Stundung des Pflichtteils: Beachtlichkeit einer bestrittenen Verwertungsmöglichkeit für das Nachlassgrundstück
Der folgende Text fasst den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 21. November 2018 (Az. IV ZR 229/18) zusammen.
Vorinstanzen:
LG Neubrandenburg, Entscheidung vom 15.03.2017 – 4 O 87/14 –
OLG Rostock, Entscheidung vom 18.12.2017 – 3 U 32/17 –
Der Fall betrifft einen klassischen Erbrechtsstreit um den sogenannten Pflichtteil und die Möglichkeit, dessen Zahlung aufzuschieben (zu stunden).
Die Beteiligten:
Der Hintergrund: Der wesentliche Wert des Nachlasses war ein bebautes Grundstück, in dem die Erbin (Beklagte) und ihre Familie wohnen. Die Kläger verlangten von der Erbin die Auszahlung ihres Pflichtteils. Der Pflichtteil ist der Mindestanteil am Erbe, der nahen Angehörigen (wie Kindern) zusteht, selbst wenn sie enterbt wurden.
Das Problem: Die Erbin wurde von den Gerichten zur Zahlung des Pflichtteils verurteilt (jeweils 29.500 €). Sie beantragte jedoch hilfsweise die Stundung dieses Pflichtteils. Eine Stundung (§ 2331a BGB) erlaubt es dem Erben, die Zahlung des Pflichtteils aufzuschieben, wenn die sofortige Zahlung eine unbillige Härte darstellen würde – beispielsweise, weil er das Familienheim verkaufen müsste, um die Forderung zu begleichen. Die Erbin argumentierte also, sie müsste das Haus verkaufen, um die Pflichtteilsberechtigten auszuzahlen, und bat daher um Aufschub.
Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht (OLG) Rostock wiesen den Antrag der Erbin auf Stundung des Pflichtteils ab.
Das OLG begründete seine Ablehnung hauptsächlich damit, dass die Erbin das Grundstück hätte verkaufen müssen, um die Pflichtteilsansprüche zu erfüllen. Dies gelte umso mehr, als ihr unstreitig (also von keiner Seite bestritten) ein seriöses Kaufangebot vorgelegen habe, das über dem geschätzten Wert des Grundstücks lag. Die Interessenabwägung zwischen der Erbin und den Pflichtteilsberechtigten fiel daher zulasten der Erbin aus.
Die Erbin legte gegen die Nichtzulassung der Revision durch das OLG eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH ein. Sie verfolgte darin nur noch ihren Antrag auf Stundung weiter.
Der BGH gab der Erbin in vollem Umfang recht:
Der BGH begründete seine Entscheidung mit einem schwerwiegenden Verfahrensfehler des OLG: der Verletzung des Anspruchs der Erbin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes).
Der BGH stellte fest, dass das OLG zu Unrecht angenommen hatte, die Existenz des angeblich seriösen Kaufangebots sei unstreitig (unbestritten).
Tatsächlich hatte die Erbin die Behauptung der Kläger zu diesem Kaufangebot ausdrücklich bestritten – und zwar sowohl in ihrer ersten Klageerwiderung als auch später in einer Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des OLG.
Indem das OLG den Vortrag der Erbin, sie habe das Kaufangebot bestritten, überging und seiner Entscheidung stattdessen eine vermeintlich unbestrittene Verwertungsmöglichkeit (den Verkauf) zugrunde legte, verletzte es das grundlegende Recht der Erbin, mit ihren Einwänden gehört und berücksichtigt zu werden.
Der BGH erklärte diese Gehörsverletzung für entscheidungserheblich. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass die vom OLG vorzunehmende Interessenabwägung (zwischen der Härte für die Erbin und den Interessen der Pflichtteilsberechtigten) ohne die irrige Annahme einer unstreitigen Verwertungsmöglichkeit zu einem anderen Ergebnis geführt hätte – nämlich der Gewährung der Stundung.
Die Folge: Das OLG musste den Fall erneut verhandeln und dabei den Vortrag der Erbin, insbesondere ihr Bestreiten des Kaufangebots, vollständig und korrekt in die Abwägung einbeziehen.
Kernbotschaft des Urteils: Gerichte dürfen bei ihrer Entscheidungsfindung keine Tatsachen als unbestritten annehmen, die eine Partei im Verfahren tatsächlich ausdrücklich bestritten hat. Geschieht dies, liegt eine Verletzung des verfassungsmäßigen Rechts auf rechtliches Gehör vor, was zur Aufhebung und Zurückverweisung der Entscheidung führen kann.
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