Überbaurecht bei baurechtswidriger Ausführung
BGH, 19.09.2008 - V ZR 152/07
Stellen Sie sich vor, Sie und Ihr Nachbar wohnen in Reihenhäusern, die direkt aneinandergrenzen. Ihr Nachbar erneuert sein Dach und macht es dabei höher, weil er eine neue Wärmedämmung einbaut. Als Abschluss zum Nachbarhaus wird ein L-förmiges Blech montiert. Ein Teil dieses Blechs liegt dabei auf Ihrem Dach auf, genauer gesagt, ragt es mindestens 19,5 cm auf Ihr Grundstück. Außerdem erfüllt diese neue Konstruktion die Brandschutzvorschriften nicht.
Sie als Eigentümer fordern Ihren Nachbarn auf, diesen Teil des Daches, der auf Ihr Grundstück ragt, wieder zu entfernen. Das Amtsgericht gibt Ihnen Recht. Doch Ihr Nachbar legt Beschwerde ein, und das nächsthöhere Gericht (Oberlandesgericht) entscheidet zu seinen Gunsten, was bedeutet, Sie müssten das Blech auf Ihrem Dach dulden. Sie geben aber nicht auf und ziehen vor den Bundesgerichtshof (BGH).
Der Hauptpunkt in diesem Fall dreht sich um das sogenannte Überbaurecht im Zivilrecht, insbesondere um § 912 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dieser Paragraph besagt im Grunde, dass man einen Überbau (also einen Teil eines Gebäudes, der auf das Nachbargrundstück ragt) dulden muss, wenn der Nachbar beim Bau nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat und man nicht sofort widersprochen hat. Allerdings ist § 912 BGB eigentlich für neue Gebäude gedacht, die über die Grenze gebaut werden. Hier ging es aber um eine nachträgliche Veränderung (Dacherneuerung) eines bestehenden Gebäudes.
Die Frage war also: Kann man § 912 BGB auch auf solche Fälle anwenden, wo ein bestehendes Gebäude verändert wird und dabei ein Teil über die Grenze ragt?
Der BGH hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und stattdessen entschieden, dass der Kläger (also Sie) nicht dulden muss, dass das Blech auf Ihrem Dach liegt. Die Klage des Nachbarn, dass Sie es dulden müssten, wurde abgewiesen.
Der BGH begründete seine Entscheidung wie folgt:
Der BGH bestätigte, dass § 912 BGB zwar nicht direkt, aber entsprechend angewendet werden kann, wenn bei der Veränderung eines bestehenden Gebäudes ein Teil über die Grundstücksgrenze ragt. Der Sinn des Gesetzes ist es, die Zerstörung wirtschaftlicher Werte zu vermeiden, wenn das Entfernen eines überstehenden Teils auch den Rest des Gebäudes beschädigen würde. Dies trifft hier zu, da das Entfernen des Blechs die neue Wärmedämmung des Nachbardaches beeinträchtigen würde.
Das Gericht stellte fest, dass dem Nachbarn grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Wer Arbeiten an der Grenze durchführt, muss sich vergewissern, dass er nicht auf das Nachbargrundstück baut. Es reicht nicht aus, einfach ein Fachunternehmen zu beauftragen und sich um nichts weiter zu kümmern. Der Nachbar wusste, dass er im Grenzbereich baute und hätte sich erkundigen müssen, ob die gewählte Bauweise die Grenze überschreitet. Wenn er das nicht getan hat und dem Bauunternehmen freie Hand ließ, liegt grobe Fahrlässigkeit nahe, weil er eine mögliche Grenzverletzung billigend in Kauf genommen hat.
Ein weiterer entscheidender Punkt war, dass der BGH festlegte: Man muss einen Überbau nicht dulden, wenn er nicht fachgerecht ausgeführt wurde und dadurch weitere Probleme für das Nachbargrundstück entstehen könnten. Hier war festgestellt worden, dass die verwendete Bauschaumfüllung in den Zwischenräumen des Daches nicht den Brandschutzanforderungen der Bayerischen Bauordnung entsprach.
Da die Konstruktion bereits aus diesem Grund nicht ordnungsgemäß war, entfällt die Duldungspflicht des Klägers. Es kommt also nicht darauf an, ob die Überbauung auch noch undicht war – der Mangel im Brandschutz allein reichte aus.
Dieses Urteil ist wichtig für jeden, der ein Grundstück besitzt, insbesondere in Reihenhauslagen:
Auch bei Umbauten oder Modernisierungen müssen Sie sicherstellen, dass Sie die Grundstücksgrenzen Ihres Nachbarn nicht überschreiten. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie Ihren Nachbarn oder holen Sie professionellen Rat ein.
Verlassen Sie sich nicht blind auf Bauunternehmen. Wenn Sie Arbeiten im Grenzbereich ausführen lassen, müssen Sie sich vergewissern, dass keine Grenzverletzungen stattfinden. Wenn Sie das nicht tun, kann Ihnen grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden.
Sie müssen einen Überbau nicht hinnehmen, der nicht den geltenden Bauvorschriften (wie z.B. Brandschutz) entspricht oder andere Mängel aufweist, die Ihr Grundstück zusätzlich beeinträchtigen könnten. In solchen Fällen haben Sie das Recht, die Beseitigung zu verlangen.
Der BGH hat mit diesem Urteil klargestellt, dass der Schutz des Eigentums des Nachbarn bei Bauvorhaben sehr ernst genommen wird, besonders wenn diese nicht fachgerecht durchgeführt werden.
Haben Sie weitere Fragen zu Nachbarrecht oder Bauvorhaben an der Grundstücksgrenze?
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.