Sittenwidrigkeit bei Anordnung eines Vermächtnisanspruchs unter Bedingung der Gütertrennung

Juni 14, 2025

Sittenwidrigkeit bei Anordnung eines Vermächtnisanspruchs unter Bedingung der Gütertrennung

OLG Hamm, Beschl. v. 12.12.2024 – 10 W 7/24

RA und Notar Krau

Dieser Beschluss befasst sich mit der Frage, ob eine Bedingung in einem Testament, die das Erbe einer Person davon abhängig macht, dass sie in Gütertrennung lebt, sittenwidrig ist. Kurz gesagt, das Gericht hat entschieden, dass dies nicht der Fall ist.


Der Fall: Familie, Druckerei und Testament

Ein Vater (Erblasser, E) hatte zwei Töchter, O. und Y. (die Antragstellerin, Ast.). Er und seine Frau F. führten eine Druckerei und lebten in Gütertrennung. Sie waren überzeugt, dass ihre Kinder ebenfalls Gütertrennung vereinbaren sollten, um das Familienvermögen im Besitz der Familie zu halten.

1990 erstellten E und F ein gemeinschaftliches Testament. Darin setzten sie sich gegenseitig als Alleinerben ein. Sie verpflichteten sich aber auch, dass der Überlebende nur ihre Kinder als Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzen darf. Sie ließen dem Überlebenden aber die Freiheit, frei zu testieren, also zu entscheiden, welches Kind wie viel bekommt.

Nachdem die Mutter 2011 verstarb, änderte der Vater sein Testament. Er setzte seine Tochter O. als Alleinerbin ein. Für die Tochter Y. (die Antragstellerin) traf er eine besondere Regelung: Sie sollte ein Haus erben, aber nur unter der Bedingung, dass sie zum Zeitpunkt seines Todes in Gütertrennung lebte. Wenn sie das nicht nachweisen konnte, sollte das Erbe entfallen.

Der Vater starb 2015. Die Tochter Y. konnte die Gütertrennung nicht nachweisen. Sie war der Meinung, dass die Bedingung im Testament ungültig, also sittenwidrig sei, und forderte trotzdem ihren Anspruch auf das Haus. Sie beantragte Prozesskostenhilfe (PKH), um vor Gericht ziehen zu können.


Das Urteil des Landgerichts und die Beschwerde

Das Landgericht lehnte den Antrag auf Prozesskostenhilfe ab. Es argumentierte, dass die Bedingung im Testament wirksam sei. Eine testamentarische Bedingung sei nur in sehr seltenen Fällen sittenwidrig, und nur dann, wenn sie einen unzumutbaren Druck auf die höchstpersönlichen Freiheitsrechte des Begünstigten ausübe. Das Gericht sah den Wunsch des Vaters, das Familienvermögen zu schützen, als nachvollziehbar an, insbesondere wegen seines Misstrauens gegenüber dem Schwiegersohn und der hohen Scheidungsrate. Die Tochter sei nicht daran gehindert worden, ihre Ehe fortzuführen.

Die Tochter Y. legte Beschwerde ein. Sie argumentierte:

  • Die Bedingung verstoße gegen das gemeinsame Testament der Eltern, das vorsah, dass alle Kinder bedacht werden.
  • Die Bedingung greife in ihr verfassungsmäßiges Recht auf Schutz der Ehe (Art. 6 GG) ein, da die Wahl des Güterstands ein Teil davon sei.
  • Der Vater habe diesen Wunsch zu Lebzeiten nie geäußert.
  • Die Bedingung sei vergleichbar mit sittenwidrigen „Hinauskündigungsklauseln“ im Gesellschaftsrecht.
  • Auch der Ehepartner der Tochter werde indirekt betroffen.

Sittenwidrigkeit bei Anordnung eines Vermächtnisanspruchs unter Bedingung der Gütertrennung


Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Beschwerde der Tochter zurück. Es sah keine hinreichende Aussicht auf Erfolg für die Klage der Tochter.

Gültigkeit der Bedingung

Das OLG stellte fest, dass die Bedingung im Testament des Vaters wirksam ist.

