Der Fall „Testierunfähigkeit aufgrund krankhafter Wahnvorstellungen“ (Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 124/00)
behandelt die Frage, ob eine Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahr 1991 testierfähig war, trotz einer später diagnostizierten Geisteskrankheit.
Die Erblasserin, die 1995 verstarb, war ledig und hatte keine Kinder.
Zu den gesetzlichen Erben gehörten ihr Bruder (Beteiligter zu 1) sowie weitere Verwandte, darunter die Beteiligte zu 2, die Nichte der Erblasserin.
Der Nachlass der Verstorbenen beinhaltete Grundstücke im Wert von etwa 375.000 DM. Im Jahr 1992 war die Erblasserin aufgrund einer psychotischen Erkrankung, die sich durch Wahnvorstellungen manifestierte, in ein Bezirkskrankenhaus eingewiesen worden.
Sie glaubte, von Asylanten und Zigeunern in ihrem Haus bedroht und bestohlen zu werden.
Am 9. September 1991 hatte die Erblasserin ein handgeschriebenes Testament verfasst, in dem sie ihre Nichte (Beteiligte zu 2) als Alleinerbin bestimmte.
Testierunfähigkeit aufgrund krankhafter Wahnvorstellungen – Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 124/00
Diese beantragte nach dem Tod der Erblasserin einen Erbschein, was vom Nachlassgericht zunächst befürwortet wurde.
Der Bruder der Erblasserin (Beteiligter zu 1) legte jedoch Einspruch ein und argumentierte, dass das Testament nicht vollständig eigenhändig geschrieben sei
und dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung aufgrund ihrer geistigen Verfassung nicht mehr testierfähig gewesen sei.
Das Nachlassgericht ließ eine medizinische Begutachtung der Testierfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung durchführen.
Der Gutachter stellte eine globale Hirnatrophie und die Folgen eines älteren Hirninfarkts fest, die auf eine fortschreitende hirnorganische Störung hinwiesen, die schon vor 1991 begonnen haben könnte.
Zudem wurden Wahnvorstellungen bei der Erblasserin dokumentiert, die möglicherweise ihre Willensbildung beeinträchtigt haben könnten.
Das Landgericht Landshut folgte dem Gutachten und hob den Vorbescheid des Nachlassgerichts auf, indem es feststellte, dass die Erblasserin im September 1991 testierunfähig gewesen sei.
Es argumentierte, dass die psychischen Störungen und hirnorganischen Schäden schon länger vorgelegen hätten und die Erblasserin daher keinen rechtlich relevanten Willen mehr habe bilden können.
Testierunfähigkeit aufgrund krankhafter Wahnvorstellungen – Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 124/00
Gegen diese Entscheidung legte die Beteiligte zu 2 Beschwerde ein, die vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht Erfolg hatte.
Das Bayerische Oberste Landesgericht stellte fest, dass das Landgericht den Begriff der Testierunfähigkeit verkannt habe, da die bloße Diagnose einer Geisteskrankheit nicht automatisch die Testierunfähigkeit bedeute.
Entscheidend sei, ob die Wahnvorstellungen oder hirnorganischen Störungen konkret die Willensbildungsfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung beeinflusst hätten.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hob die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.
Es betonte, dass die Auswirkungen der Krankheit auf die konkrete Willensbildung zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung umfassender geprüft werden müssten.