Testamentsauslegung beim Tod des eingesetzten Testamentsvollstreckers vor dem Erbfall
Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss 5.11.1987 – BReg 1 Z 42/87 –
Der vorliegende Beschluss des BayObLG befasst sich mit der komplexen Frage der Testamentsauslegung in dem Fall, dass ein vom Erblasser eingesetzter Testamentsvollstrecker vor dem Eintritt des Erbfalls verstirbt.
Im konkreten Fall hatte der Erblasser seine Schwester zur Testamentsvollstreckerin bestimmt mit dem Wunsch, dass sie den Nachlass möglichst lange erhalten solle.
Die Schwester verstarb jedoch vor dem Erblasser.
Das Nachlassgericht ernannte daraufhin einen Rechtsanwalt zum Testamentsvollstrecker, gegen welche Entscheidung der Alleinerbe, der Sohn des Erblassers, Beschwerde einlegte.
Das BayObLG wies die Beschwerde zurück und bestätigte die Entscheidung des Nachlassgerichts.
Die zentrale Rechtsfrage, die das Gericht zu beantworten hatte, war, ob in einem solchen Fall der Tod des eingesetzten Testamentsvollstreckers vor dem Erbfall eine ergänzende Auslegung des Testaments
dahingehend rechtfertigt, dass der Erblasser mutmaßlich gewollt hätte, dass das Nachlassgericht einen neuen Testamentsvollstrecker ernennt (§ 2200 Abs. 1 BGB).
Das Gericht stellte zunächst fest, dass ein ausdrückliches Ersuchen des Erblassers im Testament nicht zwingend erforderlich ist.
Vielmehr genüge es, wenn sich ein solcher Wille des Erblassers durch Auslegung des Testaments, gegebenenfalls durch ergänzende Auslegung gemäß §§ 133, 2084 BGB, feststellen lasse.
Eine ergänzende Testamentsauslegung kommt in Betracht, wenn der Erblasser einen Umstand, hier den vorzeitigen Tod des Testamentsvollstreckers,
nicht bedacht hat und das Testament eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist.
Für die ergänzende Auslegung ist maßgeblich, was der Erblasser bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Umstände mutmaßlich gewollt hätte.
Dabei sind die Gründe zu berücksichtigen, die den Erblasser zur Anordnung der Testamentsvollstreckung bewogen haben, und ob diese Gründe aus seiner Sicht auch nach dem Wegfall der benannten Person fortbestehen.
Entscheidend ist, ob weiterhin Aufgaben des Testamentsvollstreckers zu erfüllen sind.
Im vorliegenden Fall argumentierte das BayObLG, dass der Erblasser durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung
und den Wunsch nach einer „längstmöglichen“ Erhaltung des Nachlasses seinen Willen bekundet habe, dass sein Vermögen über den Erbfall hinaus verwaltet werden solle.
Der Umstand, dass er seine Schwester als Testamentsvollstreckerin einsetzte, spreche nicht zwingend gegen diesen Willen,
da ihm der Gedanke an eine andere Person als Testamentsvollstrecker nicht fremd gewesen sei, wie die Befugnis seiner Schwester zur Ernennung eines Nachfolgers zeige.
Das Gericht räumte ein, dass das Landgericht wesentliche Umstände, die sich seit der Testamentserrichtung geändert hatten, nicht ausreichend berücksichtigt hatte.
Hierzu zählten insbesondere die Veräußerung der Kommanditbeteiligungen des Erblassers und seiner Schwester sowie der Umstand, dass der Sohn des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalls 32 Jahre alt und
kinderlos war, wodurch die ursprüngliche Motivation des Erblassers, das Vermögen für eine Erbengemeinschaft, die seine Schwester miteinschloss,
und möglicherweise spätere Generationen zu erhalten, an Bedeutung verloren hatte.
Auch der Umstand, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch verheiratet war und die Testamentsvollstreckung
möglicherweise auch dem Schutz vor Einflussnahme seiner damaligen Ehefrau diente, war nun gegenstandslos.
Dennoch kam das BayObLG zu dem Ergebnis, dass selbst unter Berücksichtigung dieser veränderten Umstände die ergänzende Auslegung
des Testaments zu dem Ergebnis führe, dass der Erblasser mutmaßlich die Ernennung eines Testamentsvollstreckers durch das Nachlassgericht gewollt hätte.
Der primäre Wille des Erblassers sei auf die möglichst lange Erhaltung des Vermögens gerichtet gewesen, unabhängig von der konkreten Person des Testamentsvollstreckers.
Das Gericht wies auch die Argumentation des Sohnes zurück, die Testamentsvollstreckung sei gemäß § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB weggefallen.
Diese Vorschrift besagt, dass eine Beschränkung oder Beschwerung des Erben durch Testamentsvollstreckung unwirksam ist,
wenn der hinterlassene Erbteil des pflichtteilsberechtigten Erben die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt.
Da der Sohn hier Alleinerbe geworden war, überstieg sein Erbteil seinen Pflichtteil bei Weitem.
Für die Berechnung des hinterlassenen Erbteils sei grundsätzlich die Größe des Erbteils als Bruchteil maßgeblich
und nicht der Wert des Nachlasses, es sei denn, es lägen Anrechnungs- oder Ausgleichspflichten vor, was hier nicht der Fall war.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das BayObLG in dieser Entscheidung die Möglichkeit einer ergänzenden Testamentsauslegung bei vorzeitigem Tod des eingesetzten Testamentsvollstreckers bejaht
hat, wenn der Gesamtwille des Erblassers auf die Fortdauer der Testamentsvollstreckung gerichtet ist und die Gründe für deren Anordnung weiterhin Bestand haben.
Dabei sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Die Vorschrift des § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB greift in einem Fall, in dem der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe wird, nicht ein.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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