befangenheit nicht an der Entscheidung mitwirken. Die anderen genannten Richter sind als unbefangen eingestuft und können am Verfahren teilnehmen.

RA und Notar Krau

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein konstenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Waage Justitia Justiz Recht Gericht

Schadensersatz-Klagen gegen Impfstoffhersteller bleiben erfolglos

November 7, 2025
Schadensersatz-Klagen gegen Impfstoffhersteller bleiben erfolglosLG Düsseldorf, Urteil vom 16.11.2023 – 3 O 141/22Urteil des LG Düsseldorf…
Waage Justiz Gericht

COVID-19-Impfstoff Comirnaty – Schmerzensgeld und Schadensersatz für zukünftige Schäden

November 7, 2025
COVID-19-Impfstoff Comirnaty – Schmerzensgeld und Schadensersatz für zukünftige SchädenWorum ging es in diesem Fall?Eine Klägerin hat den He…
Hammer Gericht Justiz Urteil Vollstreckung

Rechtskraft eines eine altrechtliche Wegedienstbarkeit verneinenden Feststellungsurteils

November 7, 2025
Rechtskraft eines eine altrechtliche Wegedienstbarkeit verneinenden FeststellungsurteilsDer Kampf um den Weg: Feststellungsklage, Dienstbarkeit…