  1. Kein Widerspruch zum gemeinschaftlichen Testament: Das Gericht erklärte, dass der Vater durch das erste Testament nicht daran gehindert war, die Tochter Y. nur unter einer Bedingung zu bedenken. Das gemeinsame Testament gab dem überlebenden Ehepartner bewusst die Freiheit, sein Erbe frei zu gestalten, solange er nur die Kinder als Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzte. Es gab keine Verpflichtung, alle Kinder bedingungslos zu bedenken.
  2. Keine Sittenwidrigkeit der Bedingung: Die entscheidende Frage war, ob die Bedingung der Gütertrennung sittenwidrig ist, also gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 Abs. 1 BGB). Das OLG betonte, dass die vom Grundgesetz geschützte Testierfreiheit des Erblassers sehr weit reicht. Nur in sehr engen Ausnahmefällen kann eine Bedingung sittenwidrig sein, nämlich dann, wenn sie einen massiven Druck auf die höchstpersönlichen Freiheitsrechte des Begünstigten ausübt.
    • Kein massiver Druck: Das Gericht argumentierte, dass in diesem Fall kein unzumutbarer Druck auf die Tochter ausgeübt wurde.
      • Zeitpunkt der Bedingung: Die Bedingung musste zum Zeitpunkt des Todes des Vaters erfüllt sein. Wenn die Tochter erst nach dem Tod von der Bedingung erfahren hat, konnte sie keinen Druck ausüben.
      • Unsicherheit des Erbes: Selbst wenn die Tochter vor dem Tod des Vaters von der Bedingung gewusst hätte, hatte sie keine Gewissheit, das Erbe zu erhalten. Der Vater hätte sein Testament jederzeit widerrufen können. Ein potenzieller Erbe hat vor dem Erbfall nur eine Erwartung, kein gesichertes Recht.
      • Schutz des Familienvermögens: Der Wunsch des Vaters, das Firmen- und Familienvermögen im Familienbesitz zu halten und vor dem Zugriff des Schwiegersohns im Falle einer Scheidung zu schützen, ist nachvollziehbar. Die Gütertrennung ist ein anerkannter Weg, das Vermögen der Ehepartner vollständig zu trennen.
      • Ehe nicht untersagt: Der Tochter wurde nicht verboten zu heiraten. Die Ehe konnte trotz Gütertrennung fortgesetzt werden. Die Gütertrennung hätte sich nur bei einer Beendigung der Ehe ausgewirkt.
      • Kein Vergleich zu Gesellschaftsrecht: Die Situation ist nicht vergleichbar mit sittenwidrigen Hinauskündigungsklauseln im Gesellschaftsrecht. Dort geht es um den Ausschluss eines Gesellschafters ohne sachlichen Grund, was als Disziplinierung empfunden werden kann. Im Erbrecht kann der Erblasser seine gesetzlichen Erben grundsätzlich ausschließen oder auf den Pflichtteil setzen. Sie haben keinen Anspruch auf eine bestimmte Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis.

Was wäre, wenn die Bedingung sittenwidrig wäre?

Selbst wenn die Bedingung sittenwidrig gewesen wäre, hätte die Tochter das Vermächtnis nicht bedingungslos erhalten. Das Gericht stellte klar, dass in solchen Fällen nicht automatisch angenommen wird, dass der Erblasser die Zuwendung auch ohne die unwirksame Bedingung gewollt hätte. Hier war es dem Vater wichtig, dass das Vermögen im Familienbesitz bleibt, und die Gütertrennung war für ihn der Weg, dies sicherzustellen. Es gab keinen Hinweis auf einen hypothetischen Willen, das Vermächtnis ohne die Bedingung zu gewähren.


Fazit

Das OLG Hamm hat entschieden, dass eine testamentarische Bedingung, die einen Vermächtnisanspruch davon abhängig macht, dass die bedachte Person im Güterstand der Gütertrennung lebt, nicht sittenwidrig ist. Die Testierfreiheit des Erblassers ist hoch zu bewerten. Der Schutz des Familienvermögens und die nachvollziehbaren Beweggründe des Erblassers überwiegen in diesem Fall die möglichen Beeinträchtigungen der Freiheitsrechte des Begünstigten.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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