Stimmrechtsausschluß von Gesellschaftern bei Beschluß über Inanspruchnahme wegen gemeinsam begangener Pflichtverletzung

Juni 15, 2025

Stimmrechtsausschluß von Gesellschaftern bei Beschluß über Inanspruchnahme wegen gemeinsam begangener Pflichtverletzung

Bundesgerichtshof Urt. v. 20.01.1986, Az.: II ZR 73/85

RA und Notar Krau

Dieser juristische Text behandelt ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) über die Rechte und Pflichten von Gesellschaftern einer GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung), insbesondere wenn es um die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Gesellschafter oder Geschäftsführer geht. Es ist ein wichtiges Urteil, da es die Spielregeln für Abstimmungen in Gesellschafterversammlungen klärt, wenn Interessenkonflikte bestehen.


Was ist das Kernthema dieses Urteils?

Das Gericht klärt, wann ein Gesellschafter (Miteigentümer einer GmbH) in einer Abstimmung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen sich selbst oder andere Gesellschafter nicht mitstimmen darf (Stimmrechtsausschluss). Es geht auch darum, was passiert, wenn ein solcher Beschluss, der eigentlich hätte angenommen werden müssen, wegen falscher Stimmzählung abgelehnt wurde.


Die wichtigsten Rechtsbegriffe einfach erklärt:

  • GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung): Eine in Deutschland weit verbreitete Unternehmensform. Die Haftung der Gesellschafter ist auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt, nicht auf ihr Privatvermögen.
  • Gesellschafter: Die Eigentümer oder Teilhaber einer GmbH. Sie halten Anteile an der Gesellschaft und haben Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung.
  • Geschäftsführer: Die Person(en), die die Geschäfte der GmbH leiten und nach außen vertreten. Sie können auch Gesellschafter sein.
  • Gesellschafterversammlung: Das wichtigste Organ einer GmbH, in der die Gesellschafter zusammenkommen, um wichtige Entscheidungen zu treffen und Beschlüsse zu fassen (z.B. über Budgets, Geschäftsführerbestellungen oder Klagen).
  • Stimmrecht: Das Recht eines Gesellschafters, in der Gesellschafterversammlung an Abstimmungen teilzunehmen.
  • Ersatzanspruch (Schadensersatzanspruch): Der Anspruch, dass jemand einen durch sein Fehlverhalten entstandenen Schaden wiedergutmacht. Hier geht es um Ansprüche, die die GmbH gegen einen Gesellschafter oder Geschäftsführer hat, weil diese der Gesellschaft geschadet haben.
  • Pflichtverletzung: Wenn eine Person ihre vertraglichen oder gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt. Hier bezieht es sich auf Pflichten als Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber der GmbH.
  • Stimmrechtsausschluss (§ 47 Abs. 4 GmbHG): Eine gesetzliche Regelung, die besagt, dass ein Gesellschafter bei bestimmten Abstimmungen, die ihn persönlich betreffen, nicht mitstimmen darf. Das soll Interessenkonflikte vermeiden und sicherstellen, dass Entscheidungen im besten Interesse der Gesellschaft getroffen werden.
  • Anfechtung (Anfechtungsklage): Eine Klage, mit der ein Gesellschafter einen Beschluss der Gesellschafterversammlung für ungültig erklären lassen kann, wenn dieser fehlerhaft zustande gekommen ist (z.B. weil jemand mitgestimmt hat, der nicht durfte).
  • Feststellungsklage: Eine Klage, mit der gerichtlich festgestellt werden soll, ob ein bestimmter Sachverhalt (hier: das Ergebnis einer Abstimmung) rechtlich wirksam ist oder nicht. In diesem Fall soll festgestellt werden, dass ein Antrag trotz Ablehnung eigentlich angenommen wurde.
  • Amtlicher Leitsatz: Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten rechtlichen Aussagen eines Gerichtsentscheids, die vom Gericht selbst formuliert wird. Sie gibt den Kern der Entscheidung wieder.
  • Landgericht / Berufungsgericht / Revision: Das sind die Instanzen eines Gerichtsverfahrens. Das Landgericht ist die erste Instanz, das Berufungsgericht prüft die Entscheidung des Landgerichts, und der BGH (Bundesgerichtshof) ist die höchste Instanz, die nur Rechtsfehler überprüft (Revision).

Der Fall – worum ging es konkret?

