Umfassende Aufklärungspflicht bei Wahl zwischen OP und konservativer Behandlung
Der folgende Text fasst das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 2. Februar 2024 (Az. 26 U 36/23) zur umfassenden Aufklärungspflicht bei der Wahl zwischen operativer und konservativer Behandlung zusammen.
Das Urteil des OLG Hamm befasst sich mit einem Fall aus dem Arzthaftungsrecht und betont die umfassende Aufklärungspflicht von Ärzten, besonders wenn sowohl eine Operation (OP) als auch eine nicht-operative, also konservative Behandlung, für den Patienten infrage kommen. Im konkreten Fall ging es um eine Patientin mit Wirbelsäulenproblemen.
Die zentralen Punkte des Urteils sind:
Kommen für eine Behandlung (hier an der Wirbelsäule) sowohl eine OP als auch eine konservative Therapie in Betracht, muss der Arzt den Patienten so umfassend aufklären, dass dieser einen echten Abwägungsprozess zwischen den beiden Wegen vornehmen kann. Der Patient muss die Chancen, Risiken, und Belastungen beider Optionen klar verstehen, um sein Selbstbestimmungsrecht ausüben zu können. Dieser Abwägungsprozess muss dokumentiert werden.
Die mehrfache Verwendung von gleichen, pauschalen und offensichtlich standardisierten Textbausteinen in der Patientenakte oder im Aufklärungsbogen kann die Beweiskraft der Dokumentation, dass eine ausreichende Aufklärung tatsächlich stattgefunden hat, erheblich schwächen.
Eine Patientin (geb. 1958) litt seit Jahren unter chronischen Schmerzen im unteren Rücken (LWS-Bereich). Wegen sich verstärkender Schmerzen wurde ihr von einem Neurochirurgen eine operative Wirbelkörperversteifung (PLIF) empfohlen und in der Folge zweimal durchgeführt. Die Patientin machte später Schmerzensgeld und Schadensersatz geltend, da sie der Meinung war, nicht ausreichend über die Behandlungsalternativen und Risiken aufgeklärt und fehlerhaft behandelt worden zu sein.
Das Landgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen. Das OLG Hamm gab der Patientin in Teilen Recht.
Das OLG stellte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens fest, dass die Ärzte keinen nachweisbaren Behandlungsfehler begangen hatten. Die Operationen waren aus medizinischer Sicht als relativ indiziert (vertretbar, aber nicht zwingend notwendig) anzusehen. Auch die Durchführung der OPs entsprach dem ärztlichen Standard.
Dennoch verurteilte das OLG die beteiligten Beklagten (Ärzte und Krankenhausträger) zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz, weil die Einwilligung der Patientin in die Operationen als unwirksam angesehen wurde. Die Ursache: eine mangelhafte Aufklärung über die Behandlungsalternativen.
Da nur eine relative Operationsindikation vorlag, musste der Arzt die Patientin umfassend über die Alternative der konservativen Behandlung (z.B. Physiotherapie, Schmerzmedikation, Spritzen) aufklären. Er musste ihr die notwendigen Informationen (Chancen und Risiken beider Optionen) vermitteln, damit sie die erforderliche Abwägung zwischen konservativer Therapie und OP treffen konnte.
Die Dokumentation der Ärzte war lückenhaft und widersprüchlich. Beispielsweise wurde in der Patientenkartei nur pauschal und wortgleich vermerkt, die Patientin sei „über alle möglichen konservativen und operativen Behandlungsmethoden aufgeklärt worden.“ Solche Standardeinträge schwächten die Beweiskraft. Es fehlte jeglicher Hinweis darauf, dass der notwendige Abwägungsprozess tatsächlich mit der Patientin geführt und ihre bisherigen konservativen Behandlungen detailliert erörtert wurden.
Die Beklagten konnten auch nicht beweisen, dass die Patientin „hypothetisch“ (also auch bei korrekter Aufklärung) in die OPs eingewilligt hätte. Die Patientin machte dem Gericht plausibel, dass sie bei korrekter Aufklärung vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte.
Da die Operationen ohne wirksame Einwilligung der Patientin erfolgten, waren sie rechtswidrig (ein sogenannter „Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht“). Die daraus resultierenden Schmerzen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach den Eingriffen wurden den Beklagten zugerechnet.
Das OLG verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000 Euro und stellte die Haftung für zukünftige Schäden fest.
Dieses Urteil unterstreicht, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten oberste Priorität hat.
Bei Behandlungsalternativen (wie hier OP vs. konservativ) ist eine detaillierte, individuelle Aufklärung nötig. Ein einfacher Hinweis auf Alternativen reicht nicht; es muss eine echte Abwägungsgrundlage geschaffen und die Aufklärung präzise dokumentiert werden, um das Risiko einer Haftung wegen fehlender Einwilligung zu vermeiden.
Man hat das Recht, über alle gleichermaßen indizierten Behandlungsmethoden umfassend informiert zu werden, um eine fundierte Entscheidung für oder gegen einen Eingriff treffen zu können.
Haben Sie weitere Fragen zu den rechtlichen Aspekten der ärztlichen Aufklärung oder zu den im Urteil genannten Paragraphen?
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