Testamentsauslegung bei Beteiligung eines nichtehelichen Kindes welches vor dem 1.7.1949 geboren wurde
AG Kiel 1 VI 1211/19
Der Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 16. September 2019 (Az. 1 VI 1211/19) befasst sich mit der Auslegung eines Testaments,
bei dem ein vor dem 1. Juli 1949 geborenes nichteheliches Kind berücksichtigt wurde.
Im Zentrum steht die Frage, ob dieses Kind, die Beteiligte zu 2.), im Rahmen der testamentarischen Verfügung als Erbin eingesetzt werden kann,
obwohl sie gemäß dem bis zum 29. Mai 2009 geltenden Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG) keine gesetzlichen Erbansprüche gegen den Kindesvater hatte.
Das Gericht stellt fest, dass die Beteiligte zu 2.), geboren am 9. Juni 1949, nach damaligem Recht nicht als mit dem Erblasser verwandt galt und somit nicht erbberechtigt war.
Die Erblasserin setzte jedoch in ihrem Testament aus dem Jahr 1988, das sie gemeinsam mit ihrem Ehemann errichtete,
die Beteiligte zu 2.) dennoch als Miterbin zu 10 % ein, neben den ehelichen Kindern des Ehemanns und den Geschwistern der Erblasserin, denen jeweils 50 % des Nachlasses zukommen sollten.
Die Beteiligte zu 2.) argumentierte, dass sich ihr Erbteil durch Anwachsung erhöhen sollte, da die ebenfalls bedachten Geschwister der Erblasserin
und die Tochter des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin vor ihr verstorben waren.
Demgegenüber vertraten die Beteiligten zu 1.) und 3.), die Enkelkinder des Ehemannes der Erblasserin, die Ansicht, dass der Erbscheinsantrag des Testamentsvollstreckers korrekt sei
und die Aufteilung der Erbteile unverändert bleiben sollte.
Das Gericht entschied, dass die Erblasser sich bei der Errichtung des Testaments an den damaligen rechtlichen Vorgaben orientiert hatten,
wonach die Beteiligte zu 2.) aufgrund ihres Status als vor dem 1. Juli 1949 geborenes nichteheliches Kind kein gesetzliches Erbrecht hatte.
Dies sei den Erblassern bewusst gewesen, was auch durch den Zusatz „nicht-eheliche Tochter“ im Testament zum Ausdruck kam.
Die Auslegung des Testaments nach § 2069 BGB, wonach die Abkömmlinge eines bedachten, aber vorverstorbenen Erben an dessen Stelle treten,
wenn sie bei der gesetzlichen Erbfolge erbberechtigt wären, führte dazu, dass die Anteile der verstorbenen Erben (D. und R.)
auf die verbleibenden ehelichen Kinder und deren Abkömmlinge übergingen.
Da die Beteiligte zu 2.) kein gesetzliches Erbrecht besaß und ihre Erbeinsetzung über das gesetzlich Vorgesehene hinausging, konnte ihr Anteil durch Anwachsung nicht erhöht werden.
Der Erbschein sollte daher gemäß den testamentarischen Bestimmungen, die die Beteiligten zu 1.) und 3.) als Miterben zu je 9/20 und die Beteiligte zu 2.) als Miterbin zu 1/10 ausweisen, erteilt werden.
Die Kosten des Verfahrens wurden der Beteiligten zu 2.) auferlegt.
Die Rechtsstellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder war lange Zeit durch erhebliche Diskriminierungen geprägt.
Als am 1. Juli 1970 das gesetzliche Erbrecht für nichteheliche Kinder eingeführt wurde, wurden Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren waren, davon ausgenommen.
Diese Kinder galten nach dem damals geltenden Recht als nicht mit ihrem Vater verwandt, was ihnen jegliches gesetzliches Erbrecht und Pflichtteilsrecht verwehrte.
Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Regelung als verfassungsgemäß.
Auch nach dem Inkrafttreten des Erbrechtsgleichstellungsgesetzes blieb diese Stichtagsregelung bestehen.
Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, hatten somit weiterhin kein gesetzliches Erbrecht nach ihrem Vater, und das galt auch umgekehrt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkannte jedoch in einem Einzelfall, dass diese Regelung gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention verstieß, und forderte den deutschen Gesetzgeber auf, dies zu ändern.
In Reaktion darauf wurde 2011 das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder verabschiedet, das den Stichtag rückwirkend für Erbfälle nach dem 28. Mai 2009 aufhob.
Für Erbfälle vor diesem Datum blieb jedoch die alte Regelung bestehen, um den Vertrauensschutz zu wahren.
Das Bundesverfassungsgericht hielt diese Regelung ebenfalls für gerechtfertigt.
Trotzdem führte eine weitere Entscheidung des EGMR zu der Erkenntnis, dass die strikte Anwendung der Stichtagsregelung in bestimmten Fällen eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt.
Der Bundesgerichtshof bestätigte dies und stellte fest, dass die Verweigerung des Erbrechts für nichteheliche Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, eine Menschenrechtsverletzung darstellen kann.
Es muss jedoch im Einzelfall geprüft werden, ob die Anwendung der Stichtagsregelung verhältnismäßig ist.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.