In diesem Fall waren die Klägerin und ihr Bruder Gesellschafter einer GmbH. Drei weitere Geschwister (die „Geschwister E.“) waren ebenfalls Gesellschafter und hatten die Mehrheit. Einer der Geschwister E. war zudem Geschäftsführer der beklagten GmbH, und die anderen beiden waren Geschäftsführer einer anderen, von ihnen beherrschten GmbH (EWE GmbH).

Die Klägerin warf den Geschwistern E. vor, der GmbH durch verschiedene Handlungen (z.B. den Kauf und die Vermietung eines Grundstücks über die EWE GmbH statt direkt durch die beklagte GmbH zu einem ungünstigen Preis) geschadet zu haben. Sie wollte, dass die GmbH Schadensersatzansprüche gegen die Geschwister E. gerichtlich geltend macht. Sie stellte entsprechende Anträge in der Gesellschafterversammlung.

Stimmrechtsausschluß von Gesellschaftern bei Beschluß über Inanspruchnahme wegen gemeinsam begangener Pflichtverletzung

Bei der Abstimmung über diese Anträge stimmten die Klägerin und ihr Bruder dafür, die Geschwister E. stimmten dagegen. Die Anträge wurden als abgelehnt festgestellt. Die Klägerin war der Meinung, dass die Geschwister E. gar nicht hätten mitstimmen dürfen, da sie selbst betroffen waren. Sie klagte daraufhin auf Anfechtung der Ablehnungsbeschlüsse und darauf, dass gerichtlich festgestellt werde, dass die Anträge eigentlich angenommen worden waren.


Die Entscheidung des BGH:

Der BGH gab der Klägerin Recht. Hier die wichtigsten Punkte der Begründung:

  1. Stimmrechtsausschluss bei gemeinsamen Pflichtverletzungen: Der BGH stellte klar, dass nicht nur der Gesellschafter, gegen den unmittelbar ein Ersatzanspruch geltend gemacht werden soll, vom Stimmrecht ausgeschlossen ist. Auch Gesellschafter, die eine gemeinsame Pflichtverletzung mit ihm begangen haben, dürfen nicht mitstimmen. Der Grundsatz „Niemand ist Richter in eigener Sache“ gilt hier: Wenn jemand über einen Vorwurf abstimmen muss, der auch ihn selbst betrifft, kann er nicht unbefangen entscheiden. Die Geschwister E. hatten nach Ansicht des Gerichts gemeinsam eine Pflicht verletzt, daher durften sie nicht mitstimmen, selbst wenn es „nur“ um den Anspruch gegen einen der drei ging.
  2. Klage auf Feststellung eines positiven Beschlussergebnisses: Der BGH bestätigte, dass man nicht nur die Ablehnung eines Antrags anfechten, sondern gleichzeitig auch beantragen kann, dass das Gericht feststellt, der Antrag sei mit den richtigen Stimmen angenommen worden. Das bietet umfassenden Rechtsschutz für den antragstellenden Gesellschafter.
  3. Information der Gesellschafter: Wenn ein solcher Rechtsstreit läuft, muss der Geschäftsführer (oder das Gericht, wenn der Geschäftsführer es nicht tut) die anderen betroffenen Gesellschafter darüber informieren. So können sie sich am Verfahren beteiligen, falls sie die Feststellung eines positiven Beschlusses ebenfalls anfechten wollen.
  4. Keine Notwendigkeit, Erfolgsaussichten im Voraus zu prüfen: Es muss nicht schon im Anfechtungsprozess abschließend geklärt werden, ob die Schadensersatzansprüche tatsächlich berechtigt sind oder Aussicht auf Erfolg haben. Es reicht aus, dass der Gesellschafter, der die Abstimmung beantragt, die Pflichtverletzung und den Beitrag der anderen Gesellschafter dazu hinreichend genau beschreibt. Die eigentliche Klärung der Ansprüche erfolgt dann in einem separaten Schadensersatzprozess.

Was bedeutet dieses Urteil für Gesellschafter?

Dieses Urteil stärkt die Rechte von Minderheitsgesellschaftern in GmbHs. Es stellt sicher, dass Mehrheitsgesellschafter, die möglicherweise in Fehlverhalten verwickelt sind, ihre eigene Haftung nicht durch eine Abstimmung in der Gesellschafterversammlung verhindern können. Wenn ein berechtigter Anspruch gegen sie oder mit ihnen verbundene Personen besteht, dürfen sie bei der Entscheidung, ob dieser Anspruch geltend gemacht wird, nicht mitstimmen. Das fördert eine transparentere und faire Unternehmensführung.

Haben Sie noch weitere Fragen zu diesem Urteil oder wie es sich auf andere Situationen auswirken könnte?

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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