Sozialhilfe – Behindertentestament – Nachranggrundsatz – VG Saarland Urteil 21.1.2005 – 4 K 156/03
Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 21. Januar 2005 (Az. 4 K 156/03) befasst sich mit der Frage, ob eine Erbschaft, die einem behinderten Sozialhilfeempfänger zugefallen ist, als einzusetzendes Vermögen für die Kosten seiner Heimunterbringung berücksichtigt werden muss oder ob dies durch die testamentarischen Anordnungen des Erblassers ausgeschlossen werden kann.
Dabei geht es im Wesentlichen um das Konzept des “Behindertentestaments” und die damit verbundene Frage der Sittenwidrigkeit sowie des Missbrauchs dieser Regelung.
Die Klägerin, geboren am 16. April 1984, leidet infolge einer globalen Entwicklungsstörung an einer geistigen Behinderung und wurde seit 1987 im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) betreut.
Nachdem sie ihren Vater beerbt hatte, war sie für eine gewisse Zeit in der Lage, die Kosten ihrer Heimunterbringung selbst zu tragen.
Als diese Mittel jedoch aufgebraucht waren, beantragte ihre Mutter, die zugleich ihre Betreuerin war, beim Beklagten (dem Sozialhilfeträger), die Kosten ab Februar 2003 erneut zu übernehmen.
Dabei wurde festgestellt, dass die Klägerin auch Alleinerbin ihrer Großmutter war, die ein Vermögen von rund 145.000 Euro hinterlassen hatte.
Dieses Vermögen sollte gemäß dem Testament der Großmutter jedoch nur für bestimmte, nicht existenzielle Zwecke verwendet werden.
Das Gericht entschied zugunsten der Klägerin, dass die Erbschaft nicht als Vermögen anzusehen sei, das vorrangig für die Heimunterbringung eingesetzt werden müsse.
Grundlage dieser Entscheidung war die Bewertung des Testaments der Großmutter als sogenanntes Behindertentestament.
Solche Testamente haben den Zweck, das geerbte Vermögen so zu verwenden, dass es dem Behinderten zugutekommt, ohne dass es jedoch als Vermögen im Sinne des Sozialhilferechts gilt, das zur Deckung existenzieller Kosten wie der Heimunterbringung herangezogen werden muss.
Das Gericht stellte klar, dass das Testament eindeutig den Willen der Erblasserin zum Ausdruck brachte, das Vermögen nicht für die allgemeinen Heimkosten der Klägerin, sondern für zusätzliche Annehmlichkeiten und Vorteile zu verwenden.
Diese Verfügung sei im Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten Testierfreiheit zulässig und verstoße nicht gegen den Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe.
Die Testierfreiheit dürfe nur in Ausnahmefällen durch das Kriterium der Sittenwidrigkeit eingeschränkt werden, wenn eine klare gesetzgeberische Wertung oder allgemeine Rechtsauffassung dies gebiete.
Ein solcher Ausnahmefall lag nach Ansicht des Gerichts hier jedoch nicht vor.
Das Gericht diskutierte auch die Frage, ob eine Missbrauchsgrenze existiere, ab der die Nutzung eines Behindertentestaments sittenwidrig sein könnte.
Es stellte fest, dass eine solche Grenze allenfalls dann erreicht sei, wenn der Wert des Nachlasses ausreiche, um die gesamten Kosten der Heimunterbringung und die zusätzlich vorgesehenen Leistungen während der Lebenszeit des Behinderten zu decken.
Im vorliegenden Fall war dies jedoch nicht der Fall, da das Vermögen der Klägerin zwar beträchtlich war, aber voraussichtlich nicht ausreichen würde, um die Kosten der Heimunterbringung für die gesamte Lebensdauer zu tragen.
Daher sei die testamentarische Verfügung nicht sittenwidrig.
Dieses Urteil ist von Bedeutung, weil es die Zulässigkeit von Behindertentestamenten bestätigt und deutlich macht, dass solche Testamente, auch wenn sie die Sozialhilfeträger davon abhalten, auf das geerbte Vermögen zuzugreifen, in der Regel nicht sittenwidrig sind.
Dies gilt nicht nur für Eltern, sondern auch für andere Verwandte wie Großeltern, die in Ausübung ihrer Testierfreiheit das Wohl eines behinderten Erben über das Interesse der Allgemeinheit an einer Entlastung der Sozialkassen stellen dürfen.
Das Urteil stützt sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), der in mehreren Entscheidungen festgestellt hat, dass Behindertentestamente in der Regel nicht gegen § 138 BGB verstoßen, weil sie legitime Interessen des Erblassers wahren, nämlich die bestmögliche Versorgung des behinderten Erben sicherzustellen.
Die Testierfreiheit genießt dabei einen hohen verfassungsrechtlichen Schutz und darf nur in engen Grenzen eingeschränkt werden.
Letztlich wurde die Klage der Klägerin auf Übernahme der Heimunterbringungskosten ohne Anrechnung des geerbten Vermögens als Vermögen, das nach dem Sozialhilferecht einzusetzen wäre, vom Gericht bestätigt.
Die Sozialhilfe muss somit gewährt werden, wobei der Testamentsvollstrecker weiterhin für die im Testament vorgesehenen zusätzlichen Leistungen an die Klägerin verantwortlich ist.
Dieses Urteil ist ein Beispiel dafür, wie das Sozialrecht und das Erbrecht miteinander interagieren und wie Gerichte die Testierfreiheit gegen den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe abwägen.
Es zeigt auch, dass die Sozialhilfeträger nicht immer einen Anspruch darauf haben, auf geerbtes Vermögen zurückzugreifen, wenn dieses durch eine sorgfältig geplante testamentarische Verfügung geschützt ist.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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