Umdeutung einer gemäß § 2065 II BGB unwirksamen Ermächtigung zur Bestimmung des Nacherben

Oktober 29, 2025

Umdeutung einer gemäß § 2065 II BGB unwirksamen Ermächtigung zur Bestimmung des Nacherben

OLG Hamm, Beschl. v. 9.1.2025 – 10 W 23/24

Gerne fasse ich den Beschluss des OLG Hamm zur Umdeutung einer unwirksamen Ermächtigung zur Nacherbenbestimmung verständlich zusammen.

Kernproblem: Unwirksame Ermächtigung zur Nacherbenbestimmung

Im deutschen Erbrecht gilt der Grundsatz, dass der Erblasser (Testator) die wesentlichen Bestimmungen seines Testaments, insbesondere die Person des Erben, selbst festlegen muss. Er darf dies nicht dem Belieben oder Ermessen eines Dritten überlassen. Das ist in § 2065 Abs. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) geregelt.

Der Fall: Vater, Mutter, zwei Kinder und ein unwirksames Testament

Die Ausgangslage: Ein Vater (E) und eine Mutter (F) errichten 1990 getrennte Testamente. Sie setzen sich gegenseitig als nicht befreite Vorerben ein. Die Kinder (B 1 und B 2) werden als Nacherben bestimmt.

Die Nacherbenbestimmung des Vaters (E):

E setzt zunächst Sohn B 1 (ersatzweise B 2) als Nacherben für sein Vermögen (u. a. ein geerbter landwirtschaftlicher Besitz und ein hälftiges Baugrundstück) ein.

Die Ermächtigung der Mutter (F):

Zusätzlich ermächtigt E seine Frau F (als Vorerbin), „aus der Zahl meiner Abkömmlinge den Nacherben anderweitig zu bestimmen“ und dabei auch Abfindungen festzusetzen. Er räumte ihr auch das Recht ein, zu Lebzeiten ohne Zustimmung des Nacherben über die wesentlichen Vermögensgegenstände (Besitzung S.-straße und Miteigentumsanteil Baugrundstück) zugunsten der Kinder zu verfügen.

Die Änderung der Mutter (F):

Nach dem Tod des E (2003) überträgt F den landwirtschaftlichen Besitz an die Tochter B 2 und den Erlös aus dem Verkauf des Baugrundstücks an den Sohn B 1. In ihrem Testament von 2012 setzt F die Tochter B 2 als ihre Alleinerbin und zugleich als Nacherbin des E ein.

Die juristische Auseinandersetzung

Der Sohn B 1 beantragt einen Erbschein als alleiniger Erbe des Vaters. Er argumentiert:

Die Ermächtigung der Mutter (F) zur anderweitigen Bestimmung des Nacherben sei wegen Verstoßes gegen § 2065 Abs. 2 BGB unwirksam.

Der Vater habe keine klaren Kriterien für die Auswahl des Nacherben vorgegeben, wodurch die Mutter willkürlich hätte entscheiden können.

Da die Ermächtigung unwirksam ist, bleibe seine ursprüngliche Einsetzung als Nacherbe wirksam.

Die Tochter B 2 argumentiert, die Eltern hätten eine wirksame Änderung der Erbfolge beabsichtigt, um die Kinder gleich zu behandeln.

Die Entscheidung des OLG Hamm

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm gab der Tochter B 2 Recht und wies den Antrag des Sohnes B 1 zurück.

Unwirksamkeit der Ermächtigung (Bestätigung des § 2065 Abs. 2 BGB)

Das OLG bestätigt, dass die Ermächtigung zur Nacherbenbestimmung unwirksam ist, weil:

Obwohl der Personenkreis („aus der Zahl meiner Abkömmlinge“) klar benannt war, fehlten die „für die Auswahl entscheidenden Gesichtspunkte“ im Testament.

Es gab keine Kriterien, die eine willkürliche Bestimmung durch die Mutter (F) ausgeschlossen hätten (z. B. „wer den Hof übernimmt“ oder „wer bedürftiger ist“). Das Testament enthielt keine Andeutung solcher Kriterien.

Umdeutung einer gemäß § 2065 II BGB unwirksamen Ermächtigung zur Bestimmung des Nacherben

Fazit:

Eine Ermächtigung an einen Dritten, einen Erben (oder Nacherben) zu bestimmen, ist nur wirksam, wenn die Auswahl anhand objektiver Kriterien erfolgt, die im Testament selbst oder anhand außerhalb der Urkunde liegender Umstände hinreichend bestimmbar sind. Bloßes Ermessen des Dritten ist unzulässig.

Umdeutung der unwirksamen Verfügung (§ 140 BGB)

Obwohl die Ermächtigung unwirksam war, ist der Sohn B 1 nicht automatisch Nacherbe geworden. Das OLG wandte den Grundsatz der Umdeutung (§ 140 BGB) an.

Der Grundsatz:

Eine nichtige (unwirksame) letztwillige Verfügung kann in eine andere, wirksame umgedeutet werden, wenn die neue Verfügung dem wirtschaftlichen Zweck entspricht, den der Erblasser mit der unwirksamen Verfügung verfolgt hat.

Der hypothetische Erblasserwille:

Die Ermächtigung zur Bestimmung eines anderen Nacherben zeigt, dass der Vater (E) seiner Frau (F) eine sehr weitreichende Handlungsfreiheit einräumen wollte. Diese Freiheit, über den wesentlichen Nachlass zu verfügen und die Erbfolge zu ändern, nähert die Stellung der Vorerbin (F) der einer Vollerbin stark an.

Die Umdeutung:

Daher konnte die unwirksame Nacherbenbestimmung in eine auflösend bedingte Vollerbschaft umgedeutet werden.

Bedeutung:

Die Mutter (F) war demnach ursprünglich als Vorerbin eingesetzt, aber die Nacherbschaft des Sohnes B 1 stand unter der auflösenden Bedingung, dass die Mutter (F) eine abweichende letztwillige Verfügung trifft.

Folge:

Durch das Testament der F von 2012, in dem sie die Tochter B 2 als ihre Alleinerbin und Nacherbin bestimmte, trat die auflösende Bedingung ein. Die ursprüngliche Nacherbschaft des B 1 fiel weg.

Ergebnis:

Die Mutter (F) wurde zur Vollerbin des Vaters (E). Mit ihrem Tod erbte die Tochter B 2 das gesamte Vermögen (einschließlich des ursprünglichen väterlichen Nachlasses) als ihre Alleinerbin.

Fazit

Die Entscheidung zeigt, dass das Gesetz versucht, den Willen des Erblassers so weit wie möglich zu respektieren, selbst wenn eine Formulierung im Testament formal unwirksam ist.

Eine „Vollmacht“ im Testament, einen Erben willkürlich zu bestimmen, ist nach deutschem Recht ungültig (§ 2065 Abs. 2 BGB).

Wenn aber die unwirksame Verfügung die Absicht erkennen lässt, dem Überlebenden sehr weitreichende Rechte (fast wie ein Vollerbe) einzuräumen, kann sie in eine wirksame Vollerbeneinsetzung umgedeutet werden (§ 140 BGB).

Im konkreten Fall bedeutete die Umdeutung, dass die Mutter Vollerbin des Vaters wurde und dadurch die ursprüngliche Nacherbeneinsetzung des Sohnes hinfällig wurde. Letztlich erbte die Tochter das gesamte Vermögen von der Mutter, wie von dieser in ihrem letzten Testament bestimmt.

RA und Notar Krau

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