Unmöglich gewordene Pflegeleistung bei Umzug des Übergebers in Pflegeheim

Juni 12, 2025

Unmöglich gewordene Pflegeleistung bei Umzug des Übergebers in Pflegeheim

Zusammenfassung des BGH-Urteils vom 29.01.2010 (V ZR 132/09)

RA und Notar Krau

Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs befasst sich mit einem Fall aus dem Zivilrecht, genauer gesagt mit den Verpflichtungen aus einem sogenannten Übergabevertrag. Solche Verträge werden oft innerhalb von Familien geschlossen, wenn zum Beispiel Eltern ein Grundstück oder Haus an ihre Kinder übertragen und im Gegenzug bestimmte Leistungen wie Wohnrecht oder Pflege vereinbart werden.

Der Ausgangsfall:

Im Jahr 1982 übertrugen die Eltern eines Beklagten (im Urteil „Beklagter zu 1“ genannt) und seiner Ehefrau (die „Beklagte zu 2“) ein bebautes Grundstück an die beiden. Als Gegenleistung erhielten die Eltern ein lebenslanges, kostenloses Wohnrecht im ersten Obergeschoss des Hauses. Zusätzlich enthielt der Vertrag eine wichtige Klausel in Paragraph 2 Nummer 2b: Die Erwerber, also das beklagte Ehepaar, verpflichteten sich, den Eltern unentgeltlich „gute Pflege, Betreuung und Aufwartung in Tagen seines Wohlbefindens und der Krankheit zu gewähren“.

Dies umfasste auf Wunsch der Eltern auch die Reinigung und Instandhaltung ihrer Wohnung, Kleidung und Wäsche. Für die Zubereitung von Mahlzeiten und die gemeinsame Beköstigung am Familientisch sollte ein angemessenes Entgelt gezahlt werden. Ein entscheidender Punkt war auch die Bestimmung, dass die Erwerber, sollten sie die Leistungen einmal nicht persönlich erbringen können, auf eigene Kosten für eine entsprechende Hilfskraft sorgen müssten.

Die Entwicklung der Situation:

Ende 1998 verstarb die Mutter des Beklagten zu 1. Der Vater lebte ab 1999 in einem Seniorenheim, nachdem für ihn eine Betreuung unter anderem für Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung angeordnet worden war. Der Kläger in diesem Verfahren war das Sozialamt, das dem Vater seit November 2006 Sozialhilfe gewährte. Das Sozialamt leitete nun die Ansprüche des Vaters aus dem Übergabevertrag auf sich über.

Es vertrat die Ansicht, dass die Beklagten durch den Heimaufenthalt des Vaters Aufwendungen für Pflegeleistungen, die sie eigentlich erbringen sollten, erspart hätten. Diese Ersparnis bezifferte das Sozialamt auf monatlich 225 Euro für Pflegeleistungen (entsprechend Pflegestufe 1) und 75 Euro für hauswirtschaftliche Tätigkeiten.

Der Verlauf des Rechtsstreits:

Das Sozialamt (der Kläger) verklagte die Beklagten auf Zahlung von 4.281,35 Euro für den Zeitraum von November 2006 bis Januar 2008. In der ersten Instanz, vor dem Amtsgericht, war die Klage erfolgreich. Die Beklagten legten jedoch Berufung ein, und das Landgericht Mönchengladbach wies die Klage daraufhin ab.

Das Landgericht argumentierte, dass der Anspruch weder direkt aus der vertraglichen Regelung in § 2 Nr. 2b folge noch aus einer ergänzenden Auslegung des Vertrages.

Nach Ansicht des Landgerichts bezog sich die Vereinbarung in § 2 Nr. 2b nur auf den Fall, dass die Pflegeverpflichtung aus Gründen, die bei den Erwerbern (den Beklagten) selbst lagen, nicht mehr erfüllt werden konnte.

Zwar sei eine Beteiligung an den Heimkosten in Höhe der ersparten Sachleistungen denkbar, doch die Klage basierte auf ersparten Pflegeleistungen, für die der Vertrag keinen Geldersatz vorsah.

Das Sozialamt legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof ein, um den Klageantrag weiterzuverfolgen.

Unmöglich gewordene Pflegeleistung bei Umzug des Übergebers in Pflegeheim

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs und seine Begründung:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Revision des Klägers (des Sozialamtes) zurück. Die Richter des BGH führten zwei Hauptargumente an:

