Unerwartet schwere Erkrankung in Reiserücktrittskostenversicherung
Dieses Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig vom 18. März 2024 (Az. 16 U 74/23) befasst sich mit zentralen Fragen des Versicherungsschutzes bei Reiserücktrittskostenversicherungen und der Wirksamkeit von Stornierungsbedingungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Reiseveranstaltern.
Es klärt, wann eine Erkrankung als „unerwartet schwer“ gilt und welche Anforderungen an die ärztliche Bescheinigung sowie die AGB des Reiseveranstalters gestellt werden.
Ein Reisender buchte eine Pauschalreise nach Kuba. Kurz darauf erlitt seine Ehefrau bei einem Sturz eine Wunde am Fuß. Nach Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung entzündete sich die Wunde stark und entwickelte sich zu einem Geschwür (Ulkus), was eine stationäre Behandlung und Operation notwendig machte.
Der Reisende stornierte die Reise kurz vor Reisebeginn. Die Reiserücktrittsversicherung lehnte die Zahlung der Stornokosten ab, da die Wunde bereits vor Vertragsschluss vorhanden gewesen sei. Der Reiseveranstalter forderte die Stornokosten gemäß seinen AGB, die unter anderem Staffelungen der Stornokosten und das Recht zur Forderung einer höheren, individuell berechneten Entschädigung vorsahen.
Das OLG gab dem klagenden Reisenden in der Berufung Recht und verurteilte die Versicherung zur Zahlung der Stornokosten.
Der zentrale Streitpunkt war, ob die Erkrankung der Ehefrau die Voraussetzungen der Versicherungsbedingungen erfüllte, nämlich ein „unerwartet schwerer Erkrankung“ zu sein.
Das Gericht entschied, dass eine unerwartete Erkrankung vorlag. Es unterschied zwischen der ursprünglichen Wunde aus dem Sturz (die vor Versicherungsabschluss bestand) und dem späteren Geschwür (Ulkus). Dieses Geschwür entstand erst durch eine Infektion, die nach dem Versicherungsabschluss auftrat. Ein Ulkus sei ein objektiv anderes, schwereres Krankheitsbild als eine „bloße“ Schürfwunde. Da die Infektion und die dadurch ausgelöste Schwere der Erkrankung zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses nicht bekannt waren, galt die Erkrankung als unerwartet.
Die Erkrankung war auch schwer, da die medizinisch notwendige Behandlung und die damit einhergehende Schonung die geplante Busrundreise in Kuba objektiv unmöglich machten.
Die Versicherungsbedingungen setzten voraus, dass die Schwere der Erkrankung durch eine „vor der Stornierung ärztlich attestierte gesundheitliche Beeinträchtigung“ begründet werden musste, die so stark war, dass die Reise nicht planmäßig durchgeführt werden konnte.
Das OLG stellte klar, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klausel so verstehen müsse, dass nur die gesundheitliche Beeinträchtigung selbst (der Ulkus) ärztlich attestiert sein muss.
Es ist nicht erforderlich, dass der Arzt in seinem Attest explizit bescheinigt, dass die Reise als Folge dieser Beeinträchtigung nicht durchgeführt werden kann. Die Undurchführbarkeit der Reise ist eine juristische Folge, die vom Gericht aufgrund der attestierten Erkrankung zu prüfen ist. Hier lag die ärztliche Diagnose (Ulkus) vor der Stornierung vor.
Das Gericht prüfte auch die Stornierungsbedingungen des Reiseveranstalters, die dem Reisenden in Rechnung gestellt wurden, und befand sie als wirksam:
Bei einer Online-Buchung genügt es, wenn die AGB über einen gut sichtbaren Link aufgerufen und ausgedruckt werden können. Das Gericht sah die AGB als wirksam in den Vertrag einbezogen an.
Die AGB sahen Pauschalen vor, behielten dem Reiseveranstalter aber vor, anstelle der Pauschale eine höhere, individuell berechnete Entschädigung zu fordern, wenn er wesentlich höhere Aufwendungen nachweist (§ 651h II 1 BGB). Das OLG schloss sich der überwiegenden Rechtsansicht an, dass diese Klausel keine unangemessene Benachteiligung des Reisenden darstellt (§ 307 BGB). Der Reiseveranstalter darf wählen, ob er die Pauschale oder die (nachgewiesen) höheren Einzelkosten abrechnet.
Die geltend gemachte Pauschale von 60% des Reisepreises (aufgrund des Zeitpunkts der Stornierung 12 Tage vor Reiseantritt) wurde als angemessen beurteilt.
Keine außergewöhnlichen Umstände (Corona): Die Stornierung erfolgte Ende Januar 2020. Das Gericht stellte fest, dass zu diesem Zeitpunkt für die geplante Reisezeit im Februar 2020 in Kuba noch keine erhebliche Wahrscheinlichkeit für unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände (wie die Corona-Pandemie) bestand, die zur Befreiung von Stornokosten geführt hätten (§ 651h III BGB). Die Reise konnte daher vom Veranstalter durchgeführt werden.
Das Urteil stärkt die Position von Versicherungsnehmern, deren Reiseunfähigkeit durch eine unerwartete Verschlechterung eines vorbestehenden Leidens oder eine neue, darauf aufbauende Erkrankung eintritt, indem es die unerwartete Infektion und das Geschwür als eigenständige, vom Versicherungsschutz erfasste Ereignisse wertet. Gleichzeitig bestätigt es die Vertragshoheit von Reiseveranstaltern, sowohl gestaffelte Stornopauschalen zu nutzen, als auch sich das Recht vorzubehalten, im Einzelfall eine höhere, individuell nachgewiesene Entschädigung vom Reisenden zu fordern.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.