Überleitung der Pflichtteilsansprüche eines behinderten Kindes auf den Träger der Sozialhilfe
OLG Karlsruhe 9 U 59/03
Bei gegenseitiger Erbeinsetzung von Ehegatten kann der Träger der Sozialhilfe nach dem Tod des Erstversterbenden nach erfolgter Überleitung
Pflichtteilsansprüche eines behinderten Kindes unabhängig von dessen eigener Entscheidung geltend machen.
Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung, die den besonderen Interessen des Kindes durch Anordnungen zur Verhinderung des Zugriffs des Trägers der Sozialhilfe Rechnung trägt,
kann ergeben, dass für diesen Fall die im Testament angeordnete Sanktion des Ausschlusses des Erbrechts auf
Ableben des Letztversterbenden für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht gelten soll.
Das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 26.02.2003 wird abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen über
a) die ausgleichspflichtigen Zuwendungen sowie die Schenkungen des S. innerhalb der letzten 10 Jahre,
b) den Güterstand der Eheleute S.
Im Übrigen wird die Auskunftsklage abgewiesen.
Die Klage auf Ermittlung des Wertes der Nachlassgegenstände und der zugewendeten bzw. geschenkten Gegenstände wird abgewiesen.
Zur Entscheidung über den Antrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die nach Erteilung der Auskunft und Wertermittlung zu beziffernden Pflichtteils- und
Pflichtteilsergänzungsbeträge nebst Zinsen zu zahlen, wird der Rechtsstreit an das Landgericht Konstanz zurückverwiesen,
das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Der klagende Sozialhilfeträger nimmt die Beklagten als Erben des am 22.12.1992 verstorbenen S. im Wege der Stufenklage
nach Überleitung der erbrechtlichen Ansprüche der V. gemäß § 90 BSHG auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche in Anspruch.
Die Eheleute S., deren Kinder die sieben Beklagten und V. sind, hatten am 15.05.1993 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig als alleinige Erben einsetzten.
Als Erben nach dem Letztversterbenden wurden die acht Kinder bestimmt, wobei für die geistig behinderte Tochter V. Testamentsvollstreckung angeordnet wurde.
Das Erbe der V. sollte ihr ermöglichen, ihr Leben wie bisher weiterzuführen, und es wurde in das Ermessen des Testamentsvollstreckers gestellt, wie die Mittel verwendet werden sollen.
Es war festgelegt, dass die Mittel nicht auf Sozialhilfeleistungen angerechnet werden sollten und dass der Sozialhilfeträger keine Leistungen übernehmen sollte,
wenn sie durch das Erbe gedeckt werden könnten.
Das Testament enthielt eine Verwirkungsklausel:
Sollte eines der Kinder beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen, würde dieses Kind beim Tod des Letztversterbenden auf den Pflichtteil gesetzt.
Der Kläger hat die Pflichtteilsansprüche von V. geltend gemacht.
Die Ergänzungsbetreuerin von V. hatte jedoch erklärt, dass die Erbschaft nicht ausgeschlagen und keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht würden.
Klageanträge des Klägers
Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses über den Bestand des Nachlasses von S., über die ausgleichspflichtigen
Zuwendungen und Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre sowie über den Güterstand der Eheleute S.
Verurteilung der Beklagten zur Ermittlung des Wertes der Nachlassgegenstände und der zugewendeten bzw. geschenkten Gegenstände durch einen Sachverständigen.
Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der nach Auskunftserteilung und Wertermittlung zu beziffernden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsbeträge nebst Zinsen.
Argumentation der Beklagten
Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage und machten geltend, dass die Ergänzungsbetreuerin die Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche abgelehnt habe.
Außerdem habe das Testament den Sozialhilfeträger vom Zugriff auf das Erbe der behinderten Tochter ausschließen sollen.
Das Landgericht wies die Klage ab.
Die Berufung des Klägers war nur teilweise begründet.
Der Kläger kann Pflichtteilsansprüche der V. bezüglich des Nachlasses von M. S. geltend machen.
Die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche bestehen jedoch nicht im Umfang des § 2314 BGB, da V., von der der Kläger seinen Anspruch ableitet, Miterbin ihrer Mutter geworden ist.
Die Verwirkungsklausel des Testaments gilt nicht, wenn der Sozialhilfeträger den Pflichtteil geltend macht.
Daher hat der Kläger nur einen eingeschränkten Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB).
Durch die Überleitung gem. § 90 BSHG sind die Pflichtteilsansprüche der Tochter V. auf den Kläger übergegangen.
Der Anspruch ist mit dem Erbfall entstanden und vererblich sowie übertragbar.
Die Unpfändbarkeit des Pflichtteilsanspruchs gemäß § 852 Abs. 1 ZPO steht dem Übergang auf den Kläger nicht entgegen, da § 90 Abs. 1 S. 4 BSHG diesen Übergang ermöglicht.
Die Überleitung hat zur Folge, dass der Kläger die Rechtsstellung erlangte, die V. hinsichtlich des Anspruchs hatte.
Die Verwirkungsklausel des Testaments greift nicht, wenn der Sozialhilfeträger den Pflichtteil geltend macht.
Die Testierenden wollten V. nicht ihr Erbrecht versagen, wenn der Sozialhilfeträger den Pflichtteil beansprucht.
Die Geltendmachung des Pflichtteilsrechts durch den Sozialhilfeträger führt daher nicht dazu, dass V. nur pflichtteilsberechtigt wird.
V. bleibt Miterbin ihrer Mutter und damit auch Miterbin des Vaters.
Da V. Miterbin ihrer Mutter geworden ist, stehen ihr die Ansprüche des § 2314 BGB nicht zu.
Der Pflichtteilsanspruch setzt die Nichterbenstellung des Pflichtteilsberechtigten voraus.
Der Kläger kann daher nur einen eingeschränkten Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) geltend machen.
Der Auskunftsanspruch des Klägers bezüglich des Bestands des Nachlasses wurde durch die Beklagten erfüllt.
Offen ist nur die Auskunft über ausgleichspflichtige Zuwendungen und Schenkungen sowie den Güterstand der Eheleute.
Die Klage auf Wertermittlung bleibt abgewiesen.
Der Rechtsstreit bezüglich des Zahlungsantrags wird an das Landgericht Konstanz zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.