Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages bei wirtschaftlicher Abhängigkeit

Juni 30, 2025

Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages bei wirtschaftlicher Abhängigkeit

RA und Notar Krau

Oberlandesgericht Hamm, Aktenzeichen 4 UF 86/17 vom 23. Januar 2020

Dieses Urteil befasst sich mit der Frage, ob ein Ehevertrag, den ein Paar kurz vor der Hochzeit geschlossen hat, gültig ist oder nicht. Es geht um einen Fall, in dem die Ehefrau benachteiligt wurde.

Die Ausgangslage:

Ein deutscher Kaufmann (der Ehemann) und eine britische Frau (die Ehefrau) heirateten 1995. Sie hatten bereits ein Kind, drei weitere folgten. Die Ehefrau gab ihre Arbeit in England auf und zog nach Deutschland, wo sie sich um die Kinder und den Haushalt kümmerte und nicht mehr erwerbstätig war. Der Ehemann verdiente sehr gut und baute ein Unternehmen auf.

Kurz vor der Hochzeit schlossen sie einen Ehevertrag vor einem Notar. Die Ehefrau sprach zu diesem Zeitpunkt nicht gut Deutsch. Im Vertrag wurden wichtige Dinge für den Fall einer Scheidung geregelt:

Gütertrennung:

Das bedeutet, dass jeder Ehepartner sein eigenes Vermögen behält und es im Falle einer Scheidung keinen Ausgleich der während der Ehe erzielten Vermögenszuwächse (Zugewinnausgleich) gibt.

Verzicht auf nachehelichen Unterhalt:

Die Eheleute verzichteten gegenseitig auf Unterhalt nach der Scheidung, außer für den Unterhalt, der für die Betreuung der Kinder gezahlt werden muss. Das schloss also Unterhalt wegen Alters oder Krankheit aus.

Ausschluss des Versorgungsausgleichs:

Das bedeutet, dass Rentenansprüche, die während der Ehe erworben wurden, im Falle einer Scheidung nicht geteilt werden.

Das Problem mit dem Ehevertrag:

Nach der Trennung der Eheleute wollte die Ehefrau, dass der Ehevertrag für ungültig erklärt wird, weil sie sich dadurch stark benachteiligt fühlte. Sie argumentierte, der Vertrag sei „sittenwidrig“, also moralisch oder ethisch nicht vertretbar und daher unwirksam. Sie führte an, dass die englische Übersetzung des Vertrages, die ihr vorgelegt wurde, nicht mit der deutschen Version übereinstimmte, insbesondere was die Aufteilung von Vermögen anging.

Die englische Version erweckte den Eindruck, dass alles neue Vermögen hälftig geteilt würde, während die deutsche Version dies stark einschränkte und das Firmenvermögen des Mannes ausschloss. Zudem sei sie wirtschaftlich abhängig und sprachlich unterlegen gewesen.

Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages bei wirtschaftlicher Abhängigkeit

Die Entscheidung des Gerichts:

Das Oberlandesgericht Hamm musste prüfen, ob der Ehevertrag „sittenwidrig“ war. Ein Ehevertrag ist sittenwidrig, wenn er einen Ehepartner so stark und einseitig benachteiligt, dass dies unter Berücksichtigung der Umstände der Ehe unzumutbar ist. Dabei spielt es eine Rolle, ob die Benachteiligung schon beim Abschluss des Vertrages offensichtlich war und ob der benachteiligte Partner in einer schwächeren Verhandlungsposition war.

Das Gericht kam zu dem Schluss: Ja, der Ehevertrag ist sittenwidrig und damit nichtig (ungültig).

Dafür gab es zwei Hauptgründe:

Objektive Sittenwidrigkeit (einseitige Benachteiligung):

Die Kombination aller Klauseln benachteiligte die Ehefrau einseitig.

Der Ausschluss von Unterhalt im Alter oder bei Krankheit war problematisch, da die Ehefrau wegen der Kinderbetreuung keine eigene Altersvorsorge aufbauen konnte.

Obwohl der Ausschluss des Versorgungsausgleichs für den Mann vorteilhaft war (da er seine Altersvorsorge über sein Unternehmen aufbaute), führte die Übernahme der Familienarbeit durch die Frau zu vorhersehbaren Nachteilen bei der Altersvorsorge, ohne dass sie am Vermögensaufbau des Mannes beteiligt wurde.

Die im Vertrag enthaltenen Regelungen über mögliche freiwillige Rentenbeiträge für die Frau oder die gemeinsame Vermögensbildung aus Einkommen wurden als unzureichend oder unverbindlich angesehen, um diese Nachteile auszugleichen.

Subjektive Sittenwidrigkeit (schwächere Verhandlungsposition der Ehefrau):

Wirtschaftliche Abhängigkeit:

Die Ehefrau war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses arbeitslos und kümmerte sich um das kleine Kind. Sie hatte keine eigenen Ersparnisse oder Immobilien. Eine Rückkehr in ihren alten Job in England war nicht möglich, und sie hätte dort keine eigene Unterkunft gehabt. Sie war in hohem Maße auf die Ehe angewiesen, um eine gesicherte wirtschaftliche Zukunft zu haben. Die finanzielle Situation ihrer Eltern reichte nicht aus, um ihre eigene Unabhängigkeit zu gewährleisten.

Sprachliche Unterlegenheit:

Die Ehefrau verstand die deutsche Vertragssprache nicht. Die englische Übersetzung war fehlerhaft und irreführend, insbesondere im Hinblick auf die Vermögensaufteilung. Sie ging davon aus, dass alles während der Ehe erworbene Vermögen hälftig geteilt würde, was aber nach dem deutschen Vertrag nicht der Fall war (Firmenvermögen war ausgenommen). Dies führte dazu, dass sie die tatsächlichen finanziellen Auswirkungen des Vertrages nicht richtig einschätzen konnte. Es spielte keine Rolle, ob der Ehemann die Fehler der Übersetzung bemerkte, sondern dass die Situation durch ihn entstand.

Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages bei wirtschaftlicher Abhängigkeit

Das Ergebnis:

Da der Ehevertrag als Ganzes sittenwidrig und damit nichtig ist, gelten die gesetzlichen Regeln für die Scheidungsfolgen. Das bedeutet, dass der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft gilt. Der Ehemann muss der Ehefrau nun Auskunft über sein gesamtes Vermögen zu verschiedenen Zeitpunkten (Eheschließung, Trennung, Zustellung des Scheidungsantrags) geben, damit der Zugewinnausgleich berechnet werden kann.

Dieses Urteil zeigt, dass Eheverträge nicht beliebig gestaltet werden können, insbesondere wenn ein Partner in einer deutlich schwächeren Position ist und der Vertrag zu einer extrem einseitigen Benachteiligung führt.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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