  1. Kein direkter Anspruch aus der Vertragsklausel (§ 2 Nr. 2b): Der BGH stimmte dem Landgericht zu, dass die vertragliche Verpflichtung der Beklagten, für eine „Hilfskraft zu sorgen“, keinen Sinn ergab, wenn der Vater in einem Seniorenheim lebte. Heime wählen und bezahlen ihr Personal selbst. Die Klausel war nach Ansicht des BGH darauf ausgelegt, die häusliche Versorgung des Übergebers sicherzustellen, falls die Beklagten selbst nicht in der Lage wären, die Pflege zu Hause zu leisten. Es gab keine Anhaltspunkte im Wortlaut des Vertrages, dass die Parteien mit dieser Klausel auch eine Absicherung des Übergebers nach einem Umzug in ein Heim regeln wollten. Der BGH betonte, dass die Auslegung eines individuellen Vertrages nur eingeschränkt überprüft werden kann; hier lagen keine Rechtsfehler des Landgerichts vor.
  2. Kein Anspruch aus ergänzender Vertragsauslegung für persönliche Pflegeleistungen: Der BGH bejahte grundsätzlich, dass ein Übergabevertrag ergänzend ausgelegt werden muss, wenn die Parteien bei Vertragsabschluss davon ausgingen, dass der Übergeber zu Hause gepflegt werden könnte, aber keine Regelung für einen Heimaufenthalt getroffen haben. In solchen Fällen steht dem Übergeber oft ein Anspruch auf Beteiligung an den Pflegekosten in Höhe der ersparten Aufwendungen zu, insbesondere wenn er professionelle Pflege benötigt und der Übernehmer seine Pflegeverpflichtung nicht mehr selbst erfüllen kann. Allerdings differenzierte der BGH hier deutlich zwischen Sachleistungen und persönlichen Pflege- und Dienstleistungen:
    • Sachleistungen: An die Stelle nicht mehr zu erbringender Sachleistungen (z.B. Lebensmittel, Heizkosten für den betreuten Bereich) treten Zahlungsverpflichtungen, die den Wert der ersparten Aufwendungen dafür abschöpfen.
    • Persönliche Pflege- und Dienstleistungen: Hier liegt der Kern der Entscheidung. An die Stelle von Pflege- und Dienstleistungen, die nach der Vorstellung der Vertragsparteien vom Übernehmer (den Beklagten) oder deren Familienangehörigen persönlich erbracht werden sollten, tritt kein Zahlungsanspruch des Übergebers. Der BGH begründete dies damit, dass eine ergänzende Vertragsauslegung nicht zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen darf. Der Übernehmer verpflichtet sich zu solchen persönlichen Diensten in der Regel in der Annahme, sie selbst und ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand erbringen zu können. Es würde dem mutmaßlichen Willen der Parteien nicht entsprechen, wenn Geldzahlungen an die Stelle dieser versprochenen Dienste treten müssten, nur weil die Dienste aus Gründen, die der Übernehmer nicht zu vertreten hat (hier: der Umzug des Vaters ins Heim), nicht mehr erbracht werden können. Eine monetäre Kompensation des durch den Heimaufenthalt entstandenen „Frei-Zeitgewinns“ des Übernehmers wäre eine solche unzulässige Erweiterung.
    Eine Ausnahme wäre nur denkbar gewesen, wenn die Beklagten aus ihrer eigenen Person heraus nicht mehr in der Lage gewesen wären, die geschuldeten Leistungen selbst zu erbringen und deshalb vertraglich verpflichtet gewesen wären, eine Hilfskraft zu beauftragen. Nur dann hätten sie durch den Heimaufenthalt des Vaters tatsächlich finanzielle Aufwendungen für diese Hilfskraft erspart. Diesen Umstand hatte der Kläger (das Sozialamt) jedoch nicht geltend gemacht. Die Klage war ausschließlich auf ersparte Aufwendungen für die persönlichen Pflegeleistungen gestützt, nicht auf Sachleistungen.

Fazit des Urteils:

Der Bundesgerichtshof bestätigte somit, dass die Beklagten keinen Geldausgleich für die persönlichen Pflege- und Dienstleistungen leisten mussten, die sie aufgrund des Heimaufenthalts des Vaters nicht mehr erbringen konnten.

Das Urteil stellt klar, dass bei einem Übergabevertrag, der persönliche Pflegeleistungen vorsieht, nicht automatisch ein finanzieller Anspruch entsteht, wenn der Pflegebedürftige in ein Heim umzieht und die persönlichen Leistungen dadurch entfallen.

Es muss genau unterschieden werden, ob es um ersparte Sachleistungen oder um ersparte persönliche Dienste geht, wobei letztere in der Regel keinen Geldersatz nach sich ziehen, es sei denn, der Vertrag sah explizit die Beauftragung einer kostenpflichtigen Hilfskraft vor, die nun durch den Heimaufenthalt entfällt.

Unmöglich gewordene Pflegeleistung bei Umzug des Übergebers in Pflegeheim

Die Revision des Klägers wurde daher kostenpflichtig zurückgewiesen.

Dieses Urteil ist ein wichtiger Präzedenzfall für die Auslegung von Übergabeverträgen im Hinblick auf Pflegeverpflichtungen, insbesondere wenn sich die Lebensumstände des Übergebers ändern und ein Heimaufenthalt notwendig wird. Es schützt die Übernehmer vor einer finanziellen Belastung, die über den ursprünglichen, persönlich gemeinten Vertragsinhalt hinausgehen würde.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Unzuständigkeit deutscher Gerichte bei Klagen wegen Entfernung Beiträge Plattform X

Unzuständigkeit deutscher Gerichte bei Klagen wegen Entfernung Beiträge Plattform X

Juli 15, 2025
Unzuständigkeit deutscher Gerichte bei Klagen wegen Entfernung Beiträge Plattform XKammergericht: Urteil vom 10. Juli 2025, Aktenzeichen 10 U 10…
Das geschlossene Gate: Wann muss die Airline warten?

Das geschlossene Gate: Wann muss die Airline warten?

Juli 12, 2025
Das geschlossene Gate: Wann muss die Airline warten?Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 5. Juni 2025 – 2 -24 S 93/24RA und Notar Krau…
Zulässigkeit der Signierung eines Schriftsatzes für Mitglied der Sozietät

Zulässigkeit der Signierung eines Schriftsatzes für Mitglied der Sozietät

Juli 12, 2025
Zulässigkeit der Signierung eines Schriftsatzes für Mitglied der SozietätRA und Notar KrauZusammenfassung eines Urteils des Bundesgerichtsho…