Teil-Musterentscheid im Wirecard-KapMuG-Verfahren

April 21, 2025

Teil-Musterentscheid im Wirecard-KapMuG-Verfahren

RA und Notar Krau

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) erließ am 28. Februar 2025 einen Beschluss im Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Wirecard AG und weitere Beklagte (Az. 101 Kap 1/22),

der auf einer Vorlage des Landgerichts München I vom 14. März 2022 basierte.

Im Kern ging es in diesem Musterverfahren um die Frage, ob die Wirecard AG im Zusammenhang mit ihren Geschäftsberichten für die Jahre 2014 bis 2018 Pflichten im Rahmen der

Kapitalmarktkommunikation verletzt hatte und ob die Abschlussprüferin (Musterbeklagte zu 2), Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (nunmehr firmierend als eine Kommanditgesellschaft),

bei der Prüfung der Konzernrechnungslegung Prüfpflichten verletzt und sich durch die Erteilung uneingeschränkter Bestätigungsvermerke

an fehlerhaften Kapitalmarktinformationen beteiligt oder selbst solche getätigt hatte.

Das BayObLG wies in seinem Beschluss zahlreiche der vom Landgericht München I vorgelegten Feststellungsziele als im Musterverfahren nicht statthaft oder als unzulässig zurück.

Die Entscheidung betraf insbesondere Schadensersatzansprüche gegen die Abschlussprüferin.

Hinsichtlich der Statthaftigkeit der Feststellungsziele stellte das BayObLG klar, dass Feststellungsziele, mit denen anspruchsbegründende Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche gegen den

Abschlussprüfer wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Pflichtprüfung nach den §§ 316 ff. HGB festgestellt werden sollen, im Musterverfahren nach dem

Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz in der bis zum 19. Juli 2024 geltenden Fassung (a.F.) nicht statthaft sind.

Solche Schadensersatzansprüche fallen nicht in den Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG a.F.

Dies gelte unabhängig davon, ob die geltend gemachte Schadensersatzpflicht auf die täterschaftliche Verwirklichung deliktischer Haftungstatbestände

oder auf Beihilfe zu kapitalmarktrechtlichen Pflichtverletzungen des geprüften Unternehmens gestützt wird.

Teil-Musterentscheid im Wirecard-KapMuG-Verfahren

Entsprechend wurden zahlreiche Feststellungsziele, die sich auf eine Schadensersatzpflicht der Musterbeklagten zu 2 stützten, als unstatthaft zurückgewiesen.

Dies betraf sowohl Ansprüche aus §§ 37b, 37c WpHG a.F. i.V.m. § 830 Abs. 2 BGB (Beihilfe zu Publizitätspflichtverletzungen)

als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 37v WpHG a.F. i.V.m. § 830 Abs. 1 BGB (Beihilfe zu Verletzungen der Regelpublizität).

Auch das Feststellungsziel C, soweit es sich auf Schadensersatzansprüche gegen die Musterbeklagte zu 2 bezog, und das Feststellungsziel D 1 (Zuständigkeit des Landgerichts)

wurden in Bezug auf die Abschlussprüferin als unstatthaft zurückgewiesen.

Das BayObLG begründete dies damit, dass der Bestätigungsvermerk gemäß § 322 HGB nach dem KapMuG a.F. keine öffentliche Kapitalmarktinformation des Abschlussprüfers darstellt.

Der Abschlussprüfer kommuniziere das im Vermerk zusammengefasste Prüfungsergebnis nicht selbst an den Kapitalmarkt und

habe mit der Annahme des Prüfungsauftrags nicht die Aufgabe übernommen, den Kapitalmarkt über das Prüfungsergebnis zu unterrichten.

Die Offenlegung des Bestätigungsvermerks erfolge durch die geprüfte Kapitalgesellschaft selbst.

Weiterhin wies das BayObLG zahlreiche Feststellungsziele als unzulässig zurück, weil sie entweder nicht den Bestimmtheitsanforderungen genügten oder für die begehrte Feststellung das erforderliche

Rechtsschutzbedürfnis fehlte oder es sich nicht um taugliche Feststellungsziele im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F. handelte.

Dies betraf insbesondere Feststellungsziele, die die Unrichtigkeit der Geschäftsberichte der Wirecard AG für die Jahre 2014 bis 2018 betrafen (A I 1 bis 5),

da diese nicht hinreichend konkret bezeichneten, welche Aussagen im Geschäftsbericht beanstandet werden und worin die Unrichtigkeit bestehen soll.

Auch Feststellungsziele, die die Kenntnis oder das Verschulden der Wirecard AG und des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Dr. Braun (Musterbeklagter zu 1) an der Unrichtigkeit der Berichte betrafen (A I 6

und 7), wurden mangels hinreichender Bestimmtheit zurückgewiesen, da sie sich auf die unbestimmten Feststellungsziele zur Unrichtigkeit bezogen.

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Auch Feststellungsziele zu einer unterlassenen Ad-hoc-Mitteilung (A II 1) wurden als unbestimmt zurückgewiesen, da der mitteilungspflichtige Umstand nicht hinreichend konkret bezeichnet war.

Gleiches galt für Feststellungsziele, die pauschal das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale von Schadensersatzansprüchen feststellen sollten (A II 2 c und d, A II 3 b und c, A II 4 b),

da diese der Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs als solchen gleichkommen und zudem inhaltlich nicht hinreichend bestimmt waren.

Auch Feststellungsziele, die sich auf die unrichtige Wiedergabe oder Verschleierung der Verhältnisse der Wirecard AG in den Geschäftsberichten bezogen (A II 5 und 6) sowie Feststellungsziele zu angeblich

unrichtigen Versicherungen des Dr. Braun (A II 7) und zur Sittenwidrigkeit und Vorsätzlichkeit des Handelns der Wirecard AG und des Dr. Braun (A II 8 und 9)

wurden mangels Bestimmtheit als unzulässig zurückgewiesen.

Für einzelne Feststellungsziele wurde das Rechtsschutzbedürfnis verneint, insbesondere für die Feststellung der Schutzgesetzeigenschaft von § 331 HGB a.F.

und § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG a.F., da diese Rechtsfragen bereits höchstrichterlich geklärt seien.

Auch für das Feststellungsziel D 2, das die Anwendbarkeit des § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG a.F. auf Schadensersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KapMuG a.F. betraf, wurde das

Rechtsschutzbedürfnis mangels Klärungsbedürftigkeit verneint, da sich dies bereits aus dem Wortlaut der Gesetze ergebe.

Das BayObLG betonte, dass die Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses nicht greife, wenn der geltend gemachte Anspruch nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein könne oder allgemeine Prozessvoraussetzungen fehlten.

Die Entscheidung erfolgte durch einen Teil-Musterentscheid, da das Verfahren gegen die Musterbeklagte zu 7 (MB Beteiligungsgesellschaft mbH) aufgrund eines Insolvenzverfahrens unterbrochen war.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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